In der Praxis wird man von betroffenen Patienten, die natürlich von der Heredität der Zuckerkrankheit gehört haben, häufig nach dem Vererbungsrisiko gefragt. Alles in allem kann man relativ beruhigende Antworten geben: Der Typ-1-Diabetes wird deutlich schwächer vererbt als der Typ-2-Diabetes, auch wenn Studien an eineiigen Zwillingen in jüngster Zeit ein „Aufholen“ der Heredität bei Typ-1-Diabetes gezeigt haben. Das Risiko des zunächst nichtdiabetischen eineiigen Zwillings, ebenfalls einen Typ-1-Diabetes zu bekommen, beträgt nicht 35 % (wie lange Zeit berichtet wurde), sondern annähernd 60 %. Bei Typ-2-Diabetikern ist dieses Risiko allerdings 90 bis 100 %.

Auf die Frage einer jungen Typ-1-Diabetikerin, wie groß das Risiko ist, dass ein Kind, gezeugt mit einem nichtdiabetischen Mann, bis zum 18. Lebensjahr ebenfalls Typ-1-diabetisch wird, kann man die beruhigende Auskunft geben: 1 - 2 %. Im Laufe des Lebens beträgt die Wahrscheinlichkeit dann 2 - 4 %. Interessanterweise ist bei Männern die Wahrscheinlichkeit doppelt so hoch. Haben beide Partner einen Typ-1-Diabetes, ist die Wahrscheinlichkeit dann allerdings 25 % (aber zu 75 % wird das Kind eben nicht diabetisch!).

Typ-2-Diabetes: Höheres Risiko

Bei Typ-2-Diabetikern weiß man, dass die hereditäre Penetranz stärker ist, so dass ein diabetischer Elternteil die Wahrscheinlichkeit von 40 % der Erkrankung des Nachkommens impliziert. Haben beide Eltern einen Typ-2-Diabetes, liegt die Wahrscheinlichkeit sogar bei 70 - 80 %. Allerdings darf man beim Typ-2-Diabetes feststellen, dass wir vor allem durch Änderung des Lebensstils (Ernährungs- und Bewegungstherapie) präventive und therapeutische Maßnahmen bei den zumeist übergewichtigen Patienten zur Verfügung haben, die uns in diesem Umfang beim Typ-1-Diabetes fehlen. Also: Vererbung ja, aber nicht in dem Maße, dass man Diabetikerinnen und Diabetikern den Kinderwunsch ausreden soll (Ausnahme: womöglich Typ-1-Diabetikerinnen mit fortgeschrittenen schweren Gefäßkomplikationen).


Kontakt:
Prof. Dr. med. Hellmuth Mehnert
Forschergruppe Diabetes e.V.
82152 Krailling

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (7) Seite 40