Jeder, der einmal in einem zellbiologischen Labor gearbeitet hat, kennt sie: die HeLa-Zellen. Einige der größten medizinischen Erfolge haben wir diesen HeLa-Zellen zu verdanken. So ermöglichten sie, Impfstoffe gegen Kinderlähmung oder Medikamente gegen Krebs zu entwickeln. Und auch die Genforschung wäre ohne HeLa-Zellen nicht in Gang gekommen. Heute wissen allerdings wohl nur noch wenige, was oder besser wer sich hinter dem Kürzel HeLa verbirgt. Wir werfen einen Blick auf eine im Grunde sehr traurige Geschichte.

HeLa-Zellen haben Millionen Menschen das Leben gerettet – doch niemand kennt die Frau, von der sie stammen: Henrietta Lacks, eine lebenslustige 30-jährige schwarze Tabakarbeiterin aus Baltimore in den USA. Mit stechenden Bauchschmerzen ging die junge Henrietta Lacks Anfang 1951 zu einem Arzt im Johns Hopkins-Krankenhaus in Baltimore. Schon 8 Monate später ist sie tot – Gebärmutterhalskrebs. Der Arzt beschreibt den Tumor später als etwas Besonderes, er war nicht so hart wie üblich, sondern weich und lila.

Aus Henrietta Lacks wird HeLa

Der Arzt findet das interessant und entnimmt seiner Patientin deshalb einige Zellen und schickt sie zur weiteren Untersuchung an ein Labor. Dort wird die Gewebeprobe in einem Gemisch aus Hühnerplasma und Kalbsembryonenextrakt sowie menschlichem Nabelschnurblut im Kühlschrank aufbewahrt – gekennzeichnet mit dem Kürzel HeLa. Trotz dieser guten Pflege sterben solche Zellen allerdings normalerweise recht rasch ab. Doch die Tumorzellen von Henrietta Lacks sterben nicht, sondern vermehren sich immer weiter und weiter, bis es Millionen davon gibt – eine wissenschaftliche Sensation. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war es noch niemandem gelungen, menschliche Zellen länger als ein paar Wochen im Labor am Leben zu halten. Nun aber gibt es eine offenbar unsterbliche menschliche Zelllinie.

HeLa puscht die Forschung

Erstmals in der Geschichte der Medizin kann nun an menschlichen Zellen experimentiert werden. Die Wissenschaftler aus Baltimore versenden die HeLa-Zellen freigiebig an Labore in aller Welt. Die Forscher analysieren daran die Auswirkungen von Krebs oder Kinderlähmung und vielen anderen Erkrankungen. HeLa half bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Kinderlähmung. Die Zellen wurden mit Mumps, Masern, Windpocken, Herpes, Tuberkulose und schließlich HIV infiziert, sie wurden bei Atombombentests starker Strahlung ausgesetzt und im Weltraum der Schwerelosigkeit. Und es war auch eine versehentlich eingefärbte HeLa-Zelle, die den Blick auf die 46 menschlichen Chromosomen und so auf die Ursache für Krankheiten wie das Down-Syndrom freigab.

An HeLa-Zellen gelang zum Beispiel dem langjährigen Vorsitzenden des Deutschen Krebsforschungszentrums, Harald zur Hausen, seine spektakulärste Entdeckung. Er fand darin die humanen Papillomviren HPV16 und HPV18 und konnte nachweisen, dass diese die Ursache des Tumors sind. Ein Impfstoff wird entwickelt, zur Hausen bekommt 2008 den Medizin-Nobelpreis. Aus einem Tumor im Gebärmutterhals ist rund ein halbes Jahrhundert später die Basis für einen Impfstoff dagegen geworden.

Siegeszug der HeLa-Zellen
Auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Experimenten mit HeLa-Zellen basieren weltweit ca. 11.000 angemeldete Patente. In der medizinisch-naturwissenschaftlichen Datenbank PubMed sind mehr als 75.000 wissenschaftliche Artikel registriert, die auf Experimenten mit HeLa-Zellen beruhen. Es wird geschätzt, dass Wissenschaftler bisher mehr als 50 Tonnen HeLa-Zellen gezüchtet haben.

Auch in der Molekular- und Zellbiologie werden die Tumorzellen der jungen Frau aus Baltimore rasch zum Standardmodell und bleiben es bis heute. Denn HeLa-Zellen sind robust und unproblematisch, und vor allem wachsen sie sehr schnell. Eine HeLa-Zelle teilt sich einmal in 24 Stunden, bei anderen Zelllinien, die es inzwischen auch gibt, dauert das meist deutlich länger. Warum die HeLa-Zellen so viel schneller wuchern, weiß man übrigens bis heute noch nicht genau.

Späte Anerkennung

Welch große Bedeutung ihre Zellen einmal für die Wissenschaft haben würden, konnte Henrietta Lacks, Mutter von 5 Kindern, vor 65 Jahren nicht ahnen. Sie war ja noch nicht einmal gefragt worden, ob Gewebe aus ihrem Körper entnommen werden dürfe. Zu der Zeit der Zell-
entnahme war das Einverständnis des Patienten weder zwingend notwendig, noch war es üblich, dieses einzuholen. Die Angehörigen und Nachkommen von Henrietta Lacks wussten über mehrere Jahrzehnte nicht, dass aus den entnommenen Tumorzellen die HeLa-Zellen kultiviert worden waren und diese weltweit wissenschaftlich genutzt und kommerziell vermarktet wurden. Das Johns Hopkins Hospital war in den 1950er-Jahren eines der wenigen Krankenhäuser in der Gegend, das überhaupt schwarze Patienten behandelte. Die medizinische Versorgung wurde kostenlos gewährt, war aber mit dem stillschweigenden Einverständnis zur Teilnahme an wissenschaftlichen Studien verbunden. Erst 20 Jahre später erfuhren ihre Nachfahren, dass Zellen ihrer Mutter noch lebten.

Und auch die öffentliche Anerkennung ließ lange auf sich warten. Heute steht in dem Waldstück in Virginia, in dem das Grab von Lacks vermutet wird, eine Gedenktafel. Und im Juni 2011 bekam Henrietta Lacks posthum die Ehrendoktorwürde der Morgan State Universität in Baltimore verliehen.

► Wer mehr über die Geschichte der HeLa-Zellen erfahren möchte, dem sei das Buch "Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks" von Rebecca Skoot empfohlen, in Deutsch erschienen im Irisiana Verlag, München 2010



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Quellen:
Christina Horsten (dpa), Wikipedia

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (15) Seite 100-101