Mit mehr als 400 000 Verordnungen pro Jahr stellt die postkoitale Kontrazeption in Deutschland einen relevanten Aufgabenbereich dar, durch den zahlreiche ungeplante Schwangerschaften vor allem bei jungen Frauen verhindert werden. Jetzt versuchen Internet-Dienstleister mit der „Pille danach“ ins Geschäft zu kommen – nicht unbedingt zum Nutzen der Patientinnen.

Nicht nur Frauenärzte, sondern auch Hausärzte dürften die Situation kennen: Eine junge Frau hatte ungeplanten und ungeschützten Geschlechtsverkehr. Nun fürchtet sie, schwanger zu werden, und erscheint gleich am nächsten Morgen in Ihrer Praxis. Ein klassischer Fall von Notfallkontrazeption und für die „Pille danach“, sofern es keine Kontraindikationen gibt. Dies zu prüfen, gehört zu den Aufgaben ärztlicher Diagnostik, die in Deutschland mit einer persönlichen Vorstellung des Patienten oder in diesem Fall der Patientin in der Praxis verbunden ist.

Ärztliche Ferndiagnosen per Internet sind hierzulande hingegen verboten, und die Aufhebung der Rezeptpflicht für das schon seit vielen Jahren gebräuchliche, in den meisten europäischen Ländern frei verkäufliche Levonorgestrel wird immer wieder kontrovers diskutiert. Frauenärzte argumentieren, dass die hohe Dosis des Hormons bei disponierten Personen nicht zu unterschätzende Nebenwirkungen auslösen kann. Die Frauenärzte fühlten sich in ihrer Einschätzung bei der europaweiten Einführung des neuen Notfallkontrazeptivums Ulipristal-Acetat bestätigt, als es als verschreibungspflichtig eingestuft wurde. Allerdings erlaubt eine EU-Richtlinie, dass ausländische Ärzteportale ihre Dienste auch deutschen Patienten anbieten. Sie dürfen unter anderem online beraten und rezeptieren.

Diese Möglichkeit nutzen eine Reihe von in London ansässigen Internetportalen wie DrEd.com, pille-rezeptfrei.com, euroclinix.de oder Lona24.de, um Levonorgestrel und Ulipristal-Acetat in Deutschland zu vertreiben. Die ärztliche Untersuchung wird durch das Ausfüllen eines Fragebogens erledigt, der – so zumindest der von den Portalen präsentierte Text – von einem in der EU zugelassenen Arzt geprüft wird, bevor eine Versandapotheke die Pille auf die Reise schickt. Für 50 bis 60 Euro inklusive Rezept und Versand versprechen die Anbieter, das Medikament innerhalb von ein bis zwei Werktagen per UPS zu liefern.

Eine verführerische Option

Kein Termin, kein Warten beim Arzt, keine als peinlich empfundenen Fragen – die Online-Bestellung mag nach einem „Verhütungsunfall“ als leichtester Ausweg erscheinen. Es ist aber auch eine teure und riskante Option, vor der Sie Ihre Patientinnen eindringlich warnen sollten. Denn das damit entfallende Beratungsgespräch beim Arzt ist nicht nur ein lästiger Termin. Es kann die verschiedenen Möglichkeiten der postkoitalen Kontrazeption ebenso thematisieren wie Nebenwirkungen, Risiken und Unverträglichkeiten. Es bietet die Chance, sich über Verhütung, Sexualität und sexuell übertragbare Krankheiten zu informieren. Nicht zuletzt ist die „Pille danach“ für Patientinnen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr kostenfrei (GKV-Rezept), vom 18. bis zum vollendeten 20. Lebensjahr ist nur eine Rezeptgebühr von fünf Euro fällig. Erst ab 20 Jahren muss ein Privatrezept ausgestellt werden. Und manchmal ist auch gar kein Rezept nötig, weil die Anwendung der Notfall-Pille nur innerhalb eines bestimmten Zeitfensters im Zyklus überhaupt angebracht und wirksam ist. Außerhalb dieses Zeitfensters können Frauen nicht schwanger werden, setzen sich also umsonst dem Risiko von Nebenwirkungen und den Kosten aus.

Davon abgesehen gibt es eine gefährliche, wenn auch unterschiedlich große Zeitlücke, die eine Online-Bestellung riskant macht: 48 Stunden vor der Ovulation ist Levonorgestrel, kurz vorher auch Ulipristal nicht mehr in der Lage, den Eisprung aufzuhalten. Deshalb muss das Kontrazeptivum so schnell wie möglich verabreicht werden, am Wochenende auch durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Das Warten auf den Paketdienst hingegen kann entscheidende Stunden kosten. Wenn der Postmann später als erwartet klingelt, kann die Eizelle schon unterwegs und das Kind in den Brunnen gefallen sein.▪

Werner Enzmann


Quellen
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) e.V., Berufsverband der Frauenärzte (BVF) e.V.
Mittel der Notfallkontrazeption

Levonorgestrel (Levogynon®) war über viele Jahre die Standardmethode der Notfallkontrazeption. Es ist ein synthetisches Gestagen mit agonistischer Wirkung auf den Progesteronrezeptor. Über eine negative Rückkopplung wird die Produktion von Luteinisierendem Hormon (LH) reduziert, der LH-Peak verhindert, die Follikelreifung gehemmt und die Ovulation verschoben. Die Einnahme muss so schnell wie möglich erfolgen, die Zulassung erstreckt sich auf 72 Stunden nach ungeschütztem Koitus. Die Wirksamkeit wird mit 55–60 % angegeben und nimmt schon nach 24 Stunden ab.

Ulipristal-Acetat (EllaOne®) ist ein selektiver Progesteronrezeptor-Modulator, der ebenfalls über eine negative Rückkopplung die LH-Produktion reduziert, den LH-Peak und den Eisprung verschiebt. Das funktioniert auch noch bei bereits ansteigendem LH-Spiegel (also an den beiden Tagen vor der Ovulation) und bei einer Follikelgröße von 18 mm. Deshalb und weil Ulipristal für bis zu 120 Stunden nach dem ungeschützten Koitus zugelassen ist, gilt es heute als Standardmethode der Notfallkontrazeption. Die Wirksamkeit wird mit 75–84 % angegeben.

Die wirksamste Kontrazeption bietet allerdings mit 99 % die Nidationshemmung durch das Einsetzen einer „Spirale“ (Kupfer-IUD), was innerhalb von drei bis fünf Tagen zu erfolgen hat. Die Spirale kann anschließend zur weiteren Empfängnisverhütung verbleiben.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (5) Seite 24-26