Der Fall
Sie haben den 75-jährigen Patienten mit Vorhofflimmern, Diabetes und Hypertonie schon seit einiger Zeit antikoaguliert. Bei zunehmender Belastungs-Angina pectoris haben Sie ihn dem Kardiologen vorgestellt. Dieser fand und dilatierte eine signifikante RIVA-Stenose – leider entgegen den Empfehlungen versehen mit einem beschichteten Stent, der ja zur Vermeidung einer In-Stent-Thrombose eine doppelte Plättchenhemmung erfordert.

Sie sind in Sorge, dass Ihr nicht mehr ganz junger Patient unter einer dreifachen Gerinnungshemmung von Blutungskomplikationen bedroht sein könnte.

Fragestellungen
  • Muss ich wirklich drei gerinnungshemmende Substanzen einsetzen?
  • Wenn ja, wie lange?
  • Welche Substanz kann ich evtl. vorzeitig absetzen, um den Patienten nicht zu gefährden?

Mit den evidenzbasierten Leitlinien der DEGAM werden nicht alle Themen aus dem hausärztlichen Versorgungsalltag abgedeckt. Hausärzte benötigen zusätzlich gerade bei der Breite des Fachgebietes und dem rasanten Zuwachs medizinischen Wissens rasch verfügbare, aktuelle Handlungsempfehlungen. Nach dem großen Erfolg der hausärztlichen Handlungsempfehlungen zu EHEC und zur „Schweinegrippe“ H1N1 entschied die Ständige Leitlinienkommission der DEGAM, eine Serie hausärztlicher Handlungsempfehlungen zu erstellen. Im Folgenden soll der Inhalt der S1-Handlungsempfehlung „Duale Plättchenhemmung – neue Thrombozytenaggregationshemmer“ beleuchtet und anhand einer Kasuistik (vgl. Kasten) dargestellt werden.

Wie lange soll nach Stent an den Koronararterien Clopidogrel zusätzlich zu ASS eingesetzt werden?

Das kommt darauf an, ob es sich um einen beschichteten oder unbeschichteten Stent handelt.

Nach unbeschichtetem Stent wird eine Duale Plättchenhemmung (DAPT) mit ASS 100 mg plus Clopidogrel 75 mg für vier Wochen empfohlen. Ohne dass deren Überlegenheit gesichert wäre, werden allerdings zunehmend beschichtete Stents verwendet. Danach sollte eine doppelte Plättchenhemmung über sechs Monate eingesetzt werden. Diese DEGAM-Empfehlung divergiert deutlich von der vieler kardiologischer Kliniken und auch der europäischen kardiologischen Gesellschaft ESC. In mehreren Studien konnte aber eine Überlegenheit einer länger als sechs Monate andauernden DAPT im Vergleich zu einer DAPT über sechs Monate nicht belegt werden. Unter Berücksichtigung des Blutungsrisikos einer DAPT sollte das kürzest mögliche mit einem ausreichenden Schutz vor In-Stent-Thrombosen belegte Regime gewählt werden.

Sind Thrombozyten-Tests sinnvoll, um ggf. die Clopidogrel-Dosis anzupassen?

Drei Studien beantworten diese Frage negativ – Thrombozyten-Funktionstests und eine entsprechende Anpassung der Clopidogrel-Dosis können nicht empfohlen werden.

Wann sollte Clopidogrel allein oder zusätzlich zu ASS eingesetzt werden?

Wenn es unter ASS zu einem Schlaganfall gekommen ist, ist das keine Indikation für Clopidogrel. In der großen CAPRIE-Studie war Clopidogrel hinsichtlich Re-Insult nicht überlegen. Clopidogrel ist dann auch nicht verordnungsfähig. Eine kürzlich veröffentlichte chinesische Studie zeigte zwar eine Abnahme von Re-Insulten unter DAPT. Einschränkungen dieser Studie sowie die große Menge an Studien, die keinen Vorteil einer DAPT zeigten, sprechen jedoch gegen die Generalisierbarkeit der chinesischen Untersuchung.

Bei Magenbeschwerden oder Ulcera unter ASS sollten zusätzlich zu ASS H2-Blocker bzw. Protonenpumpenhemmer gegeben und nicht auf Clopidogrel umgestellt werden. Clopidogrel ist auch bei Vorhofflimmern nicht indiziert – weder allein noch in Kombination mit ASS.

Profitieren von Clopidogrel können Patienten mit symptomatischer pAVK (Gehstrecke unter 200 m). Zudem kann es als vorübergehende Medikation zusätzlich zu ASS verordnet werden nach Stent an den das Gehirn versorgenden Arterien.

Welcher Thrombozytenaggregationshemmer sollte nach akutem koronarem Syndrom eingesetzt werden?

Ticagrelor über ein Jahr lang gegeben senkt nach den Daten der PLATO-Studie die Gesamt-Sterblichkeit um 1,4 %, ohne die Rate gravierender Blutungen zu erhöhen. Dies gilt für alle Formen des akuten koronaren Syndroms – ob mit oder ohne koronare Intervention, mit PTCA oder Bypass, ob STEMI oder NSTEMI. Ticagrelor ist bei allen Formen des akuten koronaren Syndroms indiziert.

Prasugrel sollte nicht verwendet werden. In der TRITON-TIMI-38-Studie hatte Prasugrel allenfalls einen leichten Vorteil hinsichtlich ischämischer Ereignisse bei deutlicher Zunahme von schweren Blutungen, also einen Netto-Schaden.

Wenn Ticagrelor nicht vertragen wird, sollte je nach Stent vier Wochen bzw. sechs Monate lang mit Clopidogrel behandelt werden.

Wenn ein Patient mit Prasugrel aus der Klinik entlassen wird, wie stelle ich ihn auf Clopidogrel um?

Bei Umstellung von Prasugrel auf Clopidogrel ist keine Aufsättigung nötig. Bei Umstellung von Ticagrelor auf Clopidogrel sollte am 1. Tag eine Aufsättigung mit 300 mg Clopidogrel oral erfolgen. Bei Umstellung von Prasugrel bzw. Clopidogrel auf Ticagrelor sind erst ein bis drei Tage Pause einzuhalten, dann beginnt man mit Ticagrelor.

Zurück zu unserem Fall

Der beschriebene Patient ist bereits wegen Vorhofflimmerns dauerhaft antikoaguliert. Nun erhält er einen beschichteten Stent. In diesem Fall hätte besser ein unbeschichteter Stent verwendet werden sollen. Aber darauf haben Hausärzte ja meistens keinen Einfluss. Ist nun eine Triple-Therapie indiziert, und was ist weiter zu beachten?

Planbare Operationen sollen unter dieser Konstellation verschoben werden.Weil zu Ticagrelor keine Studien zur Komedikation mit Phenprocoumon vorliegen, sollte eher Clopidogrel verwendet werden. Eine Triple-Therapie (Phenprocoumon + ASS +Clopidogrel) sollte so kurz wie möglich (nach unbeschichtetem Stent vier Wochen, nach beschichtetem drei Monate lang) durchgeführt werden.

Neuere Studien sprechen dafür, nach einer Triple-Therapie nur die Kombination aus Clopidogrel und Phenprocoumon zu verwenden. Zwölf Monate nach Infarkt oder Stentimplantation sollte nur noch antikoaguliert werden.Unter einer Triple-Therapie sollte der INR-Wert vorsichtshalber nur zwischen 2,0 und 2,5 liegen.

Die S1-Handlungsempfehlung zu den Thrombozytenaggregationshemmern in Kurz- und Langfassung ist zum freien Download verfügbar unter leitlinien.degam.de/index.php?id=1246. Eine S2-Leitlinie mit umfangreichem Evidenzreport ist in Arbeit und soll im Lauf des Jahres veröffentlicht werden.


Literatur
Literaturbelege sind beim Autor erhältlich.



Autor:

Dr. med. Günther Egidi, Bremen

Facharzt für Allgemeinmedizin
28259 Bremen

Interessenkonflikte: keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (4) Seite 26-27