Die klassische Pille ist mit einem Pearl-Index von 0,1 bei korrekter Anwendung eines der sichersten Kontrazeptionsverfahren. Trotzdem ist die Anwendung der Pille seit ihrer Markteinführung von Vorurteilen begleitet, die auch in der täglichen Praxis immer wieder geäußert werden. Diese sollen im Folgenden anhand der vorliegenden Daten evidenzbasiert diskutiert werden. Zudem soll der Artikel Tipps bei der Auswahl der richtigen Pille vermitteln und auf die von den Frauen häufig gestellten Fragen eingehen.

Seit ihrer Erstzulassung im Jahre 1960 hat sich die hormonelle Kontrazeption zu dem im europäischen Raum am häufigsten angewandten kontrazeptiven Verfahren entwickelt. Die Pille enthält im Regelfall ein Östrogen, meist das synthetisch hergestellte Ethinylestradiol in einer Dosierung von 20 - 35 mg, sowie ein Gestagen, das im Wesentlichen für die Sicherheit der Pille verantwortlich ist. Durch die Einnahme einer Pille wird dem Körper eine ausreichende Hormonkonzentration vorgetäuscht, wodurch die Sekretion von FSH und LH und damit die Follikelreifung gestört und die Ovulation zuverlässig gehemmt wird. Daneben haben die Gestagene noch einen Einfluss auf den Zervixschleim sowie die Beweglichkeit der Eileiter und bewirken eine Veränderung des Endometriums, was dazu führt, dass die Befruchtung der Eizelle und die Einnistung gestört werden. Es gibt eine große Zahl unterschiedlicher Gestagene, die verschiedene antiandrogene und antimineralokortikoide Partialwirkungen haben.

Was sind nun die häufigsten Bedenken bzw. Ängste rund um die Pille, die auch dem Hausarzt gegenüber geäußert werden?

„Das kann doch nicht gut sein, jahrelang diese Hormone und die Chemie“

Die langdauernde Einnahme der Pille ist entgegen häufig geäußerter Vermutungen mit großer Sicherheit nicht schädlich. Im Gegenteil. In Kohortenstudien leben Pillenanwenderinnen signifikant länger im Vergleich zu einem Kontrollkollektiv, die Gesamtmortalität ist sogar signifikant niedriger [1].

„Pille macht Krebs“

Die langdauernde Einnahme der Pille erhöht das individuelle Krebsrisiko nicht. Auch das Risiko der Entstehung eines Mammakarzinoms wird durch die Einnahme einer Pille nicht erhöht, auch nicht bei familiärer Belastung [2]. Das Risiko der Entstehung eines Ovarialkarzinoms wird sogar signifikant reduziert [3]. Auch das Risiko eines Endometriumkarzinoms wird um bis zu 50 % reduziert [4]. Diese Protektion hält bis zu 20 Jahre nach Beendigung der Einnahme an. Pillenanwenderinnen sterben insgesamt deutlich seltener an Krebs. Lediglich HPV-positive Pillenanwenderinnen haben nach fünf Jahren ein dreifach erhöhtes Risiko eines Zervixkarzinoms [6]. Dies ist jedoch wahrscheinlich durch einen Bias begründet, da Pillenanwenderinnen grundsätzlich verständlicherweise als sexuell aktiv angesehen werden müssen und bekanntermaßen sexuelle Aktivität mit einem erhöhten Zervixkarzinomrisiko verbunden ist. In den vorliegenden Studien stieg damit in Abhängigkeit von der Einnahmedauer der Pille das Zervixkarzinomrisiko an. Es sollte deshalb allen Mädchen vor Erstverordnung der Pille eine HPV-Impfung empfohlen werden.

„Pille macht Thrombosen, Herzinfarkte und Schlaganfälle“

Pillenanwenderinnen sterben insgesamt seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen [7]. Allerdings ist das Thromboserisiko besonders bei Raucherinnen drastisch erhöht. Dies gilt insbesondere in der Altersgruppe über 35 Jahre, wo die Mortalität aufgrund von Thrombosen und Embolien pro 100 000 Frauenjahren von 11 bei Nichtraucherinnen auf 206 bei Raucherinnen mit Pille ansteigt [7]. Es sollte daher grundsätzlich Raucherinnen über 35 Jahre die Pille möglichst nicht verordnet werden.

„Du wirst sehen, wenn du dann mal Kinder haben willst, dann klappt es nicht“

Auch eine langfristige Einnahme der Pille reduziert die Fertilität nach Absetzen nicht und hat keinen Einfluss auf nachfolgende Schwangerschaften [8]. Auch die Abort- bzw. Fehlbildungsrate wird durch eine vorherige Pilleneinnahme nicht erhöht.

„Die Pille sollte man nur nehmen, wenn man sie zur Empfängnisverhütung unbedingt braucht“

Die Pille ist die derzeit beste Therapie zur Behandlung von Ovarialzysten, Dys- und Hypermenorrhoe sowie der Endometriose.

Auswahl der richtigen Pille

Neben dem täglichen Kampf mit Vorurteilen ist ein weiteres Problem in der täglichen Praxis die Auswahl der richtigen Pille. Es gibt in Deutschland derzeit 57 zugelassene Präparate. Die typische Vorgehensweise bei der Auswahl der geeigneten Pille, worauf man achten muss und welche Untersuchungen erforderlich sind, wird im Folgenden anhand der häufigsten Konstellationen dargestellt.


Fall 1: 17-jähriges Mädchen, erster Freund.

  1. Anschauen: Normal entwickelt? Phänotypische Besonderheiten?
  2. Anamneseerhebung: Zyklus regelmäßig? Hautprobleme? Fettige Haare? Irgendwelche Beschwerden? Besondere Krankheiten? Familienanamnese?
  3. Untersuchung: Im Rahmen der Pillenerstverordnung sind die folgenden Untersuchungen erforderlich: allgemeine Untersuchung mit Blutdruckmessung, gynäkologische Untersuchung einschließlich Tastuntersuchung der Brust. Diese Untersuchungen sollten jährlich wiederholt werden. Ohne entsprechende Anamnese ist eine gezielte Gerinnungsdiagnostik nicht erforderlich.
  4. Aufklärung: Es gibt eine große Zahl absoluter und relativer Kontraindikationen gegen hormonelle Kontrazeptiva (vgl. Tabelle 1, S. 38), die durch die oben dargelegte Anamneseerhebung ausgeschlossen werden müssen.

Fall 2: 19-jähriges Mädchen, normal entwickelt, keine Probleme mit Zyklus, Haut und Haaren, Familienanamnese unauffällig.

Auswahl der Pille: Es sollte ein Pillenpräparat mit mindestens 20 - 30 µg Ethinylestradiol ausgewählt werden. Bei niedrigerer Östrogendosierung besteht ein erhöhtes Osteoporoserisiko in der Menopause. Es sollte hier ein Ein-Phasenpräparat ausgewählt werden. Bislang gehörten in dieser Situation drospirenonhaltige Antikonzeptiva (z. B. Yasmin®, Petibelle®) zu den beliebtesten Antibabypillen. Drospirenonhaltige Pillen sind insbesondere im angloamerikanischen Raum in Diskussion geraten und haben auch bereits zu entsprechenden Schadensersatzforderungen geführt, da in einigen Registerauswertungen festgestellt wurde, dass sie das Thromboserisiko stärker erhöhen würden als Antikonzeptiva mit Gestagenen wie Desogestrel oder Gestoden. Eine endgültige Antwort auf diese Frage steht noch aus. Es liegt eine aktuelle Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe [9] vor. Danach kann wohl nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass drospirenonhaltige Antikonzeptiva möglicherweise ein höheres Thromboserisiko als andere Pillenpräparate haben.

Fall 3: Das gleiche 19-jährige Mädchen kommt wieder, hat die Pille zwar gut vertragen, aber regelmäßige Zwischenblutungen.

Lösung: Bei Pillenneuverordnung sollte man wenn möglich drei Monate abwarten, bevor das Pillenpräparat gewechselt wird. Falls danach immer noch Zwischenblutungen bestehen, sollte die Östrogendosis von 20 auf 30 µg erhöht oder ein Drei-Phasen-Präparat gewählt werden.

Fall 4: 23-jährige Frau mit offensichtlichen kosmetischen Problemen

Adipositas, unreine Haut, Hirsutismus. Bei der Anamneseerhebung klagt die Patientin über einen unregelmäßigen Zyklus, fettige Haare, Hautunreinheiten. Die Familienanamnese ist unauffällig, auch bei der Untersuchung kein auffälliger Befund.

Lösung: Es sollte hier eine sogenannte Hautpille, das heißt eine Pille mit einem antiandrogenen Gestagen gewählt werden. Hier hat sich das folgende Stufenkonzept bewährt:

  1. Stufe: Drospirenonhaltiges Antikonzeptivum (z. B. Yasmin®, Petibelle®, Yaz®, Aida®)
  2. Stufe: Dienogesthaltige Pille (z. B. Valette®)
  3. Stufe: Chlormadinonacetathaltige Pille (z. B. Belara®, Neo Eunomin®)
  4. Stufe: Cyproteronacetathaltige Pille (z. B. Diane® 35, Juliette®)

Fall 5: „Ich will nicht immer Tabletten schlucken.“

Lösung: In diesem Fall bietet sich eine alternative Darreichungsform der Pille in Form eines Pflasters (z. B. Evra®) oder als hormonhaltiger Scheidenring (z. B. Nuvaring®) an.

Fall 6: Aktueller Verkehr, an Empfängnisverhütung nicht gedacht oder Kondom geplatzt.

Lösung: Pille danach, mit der noch bis zu 120 Stunden nach ungeschütztem Verkehr eine Schwangerschaft verhindert werden kann, z. B. ellaOne®.

Fall 7: Junge Frau in betreutem Wohnen, unzuverlässig in der Pilleneinnahme

Lösung: Bei nicht gesicherter Einnahmezuverlässigkeit sollten andere Verfahren wie z. B. die Dreimonatsspritze (z. B. Depo-Clinovir®), ein Hormonimplantat in Form von Implanon® oder eine hormonhaltige Spirale (z. B. Mirena®) gewählt werden.


Häufig gestellte Fragen

Die häufigsten im Zusammenhang mit der Pille gestellten Fragen sind:

Vor Operation Pille absetzen?

Ja, die Pille sollte vier bis sechs Wochen vorher abgesetzt werden.

Was ist besser, jeden Monat eine Pillenpause mit Menstruation oder Einnahme der Pille ohne Pause in Form des Langzyklus über sechs bis zwölf Monate?

Bei zyklusabhängigen Erkrankungen wie z. B. Dysmenorrhoe oder Endometriose ist die Effektivität der Pilleneinnahme im Langzyklus deutlich höher. Weiterhin ist bei Einnahme der Pille im Langzyklus die kontrazeptive Sicherheit erhöht. Der Nachteil besteht darin, dass es sich derzeit noch um eine Off-label-Anwendung handelt.

Habe die Pille vergessen.

Ein einmaliges Vergessen der Pille reduziert die kontrazeptive Sicherheit nicht, sie sollte innerhalb von 24 Stunden so schnell wie möglich nachgeholt werden, dann normal mit der Pillenpackung weitermachen. Problematisch wird es, wenn mehr als eine Pille vergessen wurde. Wurde die Pille in Woche 1 vergessen, stellt dies ein hohes Risiko dar. Hier sollte für die nächsten sieben Tage nach dem Fehler zusätzlich mit einem anderen Verfahren verhütet werden. Erfolgte der Geschlechtsverkehr vor dem Vergessen der Pille, kann dies zu einer Schwangerschaft führen und es muss dann über die Pille danach diskutiert werden.

Wurde die Pille in Woche 2 des Zyklus vergessen und erfolgte vorher mindestens eine siebentägige Hormonanwendung, besteht kein zwingender Grund, zusätzlich zu verhüten. Durch eine mindestens siebentägige Pillenanwendung ist das Follikelwachstum im Regelfall so supprimiert, dass keine Ovulation stattfinden kann.

Wurde die Pille in Woche 3 des Zyklus vergessen, sollte die sonst übliche siebentägige Einnahmepause der Pille entweder vorgezogen werden (Tag des Vergessens = erster Tag der Pause) oder man lässt die Einnahmepause weg und fährt im Langzyklus weiter und in diesem Fall muss zu keiner Zeit zusätzlich verhütet werden.


Literatur
1. Hannaford PC, Iversen L, Macfarlane TV, Elliott AM, Angus V, Lee AJ (2010): Morality among contraceptive pill users: cohort evidence from Royal College of General Practitioners’ Oral Contraception Study. BMJ 2010; 340: c927; 1-9 (8)
2. Kaaks R, Rinaldi S, Key TJ et. al.: Postmenopausal Serum androgens, oestrogens and breast cancer risk: the European prospective investigation into cancer and nutrition. Endocr Relat Cancer, 2005; 12:1071-1082
3. Beral et al. in Lancet 371: 303-314
4. Cibula et al.: Effect of OC use on risk of endometrial cancer. Human Reprod Update 2010 1-20
5. Moreno et al. Lancet (2002) 359: 1085-92
6. Rabe et al.: Trombophilie in der Gynäkologie und Geburtshilfe Teil 1. J Reproduktionsmed Endokrinol 2009; 6: 156-164 (14)
7. The ESHRE Capri Workshop Group. Noncontraceptive health benefits of combined Oral contraception. Hum Reprod Update, 2005: 513-525

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Prof. Dr. med. Peter Mallmann


Kontakt:
Prof. Dr. med. Peter Mallmann
Universitäts-Frauenklinik Köln
50931 Köln

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (15) Seite 36-41