Die Beratung zu Impfungen, Mückenschutz, Vorbeugung von Durchfall­erkrankungen durch Nahrungsmittelhygiene und zur Malariaprophylaxe gehört zur täglichen Routine bei der Beratung von Reisenden. Trotzdem ist jede Beratung individuell. Manchmal wird der Arzt dabei auch mit sehr anspruchsvollen Fragen konfrontiert, die sich nicht immer durch Nachschlagen in einem Fachbuch lösen lassen.

Fall 1: Geschäftsreise nach Saudi-Arabien

Ein 41-jähriger Betriebswirt muss in einer Woche zu einem wichtigen Geschäftstermin nach Riad (Saudi-Arabien). Er wird dort in einem gehobenen Hotel übernachten und fünf Tage bleiben. Er hat als Kind die „üblichen“ Impfungen erhalten. Eine Hypertonie ist seit fünf Jahren bekannt und unter Medikation mit einem Betablocker gut eingestellt. Bei der Anamnese gibt er an, täglich eine Flasche Wein „zur Entspannung“ zu trinken. Vor drei Jahren war er wegen eines zerebralen Krampfanfalles im Rahmen eines Alkoholentzugsdelirs eine Woche in stationärer Behandlung, hat nach diesem Aufenthalt jedoch keine Langzeitentzugstherapie in Anspruch genommen. Die Transaminasen sind leicht (1,5-fach des oberen Normwertes), die Gamma-GT deutlich (dreifach des Normwertes) erhöht.

Welche Impfungen sollten durchgeführt werden?

Da die letzten Impfungen im Kindesalter erfolgten, sollte eine Auffrischimpfung gegen Tetanus, Diphtherie und nach den neuen STIKO-Empfehlungen auch bei Erwachsenen einmalig gegen Pertussis erfolgen. Weiterhin gegen Poliomyelitis, wenngleich das Risiko für diese Erkrankung gering ist. Es existieren Kombinationspräparate gegen alle vier Erkrankungen. Da Influenza auch in arabischen Ländern vorkommt, sollte auch eine Grippeimpfung erfolgen. Bei bestehender Lebererkrankung haben akute Virushepatitiden oft einen schweren Verlauf. Es sollte deshalb eine Impfung gegen Hepatitis A erfolgen. Der Impfschutz baut sich sehr schnell auf, so dass für die geplante Reise nach der ersten Impfung bereits ein Schutz besteht.

Gefahr des Alkoholentzugsdelirs

In Saudi-Arabien sind sowohl Verkauf als auch Konsum von alkoholischen Getränken aller Art verboten und werden streng bestraft. Dies gilt auch für Touristen und für Geschäftsleute.

Da bei dem Reisenden eine Alkohol­abhängigkeit besteht und bereits ein Entzugskrampf aufgetreten ist, besteht ein sehr hohes Risiko, dass es während der Reise erneut zu einem Alkoholentzugsdelir kommt. Der Reisende wird auf diese Gefahr hingewiesen und erhält den Rat, die geplante Reise abzusagen. Da es sich um einen sehr wichtigen Geschäftstermin handelt, lehnt der Reisende eine Absage gegen ärztlichen Rat ab.

Nach ausführlicher Aufklärung und Dokumentation erhält der Patient ein Rezept über Clomethiazol (Distraneurin®) mit einem Bedarf für fünf Tage sowie eine englischsprachige Bescheinigung, dass dieses Medikament zur Vermeidung von Krampfanfällen benötigt wird. Dieses Medikament ist nur zur stationären Behandlung des Alkoholentzugsdelirs vorgesehen. Es handelt sich deshalb um eine Off-Label-Anwendung. Die Entscheidung zur ambulanten Verordnung von Clomethiazol muss auch unter juristischen Aspekten sehr kritisch gesehen werden. Eine Alternative ist die Verordnung von langwirksamen Benzodiazepinen. Bei beiden Medikamenten besteht Fahruntauglichkeit, auch hierüber muss der Reisende schriftlich aufgeklärt werden.

Verlauf

Der Reisende wurde nach der Rückkehr telefonisch kontaktiert. Der Auslandsaufenthalt verlief komplikationslos. Die Tabletten wurden an der Grenze nicht beanstandet, Entzugserscheinungen traten unter der Einnahme von Clomethiazol nicht auf. Bereits auf dem Rückflug wurde aber wieder Alkohol konsumiert. Ein Termin für eine Entgiftung wurde bisher nicht vereinbart. Die Notwendigkeit einer stationären Entzugsbehandlung wurde dem Patienten nochmals, wie schon vor der Reise, eindringlich nahegelegt.

Sicherlich hätte man in diesem Falle die Verordnung eines Medikamentes zur Vermeidung einer Entzugssymptomatik auch verweigern können. Da der Reisende sich aber von der Reise nicht hat abbringen lassen, wären im Land mit großer Wahrscheinlichkeit ernste Probleme aufgetreten.

Fall 2: Flugreise bei Anämie

Ein Rentnerehepaar verbringt seit 15 Jahren jedes Jahr den Urlaub im gleichen Hotel in Fuerteventura. Sie planen nun erneut eine dreiwöchige Reise nach Fuerteventura. Die Frau ist 70 Jahre alt und gesund. Der Mann ist 74 Jahre alt und leidet seit einem Schlaganfall vor fünf Jahren an einer spastischen Hemiparese rechts. Weiterhin besteht ein Myelodysplastisches Syndrom mit Transfusionsbedarf alle drei Wochen. Der aktuelle Hämoglobinwert beträgt 7,8 mg/dl.

Welche Impfungen sollten bei dem Mann durchgeführt werden?

Eine Auffrischimpfung gegen Tetanus, Diphtherie und Pertussis, wenn diese Impfungen mehr als zehn Jahre zurückliegen. Falls kein Impfschutz besteht, eine Impfung gegen Hepatitis A. Wegen des hohen Lebensalters und der hämatologischen Grunderkrankung eine Influenzaimpfung (jährlich wiederholen) und eine Pneumokokkenimpfung. Dies hat im Zusammenhang mit der Reise eine besondere Relevanz: In Spanien treten vermehrt peni­cillin- und makrolidresistente Pneumokokkenstämme auf.

Besteht in Anbetracht der Anämie Flugreisetauglichkeit?

Wegen des verminderten Kabinendruckes in Linienflugzeugen muss der Hämoglobinwert bei mindestens 9,0 g/dl liegen. Dies gilt sowohl für den Hin- als auch für den Rückflug. Das Ehepaar möchte auf Fuerteventura keine Bluttransfusion durchführen lassen. Da in den letzten sechs Monaten der Hämoglobinwert alle drei Wochen auf unter 8 g/dl gefallen ist, werden in der Woche vor dem Flug drei Erythrozytenkonzentrate transfundiert. Nach den Transfusionen beträgt der Hämoglobinwert 11,7 g/dl. Die Reise wird wie geplant angetreten und verläuft einschließlich des Rückfluges problemlos.

Fall 3: Mit COPD nach New York

Ein 58-jähriger Frührentner plant einen Kurzurlaub in New York. Er hatte vor fünf Jahren einen Myokardinfarkt und leidet an einer Hypertonie, die medikamentös gut eingestellt ist. Eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung wird mit inhalativen Beta-2-Mimetika und 15 mg Prednisolon täglich behandelt.

Welche Impfungen sind erforderlich?

Neben einer Auffrischimpfung gegen Tetanus, Diphtherie und Pertussis sind wegen der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung Impfungen gegen Influenza und Pneumokokken erforderlich.

Da es sich um Totimpfungen handelt, sind unter Kortikoidtherapie keine vermehrten Nebenwirkungen zu erwarten. Bei einer systemischen Steroidtherapie mit einer Dosierung von bis zu 20 mg Prednisolonäquivalent ist die Antikörperbildung auf eine Pneumokokkenimpfung genauso stark ausgeprägt wie bei Menschen ohne Kortikoidtherapie. Die Impfungen können also durchgeführt werden.

Ggf. Sauerstoff mitführen

Vor der Reise sollte eine Lungenfunktionsuntersuchung durchgeführt und die Sauerstoffsättigung im Blut (z. B. mittels eines Pulsoxymeters) gemessen werden. Bei folgenden Werten ist keine weitere Vorbereitung erforderlich:

  • FEV1 > 70 %
  • Vitalkapazität > 3 l
  • Sauerstoffsättigung > 85 %

Werden diese Werte unterschritten, muss während des Fluges Sauerstoff gegeben werden. Die für den Fall eines Druckabfalls vorgesehenen Sauerstoffmasken dürfen hierfür nicht verwendet werden, es muss zusätzlich Sauerstoff mitgeführt werden. Die Fluggesellschaft muss hierüber rechtzeitig informiert werden. Dafür muss ein standardisiertes MEDA-Formular ausgefüllt und an die Fluggesellschaft geschickt werden.

Fall 4: Herzkranker Patient in Afrika

Ein 48-jähriger Bankkaufmann plant eine Rundreise in Kamerun. Er hatte vor drei Jahren einen Myokardinfarkt und steht wegen einer Herzrhythmusstörung unter Dauertherapie mit Amiodaron. Sämtliche für Deutschland empfohlenen Standardimpfungen sind vorhanden.

Welche Impfungen sind erforderlich?

Die Impfung gegen Gelbfieber ist für die Einreise vorgeschrieben und auch sinnvoll. Sie darf nur durch von der zuständigen Landesbehörde zugelassene Impfstellen durchgeführt werden.

Da sich Kamerun im „Meningitisgürtel“ befindet, sollte eine tetravalente Meningokokkenimpfung gegen die Serotypen A, C, Y und W35 durchgeführt werden. Hierfür sollten Konjugatimpfstoffe (Menveo® oder Nimenrix®) verwendet werden. Eine aktive Impfung gegen Hepatitis A ist wichtig und bietet einen sehr guten Schutz.

Die vorhandene Poliomyelitisimpfung sollte aufgefrischt werden, wenn die letzte Impfung mehr als fünf Jahre zurückliegt. Es sollte eine Aufklärung über das Tollwutrisiko erfolgen. Für einen Impfschutz sind drei Impfungen erforderlich. Die Entscheidung für oder gegen eine Tollwut­impfung sollte individuell (Risiko von Tierkontakten) gefällt werden.

Das Risiko für Cholera ist für Touristen relativ gering. Zwei Gründe sprechen dafür, trotzdem eine Impfung mit dem Schluckimpfstoff (Dukoral®) zu empfehlen: Erstens kann entgegen der offiziellen Bestimmungen bei der Einreise eine Choleraimpfung verlangt werden. Zweitens schützt die Impfung auch vor einer Infektion bestimmter E. coli-Durchfallerreger. Das Risiko für Durchfallerkrankungen wird durch die Impfung reduziert.

Prophylaxe gegen Malaria?

Wegen der Therapie mit Amiodaron dürfen viele Malariamedikamente nicht gegeben werden. Im gesamten Land besteht jedoch ein sehr hohes Malariarisiko, so dass neben Mückenschutz eine medikamentöse Prophylaxe erforderlich ist. Eine Möglichkeit ist die Prophylaxe mit Atovaquon/Proguanil (Malarone®). Die Einnahme sollte einen Tag vor Betreten des Malariagebietes erfolgen, während des gesamten Aufenthalts weitergeführt und für sieben Tage nach Verlassen des Gebietes fortgesetzt werden. Eine Alternative stellt die Einnahme von Doxyzyklin dar. Dieses Medikament ist für diese Indikation nicht zugelassen, der Reisende sollte über die Off-Label-Anwendung aufgeklärt werden. Zu beachten ist eine mögliche Photosensibilisierung. Ein Vorteil ist, dass Doxyzyklin auch vor dem Afrikanischen Zeckenbissfieber schützt.

Gefahr für erneuten Herzinfarkt?

Akute Koronarsyndrome sind bei Senioren die häufigste Todesursache während einer Reise. Die meisten Myokardinfarkte treten in den ersten beiden Tagen einer Reise auf. Bei Übernachtung in Wohnmobilen oder Zelten ist das Risiko für Myokardinfarkte ebenfalls erhöht. Der Reisende sollte deshalb besonders in den ersten Urlaubstagen auf eine komfortable Unterbringung, z. B. in einem Hotel mit gehobenem Standard, achten.

Fall 5: Unvollständiger Gelbfieber-Impfschutz

Ein 38-jähriger Kaufmann muss in fünf Tagen zu einem dreitägigen Geschäftstermin nach Gabun. Er bleibt in der Hauptstadt. Die für Deutschland empfohlenen Standard­impfungen sind vorhanden. Für die Einreise wird eine Gelbfieberimpfung verlangt. Diese ist nach internationalen Vorschriften allerdings erst nach zehn Tagen gültig.

Wie gehen Sie vor?

Im Land besteht Gelbfieberrisiko. Eine Verschiebung der Reise kommt für den Geschäftsmann nicht infrage. Die Antikörperbildung nach einer Gelbfieberimpfung beginnt bereits in den ersten Tagen. Nach fünf Tagen ist bereits ein recht guter, aber noch nicht vollständiger Schutz gegeben. Der Reisende wird hierüber aufgeklärt und direkt geimpft. Zusätzlich wird er über Mückenschutz beraten, um das Risiko weiter zu minimieren. Eine Vordatierung der Impfung erfolgt nicht, es wird das tatsächliche Impfdatum eingetragen. Der Reisende wird darüber aufgeklärt, dass die Impfung bei der Einreise möglicherweise nicht akzeptiert wird, da zum Zeitpunkt der Einreise noch keine zehn Tage verstrichen sind. Weiterhin erfolgen eine Impfung gegen Hepatitis A und eine Poliomyelitis-Auffrischimpfung. Eine medikamentöse Malariaprophylaxe wird empfohlen, aber vom Reisenden abgelehnt. Dies ist wegen der Kürze der Reise auch vertretbar.

Verlauf

Nach der Rückkehr wird der Reisende telefonisch über den Reiseverlauf befragt. Bei der Einreise wurde der Impfausweis eingesehen, das Datum der Impfung aber nicht kontrolliert. Einreise und Aufenthalt verliefen komplikationslos.

Fall 6: Fernreise mit HIV

Ein 25-jähriger Student plant eine vierwöchige Rundreise in Kenia. Er weiß seit einem Jahr, dass er HIV-positiv ist. Die CD4-Zahl beträgt 300/µl. Symptome der Infektion sind bisher nicht aufgetreten. Eine Impfung gegen Hepatitis B ist bereits erfolgt.

Sind Totimpfungen in dieser Situation möglich?

Ja. Es werden Impfungen gegen Poliomyelitis (Auffrischung), Hepatitis A und gegen Meningokokken Typ A, C, Y, W (Menveo® oder Nimenrix®) durchgeführt. Wegen des erhöhten Durchfallrisikos erfolgt eine Impfung gegen Cholera, die auch vor anderen Durchfallerregern einen Schutz bietet (Dukoral®).

Ist eine Gelbfieberimpfung (Lebendimpfung!) möglich?

Da die CD4-Zellzahl > 200/µl liegt und keine Symptome bestehen, ist in dieser Situation eine Gelbfieberimpfung möglich und sinnvoll. Bei niedrigeren CD4-Zellzahlen ist eine Gelbfieberimpfung dagegen kontraindiziert.

Was ist noch bei der Beratung zu beachten?

In afrikanischen Ländern besteht ein erhöhtes Tuberkuloserisiko. Bei HIV-positiven Menschen ist das Risiko, eine Tuberkulose zu erwerben, erhöht. Der Reisende wird über das erhöhte Risiko bei engem Kontakt zur einheimischen Bevölkerung aufgeklärt.

Fall 7: Lange Flugreise mit Thrombophilie

Eine 30-jährige Lehrerin plant eine Flugreise nach Australien. Ihre Schwester hat im Alter von 20 Jahren eine tiefe Beinvenenthrombose erlitten. Daraufhin wurde bei der Lehrerin der Faktor V Leiden bestimmt: Sie ist für dieses Gen heterozygot. Sie selbst hat bisher keine thromboembolischen Ereignisse gehabt. Sie nimmt ein orales Kontrazeptivum ein und ist Nichtraucherin.

Durch die Thrombophilie und die Einnahme oraler Kontrazeptiva besteht ein mittleres Thromboserisiko. Das Tragen von Kompressionsstrümpfen reduziert nachweislich das Thromboserisiko auf Langstreckenflügen und wird der Patientin empfohlen. Weiterhin ist nachgewiesen, dass sich bei Passagieren, die im Flugzeug auf einem Gangplatz sitzen, seltener tiefe Beinvenenthrombosen entwickeln. Das Thromboserisiko in der Business-Class unterscheidet sich dagegen entgegen einer landläufigen Meinung nicht von dem Thromboserisiko von Passagieren der Economy-Class. Der Reisenden wird deshalb empfohlen, rechtzeitig einen Sitzplatz am Gang zu buchen. Weiterhin sollte die Reisende das orale Kontrazeptivum eine Woche vor dem geplanten Flug absetzen. Für die Gabe eines niedermolekularen Heparins zur Prophylaxe von Reiseve­nenthrombosen existieren dagegen weder Studien mit ausreichender Fallzahl noch eine Zulassung.


Interessenkonflikte:
keine deklariert

Dr. med. Andreas H. Leischker, M.A.


Kontakt:
Dr. med. Andreas H. Leischker, M.A.
Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Altersmedizin
Alexianer Krefeld GmbH
47805 Krefeld

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (3) Seite 14-18