Im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) war im Frühjahr noch einmal dezidiert niedergeschrieben worden, dass Krankenkassen oder Ärzte sich nicht durch unzulässige Beeinflussung von Diagnose finanzielle Vorteile verschaffen dürfen. Die zuvor bekannt gewordene Praxis des sogenannten "Upcodings" sollte damit ausdrücklich verboten werden. Doch Gerüchte, dass die Kassen dennoch weiter versuchen würden zu tricksen, haben nun den Präsidenten des Bundesversicherungsamts (BVA) zu einem Machtwort veranlasst.

Tatsächlich sollen Krankenkassen Ärzte vielfach dafür bezahlt haben, ihre Patienten kränker zu machen, als sie es sind. Diagnosen waren verschlimmert worden, damit die Kassen höhere Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds des Morbiditäts-Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) erhielten. Dazu hatten die Kassen wohl versucht, Einfluss auf die Diagnosekodierung von Ärzten zu nehmen.

Riskant für Patienten

Politiker sprachen von Betrug und wiesen darauf hin, welche Risiken dadurch für die Patienten entstehen könnten. Wenn diese eine unkorrekte Diagnose erhalten und sie damit zu einem anderen Arzt wechseln, werden sie dort möglicherweise auch falsch behandelt. Zudem könnte ein Patient seinen Versicherungsschutz verlieren, wenn später ein Versicherungsfall eintritt und die Versicherung aufgrund der "gefälschten" Diagnose davon ausgeht, dass der Patient dies wissentlich verschwiegen habe.

Im neuen HHVG wurde nun klar festgelegt, dass diese rechtswidrige Vertragsgestaltung beendet werden muss. Die Krankenkassen werden dabei auch zur Mitwirkung bei der Aufklärung von Zweifelsfällen verpflichtet. Verweigern sie diese Mitwirkung, kann das Bundesversicherungsamt ein Zwangsgeld von bis zu 10 Millionen Euro verhängen. Um Auffälligkeiten bei den Krankenkassendaten besser zu erkennen, soll ab 2018 der Risikostrukturausgleich zudem auch mit Hilfe einer regionalen Zuordnung der Patienten analysiert werden.

Immer neue Tricksereien?

Die sogenannten Betreuungsstrukturverträge der Kassen, in deren Rahmen es für Ärzte Geld für bestimmte Diagnosestellungen gab (was auch vom Deutschen Hausärzteverband schon seit längerem heftig kritisiert worden war), sind somit nunmehr gesetzlich verboten.

Doch kaum war das Gesetz in trockenen Tüchern, tauchten auch schon die ersten Vorwürfe auf, dass die Krankenkassen nun andere Tricksereien planen oder begehen würden, um mehr Geld aus dem Morbi-RSA zu ziehen. Daraufhin ist dem Präsidenten des Bundesversicherungsamts, Frank Plate, dann offenbar der Kragen geplatzt. In einem Schreiben an alle am Risikostrukturausgleich teilnehmenden Krankenkassen, das nachrichtlich auch an das Bundesministerium für Gesundheit, die Aufsichtsbehörden der Länder sowie den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen gerichtet war, machte er seiner Verärgerung Luft. In seinem Schreiben stellt er noch einmal klar, dass der rechtmäßigen Erhebung und Meldung der für den RSA maßgeblichen Daten eine besondere Bedeutung zukommt und diese darüber hinaus von großem öffentlichen Interesse ist. Danach macht er deutlich, dass die von den Leistungserbringern an die Kassenärztlichen Vereinigungen übermittelten Diagnoseschlüssel unverändert an die Krankenkassen zu übermitteln sind. Eine erneute Übermittlung in korrigierter oder ergänzter Form ist nur im Fall technischer Übermittlungs- oder formaler Datenfehler zulässig. Eine nachträgliche Änderung oder Ergänzung von Diagnosedaten ist unzulässig. Plate weist explizit auch darauf hin, dass eine Beratung eines Arztes oder Psychotherapeuten durch die Krankenkassen oder durch einen von der Krankenkasse beauftragten Dritten im Hinblick auf die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen auch mittels informationstechnischer Systeme unzulässig ist.

Nur in den gesetzlich geregelten Fällen dürften Krankenkassen Vertragsärzte beraten, so Plate weiter. Es gehöre im Rahmen der Regelversorgung aber nicht zu den zugelassenen Aufgaben der Krankenkassen, die Vertragsärzte zur Vergabe und Dokumentation der Diagnosen zu beraten. Auch eine beratende Beeinflussung des Kodierverhaltens über den Einsatz von Praxissoftware sei unzulässig. Das hört sich alles etwas redundant an, aber offensichtlich will Plate hier alle etwaigen Unklarheiten oder potenzielle Missverständnisse aus dem Weg räumen. Er verweist dann die Krankenkassen nochmals auf ihre Mitwirkungspflicht und die Möglichkeit eines hohen Zwangsgeldes, sollten die Kassen sich hier nicht einsichtig zeigen.

Verstöße nachträglich noch melden

Außerdem droht er damit, bei allen am RSA teilnehmenden Krankenkassen zukünftig Prüfungen auch vor Ort durchführen zu lassen, wenn sich dies als notwendig herausstellt, um unzulässige Diagnosebeeinflussung zu verhindern oder auch um in der Vergangenheit begangene Rechtsverstöße zu korrigieren. Besonders schmerzhaft für die betroffenen Kassen: Die Einnahmen aus den Korrekturbeträgen werden dem Gesundheitsfonds zugewiesen.

Im gleichen Schreiben lässt der BVA-Chef den Krankenkassen aber noch ein letztes Schlupfloch, um Strafzahlungen zu vermeiden: Das BVA habe die Möglichkeit, von der Erhebung eines "Strafaufschlags" ganz oder teilweise abzusehen, wenn eine Krankenkasse von sich aus auf Fehler bei den Datenmeldungen hinweist und sich aktiv an der Sachverhaltsermittlung beteiligt. Freundlich bittet Plate deshalb die Kassen darum, die in der Vergangenheit gemeldeten Daten intensiv dahingehend zu überprüfen, ob diese auch nach den nunmehr eindeutigen Klarstellungen noch rechtmäßig sind. Über fehlerhafte Datenmeldungen möge man das BVA dann bitte informieren.

Appell an das Gewissen

Am Ende seines Brandbriefs appelliert Frank Plate noch einmal an das Solidaritätsbewusstsein der Krankenkassen. Die Vorwürfe der Manipulation und des Betrugs seitens der Gesetzlichen Krankenversicherung schadeten dem Ansehen der GKV in der Bevölkerung: Dies müsse im gemeinsamen Interesse zukünftig vermieden werden. Jede Kasse sei mitverantwortlich für das Erscheinungsbild der GKV insgesamt und für das Vertrauen der Versicherten in das Versorgungssystem. Von den Kassen erwartet der BVA-Chef, dass sie sich dieser besonderen Verantwortung bewusst sind.

Und auch die Ärzteschaft macht Plate noch einmal darauf aufmerksam, dass Vertragsärzte sich allein für die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen keine wirtschaftlichen Vorteile gewähren lassen dürfen.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (11) Seite 31-32