Die seit Jahren bestehende und kontrovers geführte Diskussion zur Qualität der ärztlichen Leichenschau in Verbindung mit sinkenden Obduktionszahlen veranlasste uns zu einer Analyse der konkreten Gegebenheiten in der sächsischen Großstadt Chemnitz anhand originaler Todesbescheinigungen. Dabei ergab sich, dass lediglich ein geringer Teil der Leichenschauen durch den zuletzt behandelnden Hausarzt erfolgte, der Großteil jedoch vom Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung. Bezüglich der kardialen Todesursachen stimmte nur bei 30 % der obduzierten Fälle die Diagnose mit der des Erstleichenschauers überein.

In Deutschland liegt die Regelung des Friedhofs- und Bestattungsrechtes und damit auch der Leichenschau in der Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer (Art. 70 Abs. 1 GG). Somit bestehen für jedes Bundesland unterschiedliche gesetzliche Grundlagen, die das Leichenschauwesen regeln. Dadurch existieren auch in fast allen Bundesländern verschiedene Todesbescheinigungen. Diese gleichen sich inzwischen inhaltlich weitgehend, weisen aber z. T. länderspezifische formale Eigenheiten auf.

Allen Bundesländern gemein ist jedoch, dass bei jedem Todesfall eine Leichenschau durch einen Arzt vorgenommen werden muss. Diese ärztliche Aufgabe ist grundsätzlich nicht delegierbar.

Sowohl laut sächsischem als auch thüringischem Bestattungsgesetz sind Ärzte verpflichtet, eine Leichenschau durchzuführen. Ausnahmen gelten hierbei lediglich, wenn beispielsweise ein anderweitiger Notfall die Anwesenheit des Arztes nötig macht oder der Arzt als Notarzt im Rettungsdienst tätig ist und ein weiterer Notfall ansteht. In letzterem Fall kann er sich auf das bloße Feststellen des Todes beschränken und eine sogenannte vorläufige Todesbescheinigung ausstellen. Die vollständige Leichenschau muss anschließend von einem ärztlichen Kollegen auf Veranlassung des Arztes bzw. Notarztes durchgeführt werden. Die länderspezifischen Regelungen sind in den jeweiligen Bestattungsgesetzen nachzulesen.

Die ärztliche Leichenschau
Innerhalb der Erstleichenschau gilt es folgende Hauptaufgaben zu erfüllen:
  • Sicheres Feststellen des eingetretenen Todes
  • Zweifelsfreie Identifizierung des Leichnams
  • Bestimmung des Todeszeitpunktes, der Todesursache und der Todesart
(Quelle: abgewandelt nach der Leitlinie der DGRM „Regeln zur Durchführung der ärztlichen Leichenschau“, Stand 12/2012)

Um den Anforderungen der ärztlichen Leichenschau (siehe Kasten) gerecht zu werden, ist es zwingend notwendig, eine gründliche Leichenschau an der entkleideten Leiche vorzunehmen und auch die Umgebungs- und Auffindesituation mit einzubeziehen. Sollte sich bereits zu Beginn der Leichenschau der Verdacht eines nicht natürlichen Todes ergeben, ist von einem weiteren Entkleiden abzusehen und die Polizei zu informieren. Es ist jedoch unumgänglich, auch beim mutmaßlichen Vorliegen eines nicht natürlichen Todes den Leichnam so intensiv wie nötig zu begutachten, um den sicheren Tod anhand mindestens eines sicheren Todeszeichens festzustellen.

Wie korrekt sind Totenscheine?

Wir haben in unserer Studie retrospektiv insgesamt 15.612 originale Todesbescheinigungen in Papierform, die im Gesundheitsamt Chemnitz archiviert sind, aus den Jahren 2009 bis 2013 bezüglich der Hauptkriterien Alter, Geschlecht, Todesursache nach Erstleichenschau sowie nach eventuell erfolgter Obduktion, Todesart und eventuellen Komplikationen im Rahmen der zweiten Leichenschau erfasst. Anschließend erfolgte eine Zuordnung zur Gruppe der kardialen Todesfälle anhand der dokumentierten bzw. kodierten Todesursachen. Zusätzlich wurden Nebenkriterien bezüglich Kodierungsverhalten, Sterbeort und Tätigkeitsgebiet des Leichenschauarztes bestimmt.

Der kardiale Tod

Besondere Aufmerksamkeit in der Auswertung der Daten sollte den kardialen Erkrankungen gewidmet werden, da Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland die häufigste Todesursache sind [1]. Von Interesse waren deshalb einerseits v. a. Sterbefälle, die laut der Leichenschau eines kardialen Todes gestorben waren und eine Obduktion als qualitätssichernde bzw. diagnosesichernde Maßnahme nach sich zogen und bei denen die kardiale Todesursache bestätigt oder widerlegt werden konnte. Andererseits wurden v. a. Sterbefälle betrachtet, bei denen eine Obduktion stattfand, die einen primär nicht erkannten kardialen Todesfall aufdecken konnte. Aufgrund von zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Kategorisierung einzelner Fälle bezüglich kardial oder nicht kardial wurden Ausschlusskriterien für die Gruppe der kardialen Todesfälle definiert. So wurden Fälle, in denen eine maligne oder eine andere konkurrierende Grunderkrankung vorlag, ausgeschlossen, auch wenn diese unter Punkt 2 der Todesbescheinigung verschlüsselt war. Wenn beispielsweise ein Herzversagen als unmittelbare Todesursache vorgelegen haben soll, jedoch ein metastasierendes Karzinom die Grunderkrankung bildete, wurde dieser Fall nicht in die Gruppe der kardial Verstorbenen aufgenommen. Eine Übersicht über die Vorgehensweise und die Zahlenverhältnisse bietet Abb. 1.

Ergebnisse

Von den ausgewerteten 15.612 Todesbescheinigungen konnte bei 3.520 von einem kardialen Todesfall ausgegangen werden (Abb. 2). Die insgesamt niedrige Obduktionsrate von 2,3 % schlägt sich in einer ausgewählten Gruppe, wie der der kardialen Todesfälle, besonders nieder. Es konnten so lediglich 80 Fälle identifiziert werden, in denen eine kardiale Todesursache nach Leichenschau vorlag und eine Obduktion stattfand oder ein kardialer Tod unabhängig vom Ergebnis der Leichenschau bei der Obduktion festgestellt wurde. In 30 % dieser Fälle erwies sich die Qualifizierung als kardial bedingter Todesfall auch nach einer vorgenommenen Obduktion als korrekt. Bei 37,5 % war die primäre Annahme eines kardialen Todes falsch und bei weiteren 32,5 % lag trotz primär anders bescheinigter Todesursache ein kardiales Geschehen vor (Abb. 3). Insgesamt konnte der Positiv Prädiktive Wert (PPV) für die Leichenschau hinsichtlich eines kardialen Todes mit 0,44 bestimmt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei einem bei der Erstleichenschau festgestellten kardialen Todesfall auch tatsächlich um einen solchen handelt, liegt also im Untersuchungszeitraum bei 44 % (Tabelle 1).

Gemäß dem Arztstempel auf den Todesbescheinigungen sowie der Übereinstimmung des Unterzeichners mit der Angabe „zuletzt behandelnder Hausarzt“ konnte das Tätigkeitsgebiet des jeweiligen Leichenschau-haltenden Arztes einer der folgenden Kategorien zugeordnet werden:
  • Hausarzt
  • Klinikarzt
  • Notarzt/Kassenärztlicher Notdienst
  • Sonstige


Unter „Sonstige“ wurden dabei alle Fälle zusammengefasst, in denen keine eindeutige Zuordnung möglich war oder beispielsweise Rechtsmediziner auch die Leichenschau übernommen hatten und damit nicht einer der anderen Kategorien zugeordnet werden konnten.

Der Verteilung der Sterbeorte folgend wurden in 48,9 % der Fälle mit Abstand die meisten Leichenschauen von klinisch tätigen Ärzten durchgeführt, gefolgt von Notärzten bzw. Ärzten des Kassenärztlichen Notdienstes (Abb. 4). Damit erfolgte lediglich in 13,2 % der Fälle die Leichenschau durch den zuletzt betreuenden Hausarzt.

Hinsichtlich der Kodierungsqualität und -quantität ergaben sich erhebliche Unterschiede bezogen auf den jeweiligen Sterbeort. So sind in 80 % der Todesbescheinigungen bei Sterbefällen in Krankenhäusern die Diagnosen korrekt und vollständig kodiert, während es bei Todesfällen im häuslichen Milieu lediglich 42,5 % sind (Abb. 5). Bei Todesfällen in Heimen geht der Anteil von Todesbescheinigungen mit richtig und vollständig kodierten Diagnosen sogar auf lediglich 37,6 % zurück.

Fazit

Die korrekte Qualifizierung von Todesursache und Todesart im Rahmen der ärztlichen Leichenschau erfordert differenzialdiagnostische Überlegungen und ein hohes Maß an Verantwortung in Bezug auf das komplexe Bewerten einzelner Befunde und Informationen. Hierbei ist es umso wichtiger, gerade bei vermeintlich häufigen Todesursachen die diagnostische Sicherheit durch eine deutlich gesteigerte Obduktionsrate zu erhöhen. Für diese Notwendigkeit spricht nicht zuletzt der niedrige PPV der Leichenschau in Bezug auf kardiale Todesursachen. Darüber hinaus muss sich jeder Arzt des Umstandes bewusst sein, dass jede Todesbescheinigung mit den darauf verschlüsselten Diagnosen die Grundlage für die amtliche Todesursachenstatistik bildet. Diese statistischen Erhebungen haben wiederum Auswirkungen auf die Ausrichtung von Präventionsprogrammen, die Ausgaben im Gesundheitswesen und die Erstellung von Leitlinien.


Literatur
[1] Statistisches Bundesamt (2014), Gesundheit, Todesursachen in Deutschland. Fachserie 12 Reihe 4, erschienen am 27.11.2014, Wiesbaden, S.4



Autor:

Heinrich Georg Illing

Institut für Rechtsmedizin Gera – Zwickau
07546 Gera

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (12) Seite 16-18