Die Tabakentwöhnung findet bisher kaum in der Arztpraxis statt, obwohl therapeutische Interventionen vor allem Aufgabe des Arztes sind und die Hausarztpraxis für die Durchführung der Tabakentwöhnung ideal geeignet wäre. Dem Gesetzgeber und den Krankenkassen fällt es zudem schwer, die Tabakabhängigkeit sowie den schädlichen Gebrauch von Tabak als Krankheiten anzuerkennen und für eine Finanzierung der Entwöhnungstherapie zu sorgen. Ein Umdenken ist deshalb dringend erforderlich, um geeignete Rahmenbedingungen für eine effektive Tabakentwöhnung zu schaffen.
Rauchen macht in hohem Maße süchtig [1] und ist die entscheidende Ursache für viele chronische Krankheiten, die die Lebensqualität einschränken und zum vorzeitigen Tode führen (Tabelle 1). Seit 2015 ist die S3-Leitlinie "Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums" der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. publiziert, die klare Empfehlungen zur Tabakentwöhnung gibt (www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/076-006l_S3_Tabak_2015-02.pdf) [3].
Im jüngsten Mikrozensus aus dem Jahr 2013 beträgt die Raucherquote 24,5 % der Bevölkerung ab dem 15. Lebensjahr [4]. Rauchen verkürzt das Leben durchschnittlich um 10 Jahre [5]. 2013 verstarben ca. 121.000 Raucher in Deutschland an den Folgen ihres Konsums, das waren 13,5 % aller Todesfälle, hinzu kommen ca. 3.300 Todesfälle durch Passivrauchen [6].
Diagnostik und Dokumentation
Alle Patienten sollen nach ihrem Tabakkonsum gefragt werden. Ein solches systematisches Screening identifiziert jeden Raucher. Tabakkonsum soll in der Patientendokumentation fortlaufend erfasst werden. Es kann zweckmäßig sein, eine strukturierte allgemeine Anamnese mit einer speziellen Raucheranamnese zu kombinieren sowie auch eine kurze Diagnostik anzuschließen [3]. Im Anhang der aktuellen S3-Leitlinie gibt es hierzu einen Vorschlag für einen Anamnese/Befundbogen für Raucher. Somit kann bereits ein schädlicher Gebrauch von Tabak nach ICD-10 F17.1 [7], nämlich die Kombination aus Tabakkonsum und tabakassoziierter Erkrankung (z. B. KHK, COPD), festgestellt werden. Der Fagerström-Test (Tabelle 2) sollte zur weiterführenden Diagnostik eingesetzt werden, um das Ausmaß einer Tabakabhängigkeit abzuschätzen [3]. Anhand von 6 Fragen kann entschieden werden, ob und in welcher Dosierung die Anwendung von Medikamenten zur Tabakentwöhnung indiziert ist. Die Fragen 1 und 4 bilden den Heaviness of Smoking Index (HSI), eine Kurzform des Fagerström-Tests, der für diese Diagnostik bereits ausreichend sein kann [3].
Ergänzend können die Kriterien der Abhängigkeit nach ICD-10 F17.2/DSM-IV herangezogen werden, um eine behandlungsbedürftige Tabakabhängigkeit zusätzlich zu sichern (Kasten 1).
Kurzberatung in der Sprechstunde
Zur Erreichung des Rauchstopps soll für Raucher eine Kurzberatung angeboten werden [3]. Eine solche Intervention muss nicht aufwendig sein. Der Patient kann in einem motivierenden Gespräch nach den empfundenen Vorteilen des Rauchens einerseits sowie nach den möglichen Vorteilen des Rauchstopps andererseits gefragt werden. Diese sogenannte Motivations- oder Entscheidungswaage führt beim Patienten zu Ambivalenz. Die Aufgabe des Therapeuten ist es, diese Ambivalenz über Wiederholung der vom Patienten genannten Vorteile des Rauchstopps zu verstärken, um damit Änderungsmotivation für einen Rauchstopp zu erzeugen. So kann der Therapeut in wenigen Minuten abschätzen, ob bereits ein Rauchstoppversuch sinnvoll ist oder ob ggf. noch etwas abgewartet werden sollte, bis ausreichend Änderungsmotivation beim Patienten besteht. Ist der Patient zum Rauchstopp bereit, sollte auf weiterführende Entwöhnungsangebote in der eigenen Praxis oder an anderer geeigneter Stelle hingewiesen werden.
Strukturierte Tabakentwöhnung
Wenn verfügbar und angemessen, soll bei Verwendung von Medikamenten eine Kombination mit einem verhaltenstherapeutischen Tabakentwöhnungsprogramm angeboten werden [3]. In der Praxis ist in der Regel eine einzeltherapeutische Intervention zweckmäßig, da im Vergleich zum Gruppensetting nicht auf einen festgesetzten Starttermin gewartet werden muss, sondern umgehend mit der Therapie begonnen werden kann. Die Termine, die inhaltlichen Schwerpunkte sowie die Steuerung der Medikation sind zudem individuell anpassbar. Gegenüber der Gruppentherapie werden Schweigepflichtaspekte nicht berührt. Sollte die strukturierte Tabakentwöhnung ein Schwerpunkt der eigenen Praxis werden, empfiehlt es sich, entsprechende Zeitfenster außerhalb der regulären Sprechstunde zu schaffen. Auch ist eine besondere Fortbildung wie das Curriculum "Qualifikation Tabakentwöhnung" der Bundesärztekammer [8] empfehlenswert.
Medikamente zum Nikotinentzug
Der Einsatz der Nikotinersatztherapie (Nikotinkaugummi, Nikotininhaler, Nikotinlutschtablette, Nikotinnasalspray, Nikotinmundspray und Nikotinpflaster) soll angeboten werden [3]. Wenn eine leitliniengerecht durchgeführte medikamentöse Behandlung mit einer Nikotinersatztherapie nicht ausreichend wirksam war, kann Bupropion oder Vareniclin zur Tabakentwöhnung unter Beachtung von und nach Aufklärung über mögliche Risiken angeboten werden [3]. Der Patient sollte motiviert werden, die Medikation in empfohlener Dosierung und Behandlungsdauer anzuwenden, um den Nikotinentzug optimal zu begleiten.
Verhaltenstherapie
Zur Bedeutung einzelner Komponenten für die Effektivität verhaltenstherapeutischer Behandlungen liegen keine ausreichenden Daten vor [3]. Verhaltenstherapeutische Behandlungen sollten mehrere Komponenten enthalten. Empfehlenswert sind insbesondere:
- Psychoedukation
- Motivationsstärkung
- Maßnahmen zur kurzfristigen Rückfallprophylaxe
- Interventionen zur Stärkung der Selbstwirksamkeit
- alltagspraktische Beratung mit konkreten Verhaltensinstruktionen und praktischen Bewältigungsstrategien (Problemlöse- und Fertigkeitstraining, Stressmanagement).
Finanzierung der Tabakentwöhnung
Der Gesetzgeber hat im § 34 SGB V die Kostenerstattung für Medikamente zur Raucherentwöhnung mit der Begründung ausgeschlossen, dass bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe [9]. Diese Begründung ist aus wissenschaftlich-medizinischer Sicht widerlegt, auch aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen erhebliche Bedenken an der derzeitigen sozialrechtlichen Situation [3, 10, 11, 12, 13].
Bei Vorliegen einer Tabakabhängigkeit oder eines schädlichen Gebrauchs von Tabak müsste der Versicherte ebenso wie bei anderen gravierenden Erkrankungen wie z. B. der Alkoholabhängigkeit auch nach § 27 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung haben [14]. Neben dem Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz (Artikel 3, Absatz 1) wird auch die Pflicht des Staates berührt, die Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger zu schützen (Artikel 2, Absatz 2). Um eine Änderung der aktuellen rechtlichen Situation zu erreichen, hat der Autor dieses Beitrages 2012 eine Klageinitiative gestartet, die von der Deutschen Gesellschaft für Nikotin- und Tabakforschung unterstützt wird [15]. Vorerst kann die Tabakentwöhnung nur über die private Gebührenordnung abgerechnet werden.
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (14) Seite 60-64