Die Auskultation des Herzens ist ein grundlegender Bestandteil der klinischen Untersuchung und ein Symbol der ärztlichen Kunst. Trotz moderner kardialer Bildgebung wie Echokardiographie, CT und MRT stellt sie nach wie vor eine unverzichtbare Technik dar. Durch das Abhören der Herztöne können z. B. Risikosituationen wie eine akute Herzinsuffizienz früh erkannt oder der Schweregrad eines Herzklappenfehlers eingeschätzt werden. Trotzdem wird diese altbewährte und jedem Arzt zugängliche klinische Untersuchungsmethode nicht in dem Maße gepflegt, wie sie es verdient hätte.

Hans Blömer hat in seinem Buch „Auskultation des Herzens“ 1966 bereits treffend formuliert: „Dabei erfordert die Auskultation weder einen finanziellen noch einen zeitlichen Aufwand: Sie stellt auch keine Kunst für sich dar, die aufgrund einer speziellen Veranlagung nur besonderen „Künstlern“ vorbehalten ist. Ganz im Gegenteil: die Auskultation setzt keine besondere Begabung voraus: Sie kann und muss vielmehr durch ein intensives, jahrelanges Training erlernt werden“ [1].

Dieser Beitrag soll speziell den aktuellen Stellenwert der Auskultation bei Patienten mit dem aktuell häufigsten Vitium, der degenerativen Aortenstenose, herausarbeiten.

Das Stethoskop, das zum Rüstzeug eines Arztes in die Kitteltasche oder in der angloamerikanischen Medizin um den Hals gehört, geht auf die Erfindung von Rene Theophile-Hyacinthe Laennec (1781 - 1826) zurück. Er hatte schnell bemerkt, dass er mit Hilfe einer zu einem Zylinder gedrehten Papierrolle weit mehr hören konnte als bei der direkten Auskultation [3]. Die Papierrolle war nur ein Provisorium. Es galt, das Medium der Schallübertragung zu optimieren. Laennec nahm ein Stück Holz von 33 cm Länge und 3,5 cm Durchmesser, durchbohrte es in der Mitte und erweiterte den Kanal am Brustende zu einem trichterförmigen Ansatz. Dass das Stethoskop (Griechisch: stethos = Brust, scopein = inspizieren), wie es von Laennec genannt wurde, zu einem Symbol eines ganzen Standes werden sollte, hat er nicht erahnen können.

Der Hörbarkeitsbereich des Ohres umfasst 16 - 20 000 Hz. Die klinisch bedeutsamen Schwingungen, die durch die Herzaktion entstehen, liegen unter 1 000 Hz. Mit dem Stethoskop werden die im Hörbarkeitsbereich liegenden Schwingungen der Brustwand von 16 bis 1 000 Hz auf das Trommelfell übertragen.

Systematisches zur kardialen ­Auskultation

Bei der Herzauskultation werden die Komponenten einer Herzperiode in vier Abschnitten auskultiert. Zunächst konzentriert man sich ausschließlich auf den 1. Herzton. Sobald dieser differenziert beurteilt werden kann, wird das Gehör auf den 2. Herzton konzen­triert. Anschließend werden die Systole und Diastole beurteilt, um zusätzliche Herztöne und Herzgeräusche zu erfassen. Noch heute wird an den klassischen fünf Auskultationspunkten festgehalten, die zur systematischen Auskultation des Herzens gehören:

Das Mitralareal bzw. die Herzspitze

lässt sich anhand des Herzspitzenstoßes erfassen und ist Auskultationspunkt der Mitralklappe. Hier projizieren sich die an der Mitralklappe entstehenden Schallphänomene, für die die Fortleitung nach außen zur Axillarlinie charakteristisch ist.

Das Trikuspidalareal

Über dem 4. bis 5. ICR am linken Sternalrand ist der Projektionspunkt der von der Trikuspidalklappe ausgehenden Geräuschphänomene, für die die Zunahme der Lautstärke während der Inspiration pathognomonisch ist.

Das Pulmonalareal

Nur hier, über dem 2. ICR links parasternal, lassen sich der Pulmonalton und die Spaltung des 2. Herztones wahrnehmen.

Das Aortenareal

Über dem 1. und 2. ICR rechts parasternal weisen die von der Aortenklappe ausgehenden systolischen Geräusche ihr Punctum maximum auf.

Der Erbsche Punkt

Über dem 3. ICR am linken Sternalrand ist ein zentraler Auskultationspunkt mit dem Punctum maximum des Diastolikums der Aorteninsuffizienz.

Die Herztöne

Der 1. Herzton ist Ausdruck des Mitral- und Trikuspidalklappenschlusses mit punctum maximum über der Herzspitze. Er ist leise bei schwerer Mitral- und Aorteninsuffizienz, Perikarderguss, Emphysem und Adipositas. Laut fällt er aus bei der Mitralstenose mit noch beweglichem vorderen Segel, Anämie und Hyperthyreose. Eine Spaltung des 1. Herztones findet sich beim Rechtsschenkelblock.

Der 2. Herzton ist Ausdruck des Aorten- und Pulmonalklappenschlusses. Bei der physiologischen atemabhängigen Spaltung schließt die Pulmonalklappe in der Inspiration deutlich nach der Aortenklappe. Eine atemabhängige, aber weite Spaltung, die auch in Exspiration vorhanden ist, besteht bei pulmonaler Hypertonie oder akuter Rechtsherzbelastung infolge einer Lungenembolie. Eine paradoxe Spaltung besteht bei linksventrikulärer Druck- oder Volumenbelastung mit verlängerter linksventrikulärer Austreibungszeit. Ein verstärkter 2. Herzton findet sich bei einer Druckerhöhung im großen und kleinen Kreislauf mit Verstärkung des Aortenklappen- bzw. Pulmonalklappenschlusses und insbesondere bei einer Aortensklerose.

Der 3. Herzton ist ein Extraton niedriger Frequenz, der durch die frühdiastolische Kammerfüllung hervorgerufen wird. Ein Galopprhythmus entsteht auskultatorisch durch einen Dreierrhythmus durch einen diastolischen Ton.

Herzgeräusche

Herzgeräusche werden nach ihrer Lokalisation, ihrer Intensität und ihrer Zugehörigkeit zum Herzzyklus in systolische und diastolische Geräusche, in typische Klappengeräusche, in akzidentielle und funktionelle Herzgeräusche unterteilt. Bei Schulkindern findet sich in 70 - 90 % ein systolisches Geräusch, wohingegen ältere Erwachsene in 30 - 70 % ein Systolikum aufweisen. Die Differenzierung von systolischen Herzgeräuschen ohne erkennbare Pathologie (funktionelle Herzgeräusche) von solchen mit signifikanter Herzerkrankung stellt in der Praxis eine große Herausforderung dar. Funktionelle Geräusche liegen bei kardialer Hyperaktivität durch Fieber, Erregung, Belastung, Hyperthyreose, Anämie und Schwangerschaft vor. Ein funktionelles Systolikum hat folgende Kriterien:

  • mesosystolisches Geräusch, geringe Lautstärke, in der Regel 1/6 bis in Ausnahmefällen 3/6
  • fehlendes Schwirren
  • keine Fortleitung
  • weicher und oftmals musikalischer Klangcharakter
  • wanderndes Punctum maximum und Variabilität der Lautstärke.

Die Sechstel-Regel

Zur Differenzierung des Lautstärkegrades eines Herzgeräusches bedient man sich der „Sechstel“-Regel, wobei ein 1/6-Geräusch nur mit Mühe hörbar ist, 2/6-Intensität ist leise, aber hörbar, 3/6 laut. Wenn ein Schwirren wahrnehmbar ist, handelt es sich um ein 4/6-Geräusch; ein Geräusch, das ohne Stethoskop auf Distanz wahrnehmbar ist, stellt einen Lautstärkegrad von 6/6 dar.

Bei den Herzgeräuschen sind eindeutige typische Muster bzw. Auskultationsbefunde beschrieben, die in Abb. 1 als systolische Herzgeräusche und in Abb. 2 als diastolische Herzgeräusche zusammengefasst sind. Abb. 3 beschreibt die Auskultationsbefunde kontinuierlicher Geräuschbefunde eines Ductus Botalli und verschiedener Shuntbildungen.

Abb. 4 verdeutlicht das bei Erstdiagnose eines Herzgeräusches weitere systematische diagnostische Follow-up. Grundsätzlich wird eine echokardiographische Abklärung bei einem Systolikum mit einem Lautstärkegrad von 3/6 und höher sowie bei 2/6, wenn zusätzliche Kriterien einer kardialen Grunderkrankung vorliegen, gefordert [4].

Abklärung eines Systolikums

Aus praktischen Gründen wollen wir uns den möglichen differenzialdiagnostischen Erwägungen eines systolischen Geräuschbefundes zuwenden. Die degenerative Aortenstenose ist heutzutage das häufigste Vitium, gefolgt von der Mitralinsuffizienz. Folgende Fragestellungen sollten wir bei Erhebung eines Systolikums diskutieren:

  1. Handelt es sich um ein funktionelles Systolikum oder um ein Systolikum einer Mitralinsuffizienz oder Trikuspidalinsuffizienz, welches atemabhängig ist und auf abdominellen Druck an Lautstärke zunimmt, oder um eine Aortenstenose mit typischer Fortleitung in die Karotiden?
  2. Liegt ein Systolikum einer Aortensklerose, einer hämodynamischen Aortenstenose oder etwa der diskrete Geräuschbefund einer dekompensierten Aortenstenose oder das vom Herzminutenvolumen in der Intensität abhängige Systolikum einer HOCM (Hypertrophische obstruktive Kardiomyopathie) vor?
  3. Besteht ein 3. Herzton? Dann ist eine höhergradig eingeschränkte linksventrikuläre Funktion wahrscheinlich.
  4. Handelt es sich um eine physiologische Spaltung eines 2. Herztons oder liegt eine paradoxe Spaltung bei verlängerter linksventrikulärer Austreibungsphase vor?

Infolge der Wirbelbildung an der stenosierten Aortenklappe kommt es zu einem systolischen Austreibungsgeräusch, welches auf die Austreibungsphase begrenzt ist. Es weist eine Spindelform auf. Mit zunehmender Blutströmungsgeschwindigkeit schwillt das Geräusch an und klingt gegen Ende der Systole wieder ab, wodurch der spindelförmige Geräuschcharakter resultiert. Je geringer die Stenose ist, desto früher liegt das Geräuschmaximum; je schwerer die Aortenstenose ist, desto verzögerter ist die Blutaustreibung, desto später in der Systole liegt das Geräuschmaximum. Das Geräusch ist rau, mittel- bis tieffrequent und hat meist eine sehr große Schallintensität mit Punctum maximum im 1. und 2. ICR rechts. Die Diagnose einer hochgradigen Aortenstenose wird bestärkt durch einen Pulsus tardus et parvus mit einer Verminderung des systolischen Drucks und der Druckamplitude.

Die Fortleitung in die Karotiden stellt ein wichtiges differenzialdiagnostisches Kriterium zur Abgrenzung gegen andere systolische Geräusche dar. Bei leichten bis mittelschweren valvulären Aortenstenosen findet sich nach dem 1. Herzton mit Beginn der Austreibungsphase ein frühsystolischer Extraton, der sich klickartig anhört und als Ejection-Click, auch als Gefäßdehnungston oder -anspannungston bezeichnet wird. Ein solcher Zusatzton findet sich, wenn eine Dilatation der Aorta supravalvulär vorliegt. Der Ejection-Click ist ein scharfer, hochfrequenter und kurzer Ton, der mit Beginn der Austreibungsphase auftritt.

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zur Mitralinsuffizienz ist die raue, tieffrequente Schallcharakteristik mit Spindelform gegenüber dem weichen, hochfrequenten, pansystolischen Geräusch der Mitralinsuffizienz mit gleichbleibender Schallintensität während der gesamten Systole.

Wie aussagefähig und belastbar ist die Auskultation bei der Herzinsuffizienz?

Selbstverständlich muss grundsätzlich der Auskultationsbefund im Kontext der klinischen Angaben und Untersuchung beurteilt werden. Schließlich gehören pulmonale Rasselgeräusche zu den diagnostischen „Major“-Kriterien der Herzinsuffizienz [5]. Die Ergebnisse einer kontrollierten Studie an 305 Patienten mit Dyspnoe und/oder Ödemen fielen ernüchternd aus. Nur bei der Hälfte der Patienten gelang den Untersuchern anhand ausschließlich anamnestischer und klinischer Kriterien der korrekte Nachweis oder Ausschluss einer Herzinsuffizienz.

Demnach kann die Diagnose der Herzinsuffizienz aufgrund ausschließlicher Beurteilung von Symptomatik und klinischen Befunden einschließlich der Auskultation den primär versorgenden Arzt vor große diagnostische Schwierigkeiten in der Primäreinschätzung stellen. Neben der großen Variabilität der klinischen Manifestation der Herzinsuffizienz spielt selbstverständlich die klinische Erfahrung des Untersuchers und die richtige Wertung des pulmonalen Auskultationsbefundes eine große Rolle für diese Ergebnisse [6].Andererseits liegen eindeutige Daten vor, dass der auskultatorische Nachweis eines 3. Herztones mit einer erhöhten kardiovaskulären Ereignisrate und eingeschränkten Prognose verbunden ist. Es besteht eine gute Korrelation zwischen dem mittels elektronischer Techniken erfassten 3. Herzton und der „Brain Natriuretic Peptide“ (BNP)-Werte mit einem positiven prädiktiven Wert von 75 %, die als zuverlässige Marker einer kardialen Dysfunktion gelten [2].

Diese Daten zur Auskultation sollten uns motivieren, die Auskultation intensiver zu pflegen. Schließlich stellt das Stethoskop ein unverzichtbares Screeningtool zur Beurteilung von klinisch relevanten, häufig vital bedrohlichen Situationen dar. Mit dem Stethoskop können wir Risikopatienten selektieren und gezielt einer weiterführenden Bildgebung unterziehen. Der Auskultationsbefund ist allerdings immer im Kontext klinisch-anamnestischer Daten, elektrokardiologischer und radiologischer Befunde zu bewerten.


Literatur
1. Blömer H: Auskultation des Herzens und ihre hämodynamischen Grundlagen. Urban&Schwarzenberg, München-Berlin-Wien 1969.
2. Fang JC, O`Gara PT. The history and physical examination: an evidence-based approach. In: Braunwald`s Heart Disease, 8. Ausgabe, 2008, Saunders Elsevier, Seite: 125-148.
3. Köhler U et al. Schalldiagnostische verfahren – die Geschichte von Perkussion und Auskultation. Pneumologie 2004;58:525-30.
4. Rolden CA et al. Value of cardiovascular physical examination for detecting valvular heart disease in symptomatic subjects. Am J Cardiol 1996;77:1327-31.
5. Wang CS, Fitzgerald JM, Schulzer M, Mak E, Ayas N. Does the dyspneic patient in the emergency department have congestive heart failure? JAMA 2005;294:1944-56.
6. Wright SP, Doughty RN, Pearl A, Gamble GD, Whalley GA, Walsh HJ,Gordon G, Bagg W, Oxenham H, Yandle T, Richards M, Sharpe N .Plasma amino-terminal pro-brain natriuretic peptide and accuracy of heart-failure Diagnose in primary care: a randomized, controlled trial. J Am Coll Cardiol 2003; 43: 1793-1800.

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Pfor. Dr. med. Matthias Leschke


Kontakt:
Prof. Dr. med. Matthias Leschke
Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie
Klinikum Esslingen
73730 Esslingen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (10) Seite 12-16