Wer als Praxisinhaber bei Urlaub oder Krankheit seine Praxis nicht schließen möchte, benötigt einen Vertreter. In der Regel soll dieser als Honorarkraft, d. h. freiberuflich tätig sein. Um ein Arbeitsverhältnis und damit eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu vermeiden, muss aber einiges beachtet werden.

Bereits Ende der 1950er-Jahre hat das Bundessozialgericht (BSG) festgestellt, dass der Vertreter eines niedergelassenen Arztes grundsätzlich nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt (Urteile vom 27.05.1959, Aktenzeichen 3 RK 18/55, und vom 15.02.1959, Aktenzeichen 2 RU 141/56). Seitdem waren zumindest niedergelassene Ärzte vor Forderungen der Sozialversicherungsträger weitgehend verschont geblieben. Streitigkeiten in diesem Bereich mussten vor allem Krankenhäuser und die in ihnen tätigen Honorarärzte austragen. Das änderte sich allerdings etwa 2015. Die Deutsche Rentenversicherung Bund unternahm einen erneuten Anlauf, ihr Beitragsaufkommen zu erhöhen. Sie vertrat in entsprechenden Prüfverfahren (§ 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch – SGB IV) die Auffassung, jedenfalls in Gemeinschaftspraxen könne ein Vertreter in der Regel nur als abhängig Beschäftigter und damit als Sozialversicherungspflichtiger tätig werden.

Nun hat sich – soweit ersichtlich erstmalig – ein Landessozialgericht mit dieser Frage beschäftigt und der Rechtsansicht der Rentenversicherung widersprochen (Urteil Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 21.02.2017, Aktenzeichen L 11 R 2433/16). Es ging um eine Radiologin, die verstreut über die zweite Jahreshälfte 2014 an insgesamt 18 Tagen die Urlaubsvertretung für verschiedene Praxisinhaber einer großen radiologischen Gemeinschaftspraxis übernommen hatte. Die Radiologin befundete in der Regel zwischen 9 und 14 bzw. 15 Uhr radiologische Untersuchungen (MRT, CT und Röntgen). Die zu befundenden Bilder wurden der Radiologin vorgegeben. Ihr war es aber gestattet, Aufträge abzulehnen. Die Befunde erstellte sie weisungsfrei allein und besprach diese mit dem Patienten. Ihre Leistungen stellte sie der Gemeinschaftspraxis nach Maßgabe des erbrachten Zeitaufwands zu dem zuvor vereinbarten Stundensatz von 60,00 € in Rechnung. In Dienstpläne, in das elektronische Zeiterfassungssystem der Praxis und in Urlaubsregelungen war sie nicht eingebunden. An Dienstbesprechungen musste sie nicht teilnehmen. Anders als die anderen Mitarbeiter bekam sie keine Dienstkleidung gestellt. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch oder eine Urlaubsvergütung waren nicht vereinbart.

Selbstständige Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung?

Die Deutsche Rentenversicherung Bund hielt die Vertreterin für sozialversicherungspflichtig. Sie war der Ansicht, dass es nicht darauf ankommen könne, ob die Radiologin in ihrer originären ärztlichen Tätigkeit weisungsfrei sei. Die ansonsten für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung erforderliche Weisungsgebundenheit könne bei Diensten höherer Art eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert" sein. Entscheidend sei die Einbindung der Radiologin in eine fremde Betriebsorganisation. Insbesondere seien ihr die zu befundenden Bilder und der Arbeitsplatz vorgegeben worden. Anders als bei Vertretung in einer Einzelpraxis seien in einer Gemeinschaftspraxis die Praxisinhaber nach wie vor anwesend und würden dadurch den Ablauf und die Organisation des Betriebes bestimmen. Damit habe die Ärztin nicht die komplette Stellung eines abwesenden Praxisinhabers übernommen. Vielmehr sei ihr nur ein Ausschnitt der reinen ärztlichen Tätigkeit übertragen worden.

Auf die Klage der Gemeinschaftspraxis widersprach das LSG der Rentenversicherung. Zwar sei es richtig, im Ausgangspunkt darauf abzustellen, ob die Radiologin in ihrem Bereich komplett weisungsfrei tätig oder doch in eine fremde Betriebsorganisation eingegliedert war. Vorliegend sei jedoch von Weisungsfreiheit auszugehen.

Noch nicht ausreichend sei zwar die in der Ärzte-Zulassungsverordnung verankerte Berechtigung, einen Praxisvertreter tätig werden zu lassen. Diese Berechtigung stelle allenfalls ein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit dar, jedoch noch keinen Beleg. Es käme auf die Umstände des Einzelfalles an. Diese Umstände sprächen hier – so das LSG – aber gegen eine Einbindung in die Betriebsorganisation. Maßgebend für das Gericht war das fehlende Weisungsrecht bezüglich der Arbeitszeiten und die Möglichkeit, Aufträge abzulehnen. Auch in die sonstige Organisation (Kleidung, Zeiterfassung, Vertretungsregelung) sei die Ärztin nicht eingebunden. Soweit der Ärztin die zu befundenden Bilder vorgegeben wurden, sei dies "der Organisation einer großen radiologischen Praxis" geschuldet und nicht ausschlaggebend.

So erfreulich das Urteil des Landessozialgerichts auch ausfällt: Die Abgrenzung zwischen einer selbstständigen Tätigkeit und einer abhängigen Beschäftigung bleibt eine heikle Frage des Einzelfalls. Gerade deshalb ist es besonders wichtig, die Vereinbarung mit einem Praxisvertreter schriftlich abzuschließen und dabei bestimmte Punkte zu vereinbaren (siehe Kasten).

Wichtige Punkte, die in einer schriftlichen Vereinbarung mit dem Praxisvertreter abgeschlossen werden sollten
  • Als Überschrift sollten die Worte "Vertrag über eine selbstständige Tätigkeit als Praxisvertreter" oder Ähnliches gewählt werden.
  • Die Praxisöffnungszeiten bzw. die Tätigkeitszeiten des Vertreters sollten mit konkreten Uhrzeiten vereinbart werden. Die Arbeitszeit ist damit dem für abhängige Beschäftigungen typischen Weisungsrecht entzogen.
  • Dem Praxisvertreter sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, Patientenbehandlungen im Rahmen des gesetzlich Erlaubten abzulehnen. Die Beachtung eventuell in der Praxis bestehender Behandlungspfade sollte ihm freigestellt werden, soweit die Praxis nicht ihrerseits gegenüber Dritten (z. B. Krankenkassen im Rahmen einer integrierten Versorgung) verpflichtet ist.
  • Dem Vertreter sollte ein Weisungsrecht gegenüber dem Praxispersonal und gegebenenfalls auch gegenüber angestellten Ärzten eingeräumt werden.
  • Urlaubsansprüche und Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sollten explizit ausgeschlossen werden.
  • Falls die Praxis eine Corporate Identity pflegt, sollte der Vertreter davon freigestellt sein.
  • Bei Tätigkeit im GKV-Bereich sollte der Vertreter auf die Einhaltung vertragsärztlicher Pflichten und im Falle eines Verstoßes auf Schadensersatz verpflichtet werden.



Autor:

Torsten Münnch

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
Dierks + Bohle Rechtsanwälte, Berlin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (10) Seite 72-73