Bettnässen (Enuresis) ist die zweithäufigste chronische Erkrankung im Kindesalter. Etwa 10 % aller Siebenjährigen nässen nachts noch mehr oder weniger regelmäßig das Bett ein. Nach einer Basisdiagnostik, bei der das Führen eines Blasentagebuchs eine zentrale Rolle spielt, kommen als Therapieoptionen Verhaltensschulungen, die Alarmtherapie sowie Desmopressin in Frage.

Mit der Behandlung der Enuresis sollte laut WHO frühzeitig, aber nicht vor dem fünften Lebensjahr begonnen werden und zwar dann, wenn nicht nur die Eltern, sondern vor allem das Kind eine Therapie wünscht und bereit ist, diese zu unterstützen. Voraussetzung für jegliche Therapie ist eine Basisdiagnostik.

Primäre und sekundäre Enuresis

Man unterscheidet zwischen der primären und der sekundären Enuresis. Als primäre Enuresis bezeichnet man ein von Geburt an persistierendes Einnässen ohne längere trockene Phasen. Sie macht etwa 85 % der Enuresis aus und zeichnet sich meist aus durch:

  • nächtliche Polyurie (vermehrte Urinproduktion in der Nacht),
  • hohe Einnässfrequenz,
  • schwere Erweckbarkeit,
  • pathologische ADH-Sekretion (meist fehlender Anstieg des antidiuretischen Hormons in der Nacht) sowie eine
  • hohe genetische Disposition.

Viele Eltern berichten, dass ihre Kinder, während sie einnässen, so tief wie ein Stein schlafen. Neue Untersuchungen haben gezeigt, dass der von den Eltern so häufig beschriebene Tiefschlaf der Kinder so nicht stimmt. Diese Kinder haben tatsächlich im Gegensatz zu anderen Kindern meist sogar einen weniger tiefen und weniger entspannten Schlaf, allerdings sind sie in der Tat besonders schwer erweckbar. Es zeichnet sich ab, dass sich bei enuretischen Kindern auch andere Schlafbesonderheiten finden - hierzu laufen derzeit noch verschiedene Untersuchungen.

Die sekundäre Enuresis bezeichnet das erneute Einnässen nach einer mindestens sechsmonatigen trockenen Phase. Die Ursachen sind dabei eher als bei der primären Enuresis im seelischen Bereich zu suchen, nachdem Infektionen, Diabetes o. Ä. abgeklärt worden sind.

Die Basisdiagnostik

Grundlage jeder Therapieentscheidung ist eine sorgfältige Basisdiagnostik. Diese sollte beinhalten:

  1. eine ausführliche Anamnese,
  2. die körperliche Untersuchung des Kindes, möglichst einschließlich der akustischen Überprüfung der Miktion,
  3. die Auswertung eines Blasentagebuches,
  4. eine Urinuntersuchung und
  5. eine Ultraschalluntersuchung.

1. Anamnese:

Für die Anamnese sollten sich die Beteiligten ausreichend Zeit nehmen. Das Kind sollte in das Gespräch mit einbezogen werden. Folgende Fragen müssen u. a. besprochen werden:

  • Wird nur das Bett nass oder gibt es auch am Tag Blasenprobleme?
  • Wenn es Tagessymptome gibt, wie sehen diese aus (Miktionsaufschub, Haltemanöver, Drangsymptome, Inkontinenz ...)?
  • Wie häufig und welche Mengen nässt das Kind nachts ein?
  • Kann man das Kind nachts wecken bzw. wacht es von alleine auf oder ist es nicht erweckbar?
  • Kommt das Problem familiär gehäuft vor?
  • Gab es bereits längere trockene Intervalle (> 6 Monate)?
  • Gibt es Hinweise auf eine Infektion?
  • Hat das Kind täglich normalen Stuhlgang?
  • Welche Vortherapien gab es bereits?
  • Möchte das Kind selbst trocken werden?

2. Körperliche Untersuchung

Eine komplette körperliche Untersuchung ist bei jedem einnässenden Kind notwendig, um Fehlbildungen, neurologische Ursachen oder ernstere Erkrankungen ausschließen zu können.

3. Blasentagebuch

Die Aufzeichnungen von Trinkverhalten (Menge, Qualität der Flüssigkeit und Zeitpunkt), Miktionsmenge und -zeitpunkt, Symptomen der Blase und des Stuhlgangs dienen der Identifikation von Problemen, die der Enuresis zugrunde liegen. Das Blasentagebuch ist nicht nur für die Identifikation von Problemen, sondern ebenso für die Objektivierbarkeit der Patientenangaben unabdingbar und die Grundlage für jegliche Therapieentscheidung.

Ein Blasentagebuch sollte mindestens drei, besser noch vier Tage lang Tag und Nacht geführt werden. Dies kann auch an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden geschehen, wenn das Kind tagsüber Betreuungseinrichtungen oder die Schule besucht.

Sinnvollerweise bringen die Eltern schon beim ersten Gespräch mit dem Arzt ein Blasentagebuch mit. Ein entsprechendes Formular kann entweder von der Praxis aus versandt werden oder aber die Eltern führen ein interaktives Blasentagebuch im Internet ( http://www.blasentagebuch.de ), drucken das Ergebnis aus und bringen es in die Sprechstunde mit. Hier sind schon alle Werte aufaddiert und erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten deutlich gemacht. Das interaktive Blasentagebuch errechnet aus den Angaben der Eltern das individuelle gegenüber dem erwarteten Blasenvolumen des Kindes (abhängig vom Alter), die notwendige Trinkmenge (abhängig vom Körpergewicht), es errechnet die Menge Urin, die am Tag gelassen wird, und setzt sie in Verhältnis zur nächtlichen Urinmenge usw.

4. Urinuntersuchung

Der Urinstatus sollte zumindest beim Erstkontakt erhoben werden. Bei wiederholten auffälligen Urinbefunden ist das Anlegen einer Urinkultur notwendig.

5. Ultraschall

Der Ultraschall dient dem Ausschluss von pathologischen Befunden am Harntrakt und kann Hinweise auf Blasenentleerungsstörungen geben. Mindestens sollte nach der Miktion geprüft werden, ob die Blase vollständig entleert wurde; im Idealfall kann auch die volle Blase geschallt werden, um die Blasenwanddicke zu beurteilen (Abb. 1), und unmittelbar nach Miktion kann die Sonografie der Nieren Störungen des oberen Harntrakts (z. B. eine Refluxnephropathie) ausschließen.

Therapie

Entsprechend der zugrunde liegenden Pathophysiologie stehen verschiedene Therapiekonzepte für die Enuresis zur Verfügung. Liegt eine Tagessymptomatik vor (Inkontinenz), so sollte diese zuerst behandelt werden.

Urotherapie

Als erster Schritt zur Therapie der Enuresis und Inkontinenz ist immer die Urotherapie angezeigt, bei der man Kindern und Eltern u. a. die Harntrakt- und Darmfunktion erläutert und Instruktionen zum optimalen Miktionsverhalten, zum Trinkverhalten und zu einer gesunden Verdauung gibt.

Viele Familien wissen nicht, dass ein Kind regelmäßig trinken soll und wie wichtig der regelmäßige Stuhlgang ist. Nicht selten hat eine Verhaltenskorrektur, die mit regelmäßigem und richtigem Trinken und Miktionieren sowie regelmäßigem Stuhlgang einhergeht, eine sehr direkte und positive Auswirkung auf die Enuresis.

Alarmtherapie

Bei Kindern mit einem normalen nächtlichen Diuresevolumen und geringerer Blasenkapazität als für dieses Alter erwartet kann man zu einer Alarmtherapie raten. Sie bedarf einer sehr hohen Compliance sowohl beim Kind als auch bei den Eltern. Meist werden die Kinder durch den Alarm, der bei Beginn der nächtlichen Miktion ausgelöst wird, nicht wach. Dann müssen die Eltern schnell reagieren, das Kind vollständig aufwecken und es zur Toilette begleiten. Nur wenn das Kind vollständig wach ist, kann eine Konditionierungsänderung mit Hilfe des Alarmgerätes erfolgen. Eine ausführliche Anleitung ist daher dringend notwendig.

Desmopressin

Kinder mit einer nächtlichen Polyurie, die nachts ein hohes Diuresevolumen bei normaler altersentsprechender Blasenkapazität zeigen, können erfolgreich mit Desmopressin behandelt werden. Die langfristigen Erfolgszahlen bei der Therapie mit Desmopressin liegen beim langsamen Ausschleichen bei über 80 %.Laut den Therapieempfehlungen der European Association of Urology (EAU)und der European Society for Paediatric Urology (ESPU)¹ für die monosymptomatische Enuresis können sowohl Desmopressin wie die Alarmtherapie auch dann eingesetzt werden, wenn die Untersuchungen eine normale nächtliche Urinmenge sowie eine altersgerecht entwickelte Blasenkapazität ergeben haben.

Ziel

Ein Ziel einer Enuresis-Therapie ist es, den Eltern und Kindern die Schuldgefühle zu nehmen und sie über die Erkrankung zu informieren. Das senkt auch den Stress in den Familien, der durch die Tabuisierung der Erkrankung entsteht. Ein weiteres Ziel der Behandlung ist es, einen möglichst zügigen Erfolg zu erreichen. Der Behandlungserfolg besteht nicht in erster Linie darin, dass das Bett morgens trocken ist (und das Kind ggf. ein- oder mehrfach nachts geweckt wurde, um zu miktionieren), sondern darin, dass ein Kind ungestört durchschlafen und in einem trockenen Bett aufwachen kann.


1) Therapiealgorithmus bei monosymptomatischer Enuresis der European Association of Urology (EAU) und der European Society for Paediatric Urology (ESPU)


Interessenkonflikte:
keine deklariert

Dr. med. Daniela Marschall-Kehrel


Kontakt:
Dr. med. Daniela Marschall-Kehrel
Fachärztin für Urologie
60435 Frankfurt/Main

Gabriele Grünebaum
„Initiative Trockene Nacht e.V.“
51570 Windeck

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2010; 32 (18) Seite 22-24