Hausbesuche vor allem im nächtlichen Bereitschaftsdienst können aus unterschiedlichen Gründen unerfreulich verlaufen. Neben kommunikativen Strategien der Deeskalation, die man beispielsweise bei practica-Fortbildungen lernen kann, sollte man auch den Selbstschutz nicht vernachlässigen. Ein erfahrener Kollege stellt Hilfsmittel vor, die bei jedem Hausbesuch selbstverständlich mitgeführt werden, aber in spezieller Form im Falle einer Eskalation zum Selbstschutz gute Dienste leisten können.

„Guten Morgen – schön, dass Sie so schnell kommen konnten! Entschuldigen Sie bitte, dass wir Ihre Nachtruhe gestört haben.“ So stellt sich der Unerfahrene möglicherweise die Begrüßung beim Eintreffen des Arztes im Bereitschafts-Hausbesuch vor. Dass das nicht immer so ist, kann jeder Kollege bestätigen, der Hausbesuche fährt. Diese Tatsache wird auch dadurch bekräftigt, dass das 2012 und 2013 angebotene practica-Seminar zur Deeskalation in kritischen Situationen regen Zuspruch fand.

Hausbesuch ist nicht gleich Bereitschafts-Hausbesuch

Dass Hausarzt und Hausbesuch den gleichen Wortstamm haben, ist kein Zufall: Hausbesuche gehören für den Allgemeinarzt zu den täglichen Pflichten. Wenn sie auch heute kaum noch kostendeckend gefahren werden können, eine Abwechslung im Sprechstundenalltag sind sie dennoch: In aller Regel planbar fährt der Hausarzt von einem zum anderen bekannten Ort, sucht langjährige Patienten auf, hat häufig das Gefühl, wirklich zu Besuch zu sein – selbst eine Tasse Kaffee oder ein Glas Mineralwasser werden dabei nicht selten angeboten.

Anders die Situation beim Hausbesuch im Bereitschaftsdienst, an dem (fast) alle niedergelassenen Kollegen teilnehmen müssen. Nach einem anstrengenden Arbeitstag und in Erwartung eines weiteren normalen Tagwerkes halten wir uns zu Hause auf, um in einem mehr oder minder großen Einzugsbereich alle erforderlichen Hausbesuche zu erledigen. Spätabends oder in der Nacht reißt uns ein Anruf aus dem Schlaf, in dem die Leitstelle mitteilt, dass irgendwo ein fast immer Unbekannter unsere Hilfe benötigt, wobei wir nicht sicher sind, dass die genannte Symptomatik auch wirklich charakteristisch für die vorliegende Störung ist.

Unbekannter Patient, überzogene Vorstellungen

Nach langer, vielleicht sogar beschwerlicher Anfahrt finden wir trotz Navi erst nach längerem Suchen den Patienten, von dem wir so gut wie gar nichts wissen. Weder seine Anamnese noch seine Verhaltensweisen sind uns bekannt, vom sozialen Umfeld wissen wir nichts (außer dem, was wir beim Betreten der Wohnung erkennen konnten). Wir wissen nicht, welche Erfahrungen er bisher mit dem Gesundheitswesen gemacht hat, und auch der eigentliche Grund, weshalb er uns angefordert hat, ist nicht immer klar erkennbar.

In einer solchen Lage kann es zu Missverständnissen kommen, die dann eskalieren. Nicht immer muss der Patient daran schuld sein, auch emotionale Spannungen von Vorbesuchen, unzureichende Informationen durch die Leitstelle oder auch nur eigene schlechte Laune können ebenso wie überzogene Vorstellungen auf Seiten des Patienten von den Aufgaben eines Bereitschaftsdienstes dann zu Spannungen führen, die in verbalen oder (glücklicherweise seltenen) physischen Eskalationen enden.

Eine Abwehrstrategie planen

Wenn Auseinandersetzungen beim Hausbesuch auch nicht die Regel sind, so erinnert sich wohl fast jeder Kollege an Besuche, die für beide Beteiligten – Arzt und Patient – disharmonisch verliefen und „nicht einvernehmlich“ endeten. Dass diese Besuche meist konzentriert in einem spezifischen Milieu auftreten, hat immerhin den Vorteil, dass sich der Arzt schon im Voraus auf einen eventuellen Problembesuch einrichten und Vorsorge treffen kann, um nicht überrascht zu werden.

Betrachtet man seine eigenen Bereitschafts-Hausbesuche, dann ist die Gefahr einer verbalen Eskalation gar nicht so weit hergeholt. Diese kann aber in den allermeisten Fällen mit geeigneter Psychologie „entschärft“ werden. Körperliche Angriffe dagegen sind zwar selten, aber nie auszuschließen! Aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich mit geeigneten Abwehrstrategien zu beschäftigen und zu überlegen, ob nicht die Mitnahme von Gegenständen sinnvoll ist, welche im Ernstfall neben ihrem eigentlichen Verwendungszweck auch zur Selbstverteidigung eingesetzt werden können, ohne dass der Eindruck entsteht, dass der Bereitschaftsarzt „bis an die Zähne bewaffnet“ erscheint.

Mobiltelefon mit Notfallknopf

Das Handy wird sicherlich bei keinem Hausbesuch fehlen. Ob zur Entgegennahme weiterer Hausbesuche, zur Nachforderung eines Rettungswagens oder des Notarztes, zur Kommunikation mit dem in der Klinik tätigen Kollegen oder um mit der eigenen Familie den Zeitpunkt des Essens abzusprechen – kein Kollege wird auf dieses Hilfsmittel verzichten. Dass durch die Miniaturisierung der Elektronik diese Geräte neben dem Telefonieren auch noch viele weitere Aufgaben erledigen können, ist zwar ein Vorteil, der jedoch die Bedienung immer komplizierter macht. Viele Benutzer klagen darüber, dass sie mit klammen Fingern und unter Stress große Probleme haben, einen ordentlichen Ruf abzusetzen. Dies hat auch die Industrie erkannt und fertigt als sogenannte „Seniorenhandys“ Mobiltelefone, die einerseits große, auch mit klammen Fingern leicht zu bedienende Tasten aufweisen und zusätzlich noch einen „Notfallknopf“ besitzen, der in kritischen Situationen Gesundheit und sogar Leben retten kann.

Laut Beschreibung darf dieser Notruf zwar nicht mit offiziellen Notrufnummern belegt werden, aber wer hindert uns daran, diesbezügliche Absprachen mit der zuständigen Leitstelle zu treffen? Eine praktikable Möglichkeit besteht darin, diesen Notrufknopf nach deren Zustimmung mit einer Nummer der zuständigen Leitstelle zu belegen und zu vereinbaren, dass bei potentiell „nicht einvernehmlich endenden“ Hausbesuchen dieser Ruf signalisiert, dass Hilfe erforderlich ist. Dass damit auch die Arbeit erleichtert wird, wenn man beim Hausbesuch zufällig zu einem Notfall hinzukommt, ist ein positiver Nebeneffekt.

Das gezeigte Exemplar stammt aus dem Versandhandel, ist sehr preiswert und bietet daneben noch die Möglichkeit, als Taschenlampe zu fungieren. Da es inzwischen von Seiten der Netzbetreiber die Möglichkeit gibt, für eine einmalige Gebühr auch für dieses Zweitgerät eine SIM-Karte mit derselben Rufnummer zu erwerben, ist dazu nicht einmal ein neuer Vertrag notwendig. Und falls in der Leitstelle die Nummer des Diensthabenden gespeichert ist, kann diese dann auch den Notruf sofort dem Betreffenden zuordnen.

Mehr als nur ein Kugelschreiber

Ein Kugelschreiber gehört selbstverständlich zu den bei jedem Hausbesuch mitgeführten Arbeitsmitteln. Dieser kann, wie im Deeskalationstraining vermittelt wird, auch sehr gut eingesetzt werden, um einen Gewalttäter abzuwehren: Mit der „breiten Spitze“ gegen Sternum oder Clavicula gedrückt führt er zu einem Schmerzreiz, der einen Angreifer zumindest kurzzeitig zum Unterbrechen seines Tuns bewegt, was Gelegenheit zur Flucht schafft. Da dazu ein üblicher Plastik-Kuli wenig geeignet ist, sollte man für den Hausbesuch schon in einen Metallkugelschreiber investieren. Eine geeignete Variante ist z. B. ein Stempel-Kugelschreiber. Neben der Möglichkeit, mit der Großraummine lange Zeit seine Aufzeichnungen machen zu können, ist in dessen hinterem Teil ein Stempel untergebracht, der das Mitführen eines weiteren Stempels überflüssig machen kann – und wegen seiner stabilen Ausführung kann dieser Kugelschreiber auch zur Selbstverteidigung eingesetzt werden. Einziger Nachteil: Man muss schon aufpassen, diesen Kugelschreiber nicht zu vergessen, denn durch den Stempel ist ein Missbrauch möglich!

Für ganz „harte“ Einsätze ist der „Tactical Pen“ gedacht – ein aus massivem Aluminium gefertigter Kugelschreiber, der beim Schreiben relativ unhandlich, aber durch seine Großraummine lange haltbar ist. Zur Abwehr liegt er gut in der Hand und kann neben dem Einsatz als „Waffe“ auch sehr gut zum Einschlagen von Glasscheiben verwendet werden – etwa, um einen Verunfallten aus seinem PKW zu befreien. Auch dieses Instrument ist im Versandhandel zu beziehen.

Die Taschenlampe

stellt ebenso ein unverzichtbares Hilfsmittel für den Hausbesuchsdienst dar: Ob zum Beleuchten des Klingelschildes, zum Erhellen des Weges vom PKW zur Haustür, bei Ausfall der Treppenbeleuchtung oder zum Untersuchen des Halses – mindestens eine Taschenlampe befindet sich in jeder Hausbesuchsausrüstung. Dass es bei körperlichen Angriffen sinnvoll ist, den Angreifer mit einem starken Licht zu blenden und damit Zeit zur eigenen Flucht zu gewinnen, ist eine wichtige Erkenntnis aus jedem Selbstverteidigungs-Lehrgang.

Auch hier hat die Mikroelektronik in der letzten Zeit erhebliche Fortschritte gemacht, die uns zugutekommen. War früher eine lichtstarke Taschenlampe immer unhandlich groß, gibt es inzwischen kleine, äußerst lichtstarke LED-Lampen, die sogar dimmbar sind und damit alle unsere Erwartungen erfüllen: schwaches Licht zur Untersuchung, stärkeres Licht zum Erleuchten des Weges und massives Licht zur Verteidigung – und das bei geringen Abmessungen. Es gibt sogar Modelle, die ein Stroboskoplicht aussenden können, was einen Angreifer deutlich beeinträchtigt, aber natürlich bei Epileptikern nicht angewendet werden darf. Auch diese Ausrüstung ist im Internethandel zu bekommen.

Die undurchdringliche Schreibmappe

Ein Stahlblech in der Schreibmappe ist sicherlich etwas Ungewöhnliches, kann aber sehr sinnvoll sein. Eine Schreibmappe ist unverzichtbar im Hausbesuch: Als Behältnis für die erforderlichen KV-Formulare, Totenscheine und weitere Vordrucke, für die ICD-Tabellen und andere Papiere sowie als Schreibunterlage fehlt sie in keiner Hausbesuchs-Ausrüstung. Die Abbildung zeigt exemplarisch eine Mappe, deren Grundlage eine Kongressmappe ist. Für den Hausbesuch optimiert wurde sie, indem auf der Rückseite mittels Klettband eine Klemm-Mappe für allgemeine Notizen und im Inneren eine weitere Klemm-Mappe als Unterlage für den aktuellen Hausbesuch befestigt wurden. Damit ist sie bereits recht stabil und kann als Schutzschild gute Dienste leisten. Wer jedoch damit rechnen muss, öfter „nicht einvernehmlich endende“ Hausbesuche durchführen zu müssen, tut gut daran, in das Fach, das normalerweise die Rückseite des Schreibblocks aufnimmt, eine entsprechend groß geschnittene Stahlblechplatte zu stecken, die die Mappe für Angriffe wirklich undurchdringlich macht.



Autor:

© copyright
Dr. med. Holger Schnering

Facharzt für Allgemeinmedizin
02977 Hoyerswerda

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (12) Seite 64-67