Beim Hausarzt sollte das Thema Sexualität routinemäßig angesprochen werden. Denn es ist ein gesundheitlich relevantes Thema und es entspricht oft auch einem Bedürfnis der Patienten. Diesbezügliche Beeinträchtigungen können nämlich einen erheblichen Leidensdruck erzeugen. Wie dieser am besten erfragt und behandelt werden kann, dafür gibt der nachfolgende Beitrag Tipps.

Viele Patienten möchten mit ihrem Hausarzt über Sex sprechen. Das geht aus einer Umfrage hervor, in der über 90 % der 1.452 befragten Männer das bejahten. Bei 61 % von ihnen fand tatsächlich ein solches Gespräch statt [1]. Den Anfang für dieses Gespräch zu finden, ist jedoch für alle Beteiligten nicht einfach. Gut ist es, ein paar Formulierungen dazu parat zu haben, beispielsweise: "Wie ist es mit dem Intimleben?", "Wie steht es mit der Sexualität?" oder "... und mit der Sexualität: Funktioniert alles zu Ihrer Zufriedenheit?". Das Gespräch soll sich nicht wie sonst in der Medizin darauf fokussieren, was nicht funktioniert, sondern ressourcenorientiert auf das, was (noch) geht. Wichtig ist auch, ein «liebevolles Interesse» zu zeigen und die Aussagen nicht zu werten.

Die ärztliche Frage nach der Sexualität ist bedeutsam, denn mit der zunehmenden Lebenserwartung kann auch dieser Teil des Lebens durch chronische Erkrankungen beeinträchtigt sein. Sexualität ist ein wesentlicher Faktor der Lebensqualität, die Koitusfrequenz korreliert positiv mit der Lebenszufriedenheit [2]. Gemäß einer Untersuchung bei über 27.000 Personen über 40 Jahre in 29 Ländern beschreiben 83 % der Männer und 63 % der Frauen Sex als extrem, sehr oder ziemlich wichtig [3]. Auch wenn die Frequenz sexueller Aktivität mit steigendem Alter abnehme, sei der Wunsch nach Vaginalverkehr bei vielen ungebrochen, so Experten. Die Sexualität korreliert auch mit der allgemeinen Gesundheit, wie eine englische Studie zeigte. Dabei wurden über 15.000 Personen nach der persönlichen Einschätzung ihrer Gesundheit gefragt. Es zeigte sich, dass jene mit partnerschaftlichem Sex in den vergangenen 4 Wochen ihren Gesundheitszustand altersunabhängig als signifikant besser bezeichneten als jene mit weniger Sex [4].

Wann intervenieren?

Entscheidend für eine sexualmedizinische Intervention ist der individuelle Leidensdruck. Eine amerikanische Untersuchung bei über 31.000 Frauen zeigte, dass mit steigendem Alter die Prävalenz der Sexualdysfunktion zwar zunimmt, diese aber nicht von allen Betroffenen als störend empfunden wird [5].

Häufigste Sexualfunktionsstörungen beim Mann sind altersunabhängig die Ejaculatio praecox und altersabhängig die erektile Dysfunktion. Bei Frauen gehören Libidostörungen, Erregungsstörungen, Orgasmus- und Schmerzstörungen wie Vaginismus und Dyspareunie zu den häufigen Gründen für eine Dysfunktion [3].

Eine niedrige Libido manifestiert sich altersabhängig bei 25 bis 45 % der Frauen. Sie ist der häufigste Grund für sexualmedizinische Konsultationen. Jede 10. Frau empfinde echten Leidensdruck [5], so Experten. Zuerst müsse jedoch abgeklärt werden, ob der Leidensdruck aufgrund des eigenen Defizits besteht oder ob die Konsultation auf Wunsch des Partners wahrgenommen wird. Denn nicht immer leidet die Betroffene unter ihrer veränderten Sexualität gleichermaßen wie ihr Partner.

Libido entsteht bei den Geschlechtern unterschiedlich. Während der spontane Sexualtrieb eher ein männliches Muster ist, steht die Lust bei Frauen häufig nicht am Anfang einer sexuellen Interaktion, entwickelt sich jedoch während der sexuellen Aktivität mit der stimmungsabhängigen Bereitschaft, auf sexuelle Stimuli zu reagieren. Sexuelle Lust ist nicht notwendigerweise spontan, sondern braucht geeignete Stimuli. Das individuelle Lusterleben ist das Ergebnis eines dynamischen Wechselspiels zwischen lustfördernden und lusthemmenden Mechanismen wie beispielsweise Schmerz beim Sex, Medikamenten oder Erkrankungen.

Ein Libidomangel beziehungsweise eine Störung des sexuellen Interesses oder der Erregung bei der Frau ist nach der DSM-V-Klassifikation definiert als andauernder oder zeitweiser Mangel oder als Fehlen sexueller Fantasien und Gedanken und/oder des Wunsches nach Empfänglichkeit für sexuelle Aktivität, der zur persönlichen Belastung führt [6]. Da diese Störung komplex ist und aus mehreren Faktoren auf psychischer, sozialer und organischer Ebene resultiert, ist das Ausmaß der therapeutischen Möglichkeiten zur Veränderung der Situation meist geringer als in weniger komplexen medizinischen Situationen.

Das konkrete Vorgehen zur Diagnostik bei Libidoverlust richtet sich nach der Antwort auf die Frage, ob ein Leidensdruck besteht. Wenn ja, sollten organische Gründe, Hormone, Erkrankungen, Medikamente, andere Therapien wie auch das Körperbild abgeklärt werden. Des Weiteren können spezifische Umstände wie Stress im Beruf, in der Familie, mit den Kindern oder weitere psychische Gründe oder aber auch die Beziehung zum Partner, die sich verändert hat, Ursache für die Lustlosigkeit sein. Bedingende Faktoren für die Frau sind in der 9-Felder-Tafel aufgeführt (Tabelle 1). Behandlungsmöglichkeiten ergeben sich auf den Ebenen Somatik, Psychosomatik oder Coaching.

Therapeutische Möglichkeiten bei Frauen

Körpereigenes Testosteron beeinflusst das sexuelle Verlangen, die Erregung, den Orgasmus, sexuelle Befriedigung sowie das Wohlbefinden, die Vitalität und die Stimmung. Östrogene erhalten unter anderem das Vaginalepithel, haben vasodilatatorische Effekte und beeinflussen sensorische Schwellen. Ein Östrogenmangel führt zur vaginalen Trockenheit und zur Vaginalatrophie, was neben der Anhäufung von pathologischen Keimen aufgrund des pH-Wert-Anstiegs auch Dyspareunie zur Folge haben kann. Die therapeutischen Maßnahmen orientieren sich an den Problemfeldern.

Eine systemische Östrogen- und Progesteronsubstitution kann zwar allgemeine menopausale Symptome lindern, doch hat sie keinen direkten Effekt auf die Libido und eignet sich daher nicht zur Behandlung sexueller Funktionsstörungen [7]. Umgekehrt sind sexuelle Probleme allein keine Indikation für eine Hormontherapie. Eine lokale Östrogenisierung (täglich für 3 Wochen, dann 1–2 x/Woche für mindestens 6 Monate) reduziert dagegen die urogenitale Atrophie und kann bei Dyspareunie das sexuelle Lusterleben verbessern. Intravaginal applizierbares Dehydroepiandrosteron (Prasteron) als körpereigenes Steroid und Vorläuferhormon hat einen leicht positiven Effekt auf die Libido in der Postmenopause bei vulvovaginaler Atrophie.

Mit nicht hormonellen Feuchtigkeitsspendern, mindestens 3× wöchentlich angewandt, wie Granatapfelextrakt (Delima®), Hyaluronsäure, Paraffin (Deumavan®), Paraffin/Glycerid (Vagisan®) kann das Vaginalepithel weiter unterstützt werden, beim Sex zusätzlich durch Gleitmittel. Testosterontherapien sollten Frauen mit sehr früh chirurgisch entfernten Ovarien und damit sehr früh chirurgisch induzierter Menopause vorbehalten bleiben und somit immer nur zusammen mit einer Östrogentherapie verordnet werden. Die Behandlungsentscheidung sollte aufgrund der klinischen Untersuchung und nicht auf Labortests basierend erfolgen. Eine weitere Option ist Flibanserin, das auf den Serotoninhaushalt einwirkt, aber keinen Einfluss auf die Durchblutung hat. Flibanserin (Pink Viagra) hat eine signifikante, aber beschränkte Wirksamkeit auf das sexuelle Verlangen (sexuelle Aktivität +0,5 – 1×/Monat) von prämenopausalen Frauen, induziert allerdings Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit, Schläfrigkeit, Übelkeit, Schlafstörungen und Mundtrockenheit und muss täglich eingenommen werden. Das Präparat ist in den USA registriert, aber in Europa nicht auf dem Markt.

Veränderungen beim Mann

Auch die männliche Sexualität verändert sich mit steigendem Alter. Das zeigt sich beispielsweise in der Schwierigkeit, eine Erektion zu erreichen und zu halten, sowie in der sinkenden Wahrscheinlichkeit, einen Orgasmus zu erlangen. Die Frequenz sexueller Aktivität nimmt ab und die Refraktärphase verlängert sich. Von einer Andropause analog zur Menopause zu reden, sei aber dennoch unglücklich, sagen Experten. Denn gesunde Männer zeigen trotz steigenden Alters kein Absinken von Testosteron, Dihydrotestosteron oder Östradiol, wie eine Untersuchung bei 325 Männern über 40 Jahre zeigt. Das legt die Vermutung nahe, dass ein altersabhängiges Absinken des Serumtestosterons mit der zunehmenden Präsenz von Komorbiditäten in Zusammenhang steht [8].

Altersabhängige physiologische und anatomische Veränderungen beim Mann
  • Hodenschwellung während Erregung nimmt ab
  • Cremasteraktivität während Erregung nimmt ab
  • Längere Erregungsphase
  • Response auf visuelle und olfaktorische Stimuli nimmt ab
  • Genitale Stimulation für Erregung wichtiger
  • Längere Plateauphase
  • Präejakulatorische Sekretion abnehmend
  • Orgasmusgefühl kürzer (Anzahl Beckenbodenkontraktionen abnehmend)
  • Subjektiv: Orgasmus weniger kraftvoll
  • Ejakulatvolumen abnehmend, jedoch Ejakulationsdauer länger
  • Detumeszenz rascher
  • Refraktärphase länger

Quelle: PD Dr. Gideon Sartorius, FOMF AIM 2020, Basel

Die Prävalenz von Erektionsstörungen ist dagegen mit steigendem Alter zunehmend und ist meist ein Symptom von vaskulären, neurologischen oder urologischen Erkrankungen. Beispielsweise korreliert das Ausmaß der erektilen Dysfunktion mit dem Schweregrad von kardiovaskulären Erkrankungen. Patienten mit erektiler Dysfunktion haben im Vergleich zu Patienten ohne Dysfunktion ein erhöhtes Risiko für einen Myokardinfarkt (62 %), für zerebrovaskuläre Ereignisse (39 %) und für Gesamtmortalität (25 %) [9]. Eine erektile Dysfunktion ist ein Prädiktor für eine koronare Herzkrankheit [10] und sollte im Hinblick auf deren Risikominimierung immer erfragt werden.

Therapieoptionen bei erektiler Dysfunktion sind beispielsweise PDE-5-Hemmer wie Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil. Eine weitere Möglichkeit stellt die Verabreichung des vasodilatierenden Prostaglandins Alprostadil, per Injektion direkt in den Schwellkörper oder mittels Urethrastab, dar. Auch mechanische Hilfsmittel wie die Vakuumpumpe oder der Penisring können die Erektion anstoßen beziehungsweise erhalten.

Fazit für die Praxis
  • Libidoverlust ist sehr komplex, meist multifaktoriell (biopsychosozial) und kann in jeder Altersgruppe vorkommen.
  • Das Thema Sexualität soll in der Sprechstunde mittels patientenzen- trierter Kommunikation angesprochen werden.
  • Behandlungsbedarf besteht nur bei subjektivem Leidensdruck.
  • Somatische Therapien sind häufig nicht erfolgreich, wenn die Libidoproblematik nicht sekundär verursacht ist.
  • Der Arzt sollte Gesprächstherapien anbieten oder vermitteln.


Quelle: «Libidostörungen – wie kann der Hausarzt helfen?», FOMF Allgemeine Innere Medizin, 29. Januar bis 1. Februar 2020 in Basel.


Literatur
1. MeystreAgustoni G et al.: Talking about sexuality with the physician: are patients receiving what they wish? Swiss Med Wkly 2011; 141: w13178.
2. Brody S et al.: Satisfaction (sexual, life, relationship, and mental health) is associated directly with penilevaginal intercourse, but inversely with other sexual behavior frequencies. J Sex Med 2009; 6: 1947–1954.
3. Nicolosi A et al.: Sexual behavior and sexual dysfunctions after age 40: the global study of sexual attitudes and behaviors. Urology 2004; 64: 991–997.
4. Field N et al.: Associations between health and sexual lifestyles in Britain: findings from the third National Survey of Sexual Attitudes and Lifestyles (Natsal3). Lancet 2013; 382: 1830–1844.
5. Shifren JL et al.: Sexual problems and distress in United States women: prevalence and correlates. Obstet Gynecol 2008; 112: 970–978.
6. American Psychiatric Association (2013): Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed.). DSM5 302.72 (F52.22). Arlington, VA: American Psychiatric Publishing.
7. Santoro N et al.: Role of estrogens and estrogenlike compounds in female sexual function and dysfunction. J Sex Med 2016; 13: 305–316.
8. Sartorius G et al.: Serum testosterone, dihydrotestosterone and estradiol concentrations in older men selfreporting very good health: the healthy man study. Clin Endocrinol 2012; 77: 755–763.
9. Vlachopoulos C et al.: Prediction of cardiovascular events and allcause mortality with brachialankle elasticity index: a systematic review and metaanalysis. Hypertension 2012; 60: 556–562.
10. Vlachopoulos C et al.: Erectile dysfunction in the cardiovascular patient. Eur Heart J 2013; 34: 2034–2046.



Autorin:
Valérie Herzog



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (13) Seite 42-45