Die Bilanz ist höchst ernüchternd: Im Schnitt durchlaufen Patienten mit einer seltenen Erkrankung 7 Jahre eine Odyssee durch weite Teile der Medizin, bis ihre Krankheit diagnostiziert wird. Und das, obwohl vor nunmehr 9 Jahren das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen (NAMSE) geschmiedet worden ist.

Seitdem ist zwar einiges passiert, vieles ist aber auf halbem Weg stecken geblieben.

Dazu zählen zum Beispiel:
  • Die angestrebte flächendeckende Etablierung von Zentren für seltene Erkrankungen, die nur sehr schleppend vorangeht.
  • Die qualitativen und strukturellen Anforderungen an diese Zentren, die längst nicht so aufgestellt sind, wie die Bundesregierung dies angekündigt hatte.
  • Der gesamte NAMSE-Prozess, der nach wie vor unterfinanziert ist, weil gerade die spezifische Diagnostik mit den üblichen Poliklinik-Pauschalen in keiner Weise erbracht werden kann.

Viele neue Wirkstoffe

Lediglich bei der Orphan-Drug-Gesetzgebung sind Hoffnungsschimmer erkennbar. Immerhin sind hierzulande bereits 160 Wirkstoffe zugelassen, im Jahr 2018 allein 22. Über 90 % dieser Arzneimittel waren unmittelbar nach Zulassung in der Versorgung verfügbar – ein europäischer Spitzenwert. Davon profitieren natürlich bei der einen oder anderen seltenen Erkrankung auch die Ärzte. Ansonsten klagen aber auch sie über fehlende Unterstützung bei der Betreuung von betroffenen Patienten. Bei der jüngsten Online-Umfrage auf aerzezeitung.de klagten 6 von 10 Medizinern darüber, "kaum" oder nur "mittelmäßig" über die "Seltenen" informiert zu sein. Das wäre angesichts von 8.000 seltenen Krankheiten auch nicht weiter schlimm. Dass aber nur 48 % der Ärzte Kenntnis von Zentren für seltene Erkrankungen haben und nur 44 % einschlägige bundesweite Dachverbände kennen, ist schon alarmierend. Selbst spezielle Informationstools wie Orpha.net ist einem Drittel der Ärzte unbekannt. Dabei ist das eine Fundgrube über Wissen zu seltenen Erkrankungen.

Und welche Rolle spielt dabei konkret der Hausarzt? Immer noch eine sehr geringe, wie es scheint. 69 % der Befragten wünschen sich daher eine Stärkung des Hausarztes, gerade auch, um zu einer schnelleren Diagnose bei den "Seltenen" zu kommen. Doch es erfordert Expertise und Zeit, wenn eine Erkrankung aus dem üblichen Schema fällt und man innehalten muss, weil etwas anders ist, stellt Prof. Hubert Wirtz vom Uniklinikum Leipzig mit Fug und Recht fest.

Kann Künstliche Intelligenz helfen?

Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma? Vielleicht. Wenn es gelingt, die vielen Erkenntnisse zu den seltenen Krankheiten endlich einmal zentral – gegebenenfalls auch in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz – zu bündeln, könnte ein solches qualitatives Tool für den Hausarzt äußerst hilfreich sein. Aus einer lernenden Software – wie etwa mit dem bereits bestehenden Informationssystem ADA – würden sich dann Erkenntnisse oder gar Befunde ergeben, die zu einer früheren Diagnose nach deutlich weniger als 7 Jahren führen könnten. Nur müsste all das auch transparent sein und finanziert werden, was bei den "Seltenen" aber nur allzu selten der Fall ist, bedauert

Ihr
Raimund Schmid



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (6) Seite 34