Der 122. Deutsche Ärztetag in Münster hat nicht nur ein neues Präsidium der Bundesärztekammer (BÄK) gewählt, er befasste sich auch mit der Gesetzesflut, die derzeit aus dem Bundesgesundheitsministerium über die Ärzte hereinbricht, und den zunehmenden Eingriffen in die ärztliche Selbstverwaltung und in die Freiberuflichkeit. Auch die weiter um sich greifende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens wurde kritisiert. Gestärkt wurde die Rolle der Hausärzte. Wir geben einen Überblick über die wesentlichen Beschlüsse.Der 122. Deutsche Ärztetag in Münster hat eine Reihe von gesundheits-, sozial- und berufspolitischen Beschlüssen gefasst. Wir fassen einige zusammen:

Mit einem Trommelwirbel der "Fascinating Drums" war der Ärztetag in Münster, der Stadt des Westfälischen Friedens, gestartet. Doch weniger friedlich schoss dann Dr. Theodor Windhorst, Präsident der gastgebenden Ärztekammer Westfalen-Lippe, eine erste Breitseite gegen den gerade mit einigen Buhrufen aus dem Saal begrüßten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ab.

Ärzte sind keine Schachbrett-Bauern

Windhorst kritisierte vor allem das hohe Tempo des Gesetzgebers: 15 Gesetze in 12 Monaten, das sei ein Gesetz pro Monat, und das sei womöglich noch steigerungsfähig. Was Windhorst besonders ärgerte, ist, dass die Politik nicht einmal mehr abwarte, wie diese Gesetze wirken. Unzufrieden zeigte sich Windhorst vor allem mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), denn dieses Regelwerk ermögliche der Politik zu starke Eingriffe in die Selbstverwaltung. "Wie die Bauern auf einem Schachbrett hin- und hergeschoben zu werden, lehnen wir ab", machte Windhorst klar. Die Freiberuflichkeit sei der Markenkern der ärztlichen Tätigkeit, und die Arzt-Patienten-Beziehung vertrage keine Fremdbestimmung von oben. "Würde die Gesundheit von der Gesundheitspolitik abhängen, wären wir schon längst ausgestorben", zitierte Windhorst dann zur Belustigung der Ärztetagsabgeordneten noch einen Schweizer Medizinethiker.

Hausarzt an der BÄK-Spitze
Mit Spannung erwartet worden war die Wahl des neuen Präsidenten der Bundesärztekammer. Immerhin hatten sich 3 Kandidaten und eine Kandidatin für diese Position beworben, darunter auch 2 Hausärzte. Im dritten Wahlgang setzte sich dann Dr. Klaus Reinhardt gegen Dr. Martina Wenker durch.

Mit Dr. Klaus Reinhardt steht erstmals seit 41 Jahren wieder ein niedergelassener Arzt an der Spitze der Bundesärztekammer, und nach über 70 Jahren ist wieder ein Hausarzt zum Chef der deutschen Ärzteschaft gewählt worden. Ärzteverbände bezeichneten dies als historischen Moment und eine große Chance für einen Neuanfang der BÄK. Die Wahl eines Hausarztes in diese Schlüsselposition hätte dabei zu keinem besseren Zeitpunkt erfolgen können, zeige sich doch aktuell auch in Umfragen, dass die Hausarztmedizin an Attraktivität gewinne. Klaus Reinhardt an der Spitze der Ärzteschaft sei eine gute Voraussetzung dafür, dass dieser positive Trend sich fortsetzt.

Reinhardt ist seit 25 Jahren als Facharzt für Allgemeinmedizin niedergelassen. Seit 8 Jahren ist er Vorsitzender des Hartmannbundes, seit vier Jahren Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer und dort seit 2016 Vorsitzender des Ausschusses Gebührenordnung.

In seiner Rede beim Ärztetag forderte Reinhardt die Ärzteschaft zur Geschlossenheit auf. Im Gesundheitswesen sei der Kulturwandel im vollen Gang. "Wenn wir diesen Wandel gestalten wollen, muss sich die Ärzteschaft auf die verbindenden Elemente besinnen und eine intelligente Vorwärtsstrategie entwickeln", kündigte Reinhardt an. Dabei komme der ärztlichen Selbstverwaltung eine wichtige Funktion zu. Man dürfe die Selbstverwaltung nicht zur Auftragsverwaltung des Staates verkommen lassen. Die Herausforderungen für das Gesundheitswesen seien einfach zu groß, als dass man sie der Politik allein überlassen könne, sagte Reinhardt nach der Wahl. Und: "Wir brauchen mehr Zeit für ärztliches Handeln. Ärztliche Zuwendung und Empathie sind die Basis für das Vertrauen der Patienten in uns. Die Sicherstellung der dafür notwendigen Freiräume muss wieder Maßstab des gesetzgeberischen, aber auch des selbstverwaltenden Handelns werden. Das ist mein Credo, dafür werde ich kämpfen", so Reinhardt. Eines der wichtigsten Zukunftsthemen sei die Digitalisierung des Gesundheitswesens. "Digitalisierung kann bei Diagnostik und Therapie helfen. Am Ende dürfen aber keine Algorithmen über Therapien entscheiden, sondern nur Ärztinnen und Ärzte. Und deshalb dürfen wir keinen Zweifel daran lassen, dass wir als Ärzteschaft diese Veränderungsprozesse aktiv mitgestalten wollen."

Von Bundesgesundheitsminister Spahn forderte Windhorst eine Kurs- und Verhaltensänderung, denn er wünsche sich eine Rückkehr zur partnerschaftlichen Beziehung: Schließlich seien die Ärzte nicht die Windmühlen, gegen die Spahn kämpfen müsse.

Warnung vor Deprofessionalisierung

Neben ein wenig Lob für Spahn für seinen Einsatz beim Thema Organspende hielt auch der scheidende BÄK-Präsident Prof. Frank-Ulrich Montgomery vor allem Kritik an Spahn parat: "Ihr Verständnis von Selbstverwaltung, das ist nur noch Auftragsverwaltung." In den Gesetzen werde mehr oder weniger die Quadratur des Kreises verlangt. Hier müsse man wieder zu Maß und Mitte zurückfinden. Montgomery sprach sich auch gegen die zunehmende Kommerzialisierung der ärztlichen Tätigkeit aus. Beim Thema Digitalisierung warnte er davor, dass diese nicht zur Substitution ärztlicher Tätigkeit missbraucht werden dürfe.

Auf wenig Gegenliebe stößt beim BÄK-Chef auch die Lust, neue Berufe im Gesundheitssystem zu kreieren. Das aber führe zu einer Deprofessionalisierung des Arztberufs und sei zudem oft nur ein Etikettenschwindel. Als Beispiel nannte Montgomery die Absicht, die Psychotherapie zu einem eigenen Berufszweig zu machen. Tatsächlich sei die Psychotherapie aber eine ärztliche Technik.

Probleme erkennen und anpacken

Jens Spahn wäre nicht Jens Spahn, wenn er die massive Kritik nicht aufnehmen und sofort kontern würde. Selbst durch einen kurzzeitigen Stromausfall in der Halle ließ er sich da nicht aus dem Konzept bringen. Er machte klar, dass er dann, wenn er ein Problem erkannt habe, dieses auch anpacken werde, um etwas besser zu machen. Er mache dann Vorschläge, über die er gerne mit den Ärzten debattieren will, aber bei der Debatte allein dürfe es eben nicht bleiben. Und deshalb habe er in diesem Jahr schon einiges angestoßen, wie z. B. bei der Organspende oder beim Impfen. Viel Beifall bekam Spahn für sein Statement, dass er beim Thema Therapiefreiheit immer an der Seite der Ärzte stehen würde. Und zum wiederholten Male verteidigte er die 25-Stunden-Sprechstunden-Regelung im TSVG: Die treffe doch nur Ärzte, die nicht viel arbeiten würden. Und das träfe ja für 90 % der Ärzte nicht zu, insofern sei der Eingriff in die Freiberuflichkeit eher marginal.

Friede in den Arztpraxen

Seine oft kritisierte Strategie bei der Digitalisierung erklärte Spahn damit, dass er endlich Schwung in diese Sache bringen wolle. Die elektronische Gesundheitskarte dürfe nicht zum BER des Gesundheitswesens werden. Er forderte die Ärzte auf, die Digitalisierung aktiv mitzugestalten. Er sei für Diskussionen offen und versprach den Ärzten zum Ende seiner Rede, dass er auch den Schutz von Ärzten und ärztlichem Personal vor Gewalt verbessern wolle: Friede in den Arztpraxen, das sei sein Ziel.

Beschlüsse des Ärztetags

Rolle der Hausärzte stärken

Hausärzte sollen in der Regel erste Ansprechpartner für Patienten sein. Dafür hat sich der 122. Deutsche Ärztetag ausgesprochen. Die Ärzteschaft unterstütze alle Maßnahmen, die bei neu auftretenden gesundheitlichen Fragen den Hausarzt als ersten Ansprechpartner stärkten. Sie forderte den BÄK-Vorstand auf, dieses Anliegen dem Gesetzgeber gegenüber klar zu artikulieren und sich konstruktiv in die Diskussion einzubringen.

Beruf der MFA aufwerten

Der Ärztetag hat zudem auf die große Bedeutung der qualifizierten Tätigkeit der Medizinischen Fachangestellten (MFA) hingewiesen. Um deren zunehmende Abwanderung aus dem Beruf beziehungsweise den Arztpraxen zu stoppen und auch künftig genug Nachwuchs zu finden, sieht es der Ärztetag als dringend erforderlich an, die Attraktivität des Berufs und seine Stellung im Kontext der Gesundheitsberufe zu stärken. Er begrüßte daher das von den Landesärztekammern angebotene breite Spektrum an strukturierten und zertifizierten Fortbildungen. Darüber hinaus sei für die Attraktivität aber auch eine adäquate Vergütung unabdingbar. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Arztpraxen als Arbeitgeber zu erhalten, müsse die Steigerung der Personalkosten vollständig durch die Krankenkassen refinanziert werden.

Missbrauch von Fernbehandlung verhindern

Vor dem Hintergrund der Zunahme fragwürdiger telemedizinischer Anwendungen beauftragte der Ärztetag den Vorstand der Bundesärztekammer damit, die rechtlichen Möglichkeiten zur Unterbindung solcher Online-Anwendungen und der Sanktionierung der Anbieter zu prüfen. Hier sei eine "Goldgräberstimmung" mit Auswüchsen wie der Krankschreibung per Messenger-Dienst ausgebrochen. Dabei werde offensichtlich negiert, dass der 121. Deutsche Ärztetag im vergangenen Jahr das Fernbehandlungsverbot nicht komplett aufgehoben hat. Damals war beschlossen worden, dass Ärzte "im Einzelfall" ihnen noch unbekannte Patienten über Kommunikationsmedien beraten und behandeln dürfen. Der Beschluss sei jedoch unter der Prämisse erfolgt, dass die Fernbehandlung ärztlich vertretbar sei und die ärztliche Sorgfalt gewahrt bleibe, unterstrichen die Abgeordneten. Die Möglichkeiten der Telemedizin dürfen selbstverständlich genutzt werden, könnten letzten Endes das bisherige Zusammenspiel von Arzt und Patient nur ergänzen.

Etablierte ärztliche Bezeichnungen nicht für andere Berufe verwenden

In Bezug auf das Gesetzgebungsverfahren zur Ausbildungsregulierung zukünftiger akademischer Heilberufe forderte der Deutsche Ärztetag, darauf zu achten, dass von Ärzten getragene Titel und Bezeichnungen nicht von anderen Heilberufen beansprucht werden. So seien beispielsweise auch Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Geburtshelfer. Das müsse bei der Akademisierung des Berufs der Hebamme berücksichtigt werden.

Keine parallelen Versorgungssysteme durch Akademisierung nichtärztlicher Heilberufe

In einem weiteren Beschluss stellten die Ärztetags-Abgeordneten fest, dass die Akademisierung und Ausbildungsreform nicht-ärztlicher Heilberufe nicht zu parallelen Versorgungssystemen führen dürfe. Die bewährten Strukturen der sich ergänzenden Kooperation zwischen Ärzten und Angehörigen anderer Heilberufe dürften nicht aufgegeben werden. "Eine Spaltung von Zuständigkeiten wird abgelehnt, nicht zuletzt aus Gründen der Patientensicherheit", betonte das Ärzteparlament.

Für faire Finanzierung zusätzlicher Arztstellen

Das Terminservice- und Versorgungsgesetz sieht eine Anpassung der Bedarfsplanung noch in diesem Jahr vor. Das wird voraussichtlich zur Neuschaffung zusätzlicher Arztsitze vor allem im hausärztlichen Versorgungsbereich führen. Der 122. Deutsche Ärztetag forderte das Bundesgesundheitsministerium dazu auf, für eine faire Finanzierung dieser Arztsitze mit zusätzlichen Geldern durch die Krankenkassen zu sorgen.

DMP-Programmkosten refinanzieren

Die im Entwurf für das Faire-Kassenwahl-Gesetz vorgesehene Streichung der Kostenpauschale für Disease-Management-Programme (DMP) im Rahmen des Risikostrukturausgleichs lehnte der Deutsche Ärztetag ab. Er warnte vor Rückschritten bei der Behandlung von chronisch Kranken. "Ohne eine ausreichende Refinanzierung der Programmkosten werden voraussichtlich die Krankenkassen an einer Fortführung solcher Maßnahmen nicht interessiert sein", prognostizierte die Ärzteschaft. Sie begrüßte allerdings das grundsätzlich in dem Gesetz verfolgte Ansinnen, den Risikostrukturausgleich zu reformieren und das Organisationsrecht der Gesetzlichen Krankenkassen anzupassen.

Bundeseinheitlichen Medikationsplan überarbeiten

Der Deutsche Ärztetag hat sich dafür ausgesprochen, den bundeseinheitlichen Medikationsplan über ambulante Praxen hinaus auch in den EDV-Systemen der Krankenpflege, der Pflegeheime und der Krankenhäuser als Standard zu etablieren. Damit könne die Schnittstellenkommunikation leichter, effizienter und sicherer werden. Anzustreben sei ein verlässlicher und erprobter Standard.

Stärkerer Schutz des Arztes als Berufsgeheimnisträger

Unter anderem warnte der Ärztetag vor einer Aushöhlung des Berufsgeheimnisses der Ärzte durch das Bundeskriminalamtsgesetz sowie die neuen Polizeigesetze der Länder. Diese seien für das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten ausgesprochen gefährlich, betonten die Abgeordneten in einem Beschluss. "Der Staat greift zunehmend in diese besondere, ethisch zu schützende Beziehung ein und untergräbt durch erkennungsdienstliche Maßnahmen dieses Vertrauensverhältnis nachhaltig und dauerhaft", so das Ärzteparlament. Bürgern vermittele sich so der Eindruck, dass selbst in der geschützten Arzt-Patienten-Beziehung der Staat stets mithöre.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (13) Seite 20-23