Ein 33-Jähriger wendet sich mit plötzlich aufgetretenen diffusen Bauchschmerzen, Erbrechen und Schweißausbrüchen an seinen Hausarzt. Dieser stellt lediglich eine Hypertonie fest und weist den Mann angesichts der heftigen Schmerzen vorsorglich stationär ein. Im weiteren Verlauf entwickelt der symptomatisch behandelte Patient ein Delir. Gibt es eine gemeinsame Ursache für die Beschwerden?

Der Hausarzt sieht zunächst einen jungen Mann in reduziertem Allgemeinzustand, mit einem Blutdruck von 148/97 mmHg, jedoch afebril. Er stellt eine epigastrische und suprapubische Druckdolenz bei weichem Abdomen fest. Blutzuckertest und EKG bleiben unauffällig. Anam­nestisch bekannt sind eine Psoriasis, eine depressive Stimmungslage nach dem Suizid der Stiefmutter sowie eine Hypertonie der Mutter. Die Frage, ob er regelmäßig Medikamente oder Drogen einnehme, verneint der Mann.

Angesichts der erheblichen Schmerzen weist ihn der Hausarzt zur weiteren Abklärung stationär ein, berichten Dr. med. Christoph Gräni und Kollegen vom Kantonsspital Zug [1]. Die differenzialdiagnostischen Überlegungen fasst Kasten 1 zusammen.

Symptomatische Therapie schaltet die Beschwerden kurzzeitig aus

Im Krankenhaus steigt der Blutdruck des Patienten stark an und erreicht systolisch Werte über 200 mmHg. Blutbild, Urin, Elektrolyt-, Kreatinin-, CRP-, Leber- und Pankreaswerte, Herzenzyme und TSH sind jedoch unauffällig, ebenso die Befunde einer Abdomen-Sonografie, von Röntgenuntersuchungen an Thorax und Abdomen, von Abdomen-CT und Drogenscreen. Schließlich zeigt sich in einer Koloskopie eine unspezifische, leichte Ileitis terminalis. Darmbiopsien liefern jedoch keinen Anhaltspunkt für Morbus Crohn, eine bakterielle Infektion oder eine Zytomegalievirusinfektion. Gastroskopisch diagnostizieren die Klinikärzte eine erosive Refluxösophagitis mit Helicobacter-pylori-positiver Gastritis.

Eine Helicobacter-Eradikationstherapie, Analgetika, Stuhlregulanzien und Amlodipin lindern die Beschwerden zunächst, so dass der Patient nach einigem Drängen nach Hause entlassen wird.

Binnen weniger Tage entsteht therapie­resistentes Delir

In den folgenden Tagen bemerkt der Mann, der als Psychiatriepfleger arbeitet, jedoch eine deutliche psychische Veränderung an sich und stellt eine Videokamera auf, um sich selbst zu filmen. Mit den Aufnahmen, die die Entwicklung eines deliranten Zustandsbildes dokumentieren, wendet er sich wieder an die Klinik.

Eine umgehende Therapie mit Olanzapin und Benzodiazepinen kann seinen Zustand kaum verbessern. Der Patient klagt stattdessen über ausgeprägte Müdigkeit, Adynamie und diffuse Muskelschmerzen.

Wegen der starken Schmerzen, des hohen Blutdrucks, der neuropsychiatrischen Auffälligkeiten und der Tatsache, dass eine Besserung unter der bisherigen Therapie ausblieb, vermuten die Klinikärzte schließlich eine Porphyrie, also einen erblichen Defekt der Hämsynthese, oder ein Phäochromozytom. Da die bildgebenden Verfahren keine Veränderungen der Nebennieren als Hinweise auf ein Phäochromozytom zeigen, schicken sie Proben an ein auf Porphyrie-Diagnostik spezialisiertes Labor.

Labor bestätigt Stoffwechselerkrankung

Die Untersuchung ergibt massiv erhöhte Werte für Aminolävulinsäure, Porphobilinogen und Urinporphyrine. Charakteristisch für einen akuten Porphyrieschub ist ein mindestens 5-fach, meist jedoch 20- bis 100-fach erhöhter Porphobilinogenspiegel im Urin. Aufgrund normwertiger Stuhlporphyrine und erniedrigter Aktivität des Hämsynthese-Enzyms Porphobilinogen-Deaminase-(PBG-D) lautet die Diagnose im vorliegenden Fall akut intermittierende Porphyrie (AIP). Ursache dieser Stoffwechsel­erkrankung ist eine um ? 50 % reduzierte Enzymfunktion durch einen Defekt des PBG-D-Gens auf Chromosom 11 (s. blauer Kasten unten).

Wegweisendes Signal: Urin färbt sich rot

Als wichtiges diagnostisches Zeichen für eine AIP gilt auch eine portweinartige rötliche Urin-Verfärbung durch Autooxidation von Porphobilinogen zu Porphobilin. Sie tritt bei ca. 50 % der Betroffenen auf. Tatsächlich dunkelte eine Urinprobe des 33-Jährigen binnen sechs Stunden an der Umgebungsluft auffällig nach. Auf Nachfrage gibt der Mann an, er trage seit Jahren nur noch schwarze Unterwäsche, da ihn die roten Flecken gestört hätten.

Erfolgreiche Infusionstherapie

Der 33-Jährige wird vier Tage lang stationär mit Glukoseinfusionen und täglichen Kurzinfusionen aus Hämarginat (Normosang®, 4 mg/kg Körpergewicht) behandelt. Die Beschwerden gehen rasch zurück. Die Infusionen unterdrücken das Enzym Aminolävulinsäure-Synthase (ALAS), das den ersten Schritt der Hämsynthese in der Leber reguliert, und verhindern so die Bildung toxischer Häm-Vorstufen.

Prävention möglich: Auslöser meiden!

Patienten und ihre Familienmitglieder, die möglicherweise die autosomal dominant vererbte Erkrankung in sich tragen, müssen unbedingt über endogene und exogene Faktoren beraten werden, die die ALAS hochregulieren und in Kombination mit einem PBG-D-Defekt zu einer Akkumulation von toxischen Häm-Präkursoren im Gewebe führen können, betonen Gräni et al. Mit Bestimmung des Porphobilinogens im Urin, der Stuhlporphyrine und der PBG-D-Aktivität sowie einem Plasmafluoreszenz-Scan lässt sich auch bei asymptomatischen Personen eine Porphyrie mit einer Sensitivität von 90 % nachweisen. Zwar erkranken nicht alle Mutationsträger zwingend, sie können aber bei genügend starker Provokation erkranken. Im Fall des 33-Jährigen trugen acht Angehörige das veränderte Gen.

Häufige Auslöser

Ein akuter Porphyrieschub lässt sich vielfach zurückführen auf

  • Stress
  • Tabak
  • Alkohol oder Medikamente
  • Fasten und Infektionen (durch Fieber oder den Einfluss von Antibiotika)
  • erhöhte Gestagenspiegel oder die Ovulation (Porphyrieattacken bei Frauen im Prämenstruum typisch!).

Stefanie Lindl-Fischer


Literatur
1) Gräni C et al. Praxis 2011; 100 (5): 311 – 315

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (5) Seite 50-51