In den letzten 20 Jahren hat die Forschung zur Pathophysiologie und Therapie der HIV-Infektion rasche und große Fortschritte gemacht. Heutzutage lässt sich die Entwicklung des vollständig ausgeprägten Immundefekts (AIDS) durch eine rechtzeitige Therapie sicher vermeiden. Nach den bisherigen Beobachtungen ist die Lebenserwartung HIV-infizierter Patienten bei längerer erfolgreicher Therapie nahezu vergleichbar mit nichtinfizierten Patienten. Der aktuelle Stand der Therapiestrategien und -probleme soll hier dargestellt werden.

Weltweit leben nach den Schätzungen der UNAIDS derzeit ca. 35 Millionen Menschen mit einer HIV-Infektion, die jährlichen Neuinfektionen werden auf 2,3 Mio., die jährlichen Todesfälle auf 1,6 Mio. geschätzt. Mittlerweile ist die Zahl der jährlichen Neuinfektionen deutlich rückläufig, vor allem in Afrika. Dem gegenüber steht eine weiterhin rasche Ausbreitung der Infektion in Osteuropa und Zentralasien [1].

In Deutschland wird die Zahl der infizierten Personen auf ca. 78 000 geschätzt, die Prävalenz liegt damit knapp unter 1/1 000. Die Zahl der jährlich diagnostizierten HIV-Infektionen ist mit ca. 3 400 relativ konstant [2].

Pathogenese und natürlicher Verlauf

Nach dem Eindringen des Virus, meistens über die Schleimhaut, kommt es zur Infektion von CD4-T-Lymphozyten im lokalen lymphatischen Gewebe oder im Blut. Zur Infektion werden der CD4-Rezeptor und ein weiterer Rezeptor, z. B. der CCR5- oder CXCR4-Chemokinrezeptor, benötigt.

Die Infektion führt zu einer raschen Immunantwort mit Bildung von Antikörpern und HIV-spezifischen zytotoxischen T-Zellen, die aber nicht zur Kontrolle des Virus führt. Durch die für RNA-Viren typische hohe genetische Variabilitiät kommt es zur Bildung von Escape-Varianten bezüglich der Immunantwort und damit zu einer ständig schlechteren Kontrolle der Replikation mit permanentem Abfall der T-Helferzellen.

Mit dem progredienten Abfall der CD4-Zellzahl im Blut steigt das Risiko opportunistischer Infektionen ab dem Unterschreiten der Grenze von 200 CD4-T-Lymphozyten/mcl dramatisch an. Bei unbehandelter HIV-Infektion beträgt die mediane Zeit von der Erstinfektion bis zum Auftreten von AIDS ca. zehn Jahre, die mediane Überlebenszeit danach beträgt 18 Monate. Die Mortalität der HIV-Infektion beträgt unbehandelt nahezu 100 % über 20 Jahre.

Therapie

Die erste antiretroviral wirksame Substanz (Zidovudin) wurde 1987 erfolgreich klinisch erprobt. Ein langfristiger Erfolg der Therapie ist jedoch erst seit der Einführung der modernen antiretroviralen Kombinationstherapie 1996 zu erzielen. Heute sind eine Vielzahl von verschiedenen Substanzen zur Therapie zugelassen, die sich verschiedenen Zielpunkten der Replikation zuordnen lassen (Abb. 1).

Prinzipien und Praxis der Therapie

Die antivirale Therapie ist aufgrund der antiviralen Potenz der bisher vorhandenen Einzelsubstanzen und zur Verhinderung der Resistenzentwicklung immer eine Kombinationstherapie aus mindestens drei verschiedenen Substanzen (Übersicht 1), zuvor sollte ein Resistenztest durchgeführt werden.

Eine klare Indikation zur antiviralen Therapie besteht bei allen symptomatischen HIV-infizierten Patienten, bei allen Patienten mit fortgeschrittenem Immundefekt (weniger als 350 CD4-T-Lymphozyten/mcl) und in der Schwangerschaft. Diese Grenze wird von vielen Fachgesellschaften derzeit akzeptiert, aber der optimale Zeitpunkt zum Therapiebeginn ist nicht durch randomisierte Studien gut definiert. Einige Fachgesellschaften, darunter auch die amerikanischen, empfehlen eine antiretrovirale Therapie bei jedem Stadium einer HIV-Infektion, auch mit dem Argument, dass sich hierdurch Sekundärinfektionen vermeiden lassen [3]. Dies ist tatsächlich bei HIV-diskordanten Paaren in Afrika klar demonstriert worden.

Unverzichtbar in der Therapie ist eine extrem hohe Therapieadhärenz: Eine unregelmäßige Einnahme führt zu schwankenden Wirkstoffspiegeln mit dem Risiko einer raschen Resistenzentwicklung. Zwar sind heute mehrere Therapiesequenzen denkbar, doch konsekutive Therapiefehler bei Patient und Arzt können auch heute noch zur Unbehandelbarkeit der Infektion führen. Deshalb sind die ständige Diskussion der Adhärenz und Einsatz von Hilfsmaßnahmen zu ihrer Erreichung ein wesentlicher Teil der Behandlung, ebenso wie Resistenzanalysen bei Therapieversagen.

Die Vielzahl zur Verfügung stehender Kombinationen, die Komplexität der Behandlung, die Kenntnis der Resistenzprobleme und auch der speziellen psychosozialen Bedingungen einer immer noch stigmatisierenden Erkrankung bedingen auch heute noch für die meisten Patienten eine Behandlung in einer spezialisierten Praxis oder Ambulanz [3].

Nebenwirkungen und Interaktionen

Die Nebenwirkungen der Therapie sind substanz- bzw. klassenspezifisch. Die Nukleotid- bzw. Nukleosidanaloga haben vor allem toxische Wirkungen, die sich durch den Einbau in mitochondriale DNA erklären und für einzelne Substanzen organspezifisch sind: Hämatotoxizität (Zidovudin), Neurotoxizität (Zalcitabin, Stavudin), Pankreatitis (Didanosin), Myopathie (Zidovudin). Als schwerste und seltene Form der mitochondrialen Toxizität ist die akute Laktatazidose für verschiedene Kombinationen dieser Substanzen beschrieben. Ebenfalls durch mitochondriale Toxizität wird die Lipodystrophie verursacht, die sich in einem Abbau des peripheren und in der Akkumulation von zentralem Fettgewebe manifestiert.

Die nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren können kutane Arzneimittelreaktionen und Transaminasenerhöhungen verursachen. Die Proteaseinhibitoren führen vor allem zu einem Anstieg der Triglyzeride und des Serumcholesterins, seltener zu Transaminasenerhöhungen. Auch sie können eine Form der Lipodystrophie verursachen, hier allerdings mehr eine zentrale Akkumulation von Fettgewebe. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten müssen vor allem bei den nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren und den Protease-Inhibitoren beachtet werden.

Therapieziele und -ergebnisse

Ziel der antiretroviralen Therapie ist, die Progression der Erkrankung zu verhindern. Die beste Voraussetzung hierfür ist die Suppression der Virusreplikation auf ein möglichst niedriges Niveau. Für die Praxis bedeutet dies eine Absenkung der HIV-RNA im Plasma auf weniger als 20 Kopien/ml (Nachweisgrenze der aktuellen Tests). Die Verbesserung immunologischer Parameter ist eng mit dem virologischen Ansprechen der Therapie gekoppelt. Nach der Suppression der HIV-Replikation steigt die CD4-Zellzahl im Blut zunächst rasch, dann langsamer an: Es findet eine quantitative und qualitative Rekonstitution des Immunsystems über viele Jahre statt.

Die dauerhafte Suppression der Virusreplikation führt bei symptomatischen Patienten zu einer Abnahme der Symptome und langfristig zu einer besseren Prognose. Die dauerhafte Suppression verhindert auch die Entwicklung von Resistenzen und sichert damit die Langzeitwirksamkeit der antiviralen Therapie. Mit den derzeitigen Kombinationen wird dieses Ziel bei mehr als 90 % der Patienten innerhalb eines Jahres erreicht.

Die Heilung durch Eradikation der Infektion ist mit der heutigen Therapie dagegen nicht vorstellbar: Es gibt HIV-infizierte Zellpopulationen im Körper mit einer Halbwertszeit von vielen Jahren. Die "Heilung" einer HIV-Infektion ist bei wenigen Individuen in speziellen Situationen beschrieben worden, am eindrucksvollsten nach einer allogenen Stammzelltransplantation (aufgrund einer zusätzlichen akuten Leukämie eines HIV-Infizierten) von einem Spender mit einem defekten Korezeptor für HIV.

Prognose

Die Langzeitprognose von HIV-infizierten Patienten mit antiretroviraler Therapie kann heute noch nicht vollständig abgeschätzt werden, da diese Therapie erst seit knapp weniger als 20 Jahren möglich ist. Nach den bisherigen Beobachtungen ist die Mortalität und Morbidität HIV-infizierter Patienten bei längerer erfolgreicher Therapie nahezu vergleichbar mit der nichtinfizierter Patienten und damit nach den heutigen Schätzungen auch die Lebenserwartung. Ob die Langzeitprognose später durch Nebenwirkungen der Therapie oder bisher unbekannte Langzeiteffekte der HIV-Infektion beeinflusst wird, muss weiter kritisch beobachtet werden.

Der Erfolg der Therapie hängt von der rechtzeitigen Diagnose ab!

Eine späte Diagnose (bei weiter fortgeschrittenem Immundefekt bzw. erster opportunistischer Infektion) verschlechtert die Prognose und kann in einigen Fällen auch zu irreversiblen Schäden führen (z. B. Erblindung bei CMV-Retinitis, schwere neurologische Schäden bei progressiver multilokaler Leukenzephalopathie). Dies macht deutlich, dass eine Früherkennung einer HIV-Infektion immer anzustreben ist. Das Routinelabor ist bei HIV-infizierten Patienten in der Mehrzahl der Fälle in der asymptomatischen Phase völlig unauffällig. Hilfreich können jedoch bestimmte Markererkrankungen sein (vgl. Übersicht 2) und das Erheben einer gründlichen Anamnese. So sollte z. B. immer nach sexuell übertragenen Infektionen, nach sexuellen Präferenzen sowie nach Drogenkonsum gefragt werden [4].

Fazit

Die Therapie der HIV-Infektion hat sich in den letzten Jahren dramatisch gewandelt. Die HIV-Infektion ist heute bei rechtzeitiger Entdeckung eine chronische, gut behandelbare Erkrankung mit vermutlich nahezu normaler Lebenserwartung. Neben der noch komplexen Kombinationstherapie, die eine gute Kenntnis der klinischen Pharmakologie und auch der Pathophysiologie voraussetzt, ist das größte aktuelle Therapieproblem die frühzeitige Diagnose der HIV-Infektion. Auch in Deutschland (wie in anderen westlichen Ländern) wird ein relevanter Teil der HIV-Infektionen erst bei Auftreten eines schweren Immundefekts entdeckt – mit erheblichen negativen Konsequenzen für den Patienten. Deshalb sollte das Augenmerk in der hausärztlichen oder auch Notfallbetreuung auch auf das Auftreten von wichtigen Indikatorerkrankungen gerichtet sein, die entweder Risikofaktoren für den Erwerb einer HIV-Infektion oder aber Zeichen eines Immundefekts aufzeigen. Nur die rechtzeitige Diagnose kann helfen, die Fortschritte in der Therapie auch adäquat in eine bessere Prognose zu übersetzen.

Interessenkonflikte: keine deklariert

Literatur
1. UNAIDS. Global Report- UNAIDS report on the global HIV-epidemic 2013. Geneva: UNAIDS; 2013.
2. Robert-Koch-Institut. HIV-Infektion und AIDS in Deutschland. Epid Bulletin 2013;13:214-31
3. DAIG. Deutsch-österreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion 2012.
4. Sullivan AK, Raben D, Reekie J, et al. Feasibility and effectiveness of indicator condition-guided testing for HIV: results from HIDES I (HIV indicator diseases across Europe study). PloS one 2013;8:e52845.

Prof. Dr. med. Bernd Salzberger


Kontakt
Prof. Dr. med. Bernd Salzberger
Klinik I für Innere Medizin, Universitätsklinikum Regensburg
93043 Regensburg

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (2) Seite 46-48