Muskelschwäche ist bei vielen Erkrankungen eine Begleiterscheinung. Doch als Hauptsymptom tritt eine dauerhaft verringerte Muskelkraft eher selten auf. Was also tun, um einer progredienten Muskelschwäche auf den Grund zu gehen?

Wer nach Ursachen einer Muskelschwäche sucht, bekommt einen ganzen Strauß an Differenzialdiagnosen geboten, die von Sportverletzungen über Schilddrüsenstörungen und Medikamenten-Nebenwirkungen bis zu Malignomen oder neuromuskulären Erkrankungen reichen. In der Regel lassen sich diese möglichen Diagnosen schnell aussortieren, da sie jeweils mit typischen Hauptsymptomen einhergehen.

Schwach, müde, kurzatmig

Doch wie geht man vor, wenn außer der zunehmenden Schwäche nur wenig weitere Symptome geboten werden? So der Fall einer 32-jährigen Patientin, den Ärzte der Universitätsklinik Bonn schildern [1]. Die Frau konnte sich plötzlich nicht mehr gerade aufrichten und hatte seit einiger Zeit das Gefühl, als würden ihre Beine zunehmend träge werden, das Aufstehen aus dem tiefen Sofa fiele ihr immer schwerer. Zudem klagte sie über eine ausgeprägte Müdigkeit und bekäme seit einiger Zeit schlechter Luft. In der sonst unauffälligen Anamnese wurden in der Vergangenheit erhöhte Leberwerte festgestellt. Die zunehmende Schwäche mache ihr große Sorgen, weil ihre Großmutter väterlicherseits aufgrund einer Muskelschwäche schon früh auf den Rollstuhl angewiesen war.

Bei der körperlichen Untersuchung fallen eine gekrümmte Haltung des Oberkörpers sowie ein vermehrter Einsatz der Atemhilfsmuskulatur auf. Herz und Lunge sind auskultatorisch unauffällig, bei der Perkussion lässt sich feststellen, dass die Lungengrenzen nicht adäquat verschieblich sind. Außerdem besteht eine paradoxe Atmung im Liegen. Die Kraftgrade der oberen Extremität betragen 4/5, die der unteren Extremität 3/5 mit proximaler Betonung der Paresen. Es zeigt sich eine Schwäche der Rückenstreckmuskulatur. Die Muskeleigenreflexe sind allseits symmetrisch schwach auslösbar. Ansonsten lässt sich kein pathologischer Befund erheben. Wegen der Fatigue-Symptomatik und der anamnestisch erhöhten Leberwerte empfiehlt es sich, ein Oberbauchsonogramm anzuschließen, das aber in diesem Fall keinen pathologischen Befund erbrachte.

Bei der Routine-Labor-Untersuchung ergaben sich an pathologischen Befunden vor allem erhöhte Creatinkinase- und Laktatdehydrogenase-Werte (CK 550 IU/l, LDH 810 U/l), die für einen erhöhten Zelluntergang sprechen (z. B. Tumorerkrankung, Herzinfarkt, Erkrankungen der Skelettmuskulatur). Die Blutgasanalyse zeigte eine teilweise kompensierte respiratorische Azidose mit einer Hypoxie.

Hepatitis, Rheuma und Tumor ausschließen

Bei den Hauptsymptomen – Muskelschwäche, Fatigue und respiratorische Insuffizienz – kommen eine Reihe von Differenzialdiagnosen infrage. Vor allem wegen der Fatigue sind zunächst die häufigeren internistischen Differenzialdiagnosen abzuklären wie Leber-, Rheuma- und Tumor-Erkrankungen (Tabelle 1). Um diese zu differenzieren, sollte zunächst eine eingehendere Laboruntersuchung erfolgen:

Mittels Immunserologie oder PCR lassen sich virale Infektionskrankheiten wie Hepatitiden und HIV-Infektion sowie mögliche bakterielle Ursachen ausschließen (z. B. Yersinien- oder Borrelieninfektion). Zur Diagnostik von Krankheitsbildern aus dem rheumatischen Formenkreis kann die Bestimmung von antinukleären Antikörpern (ANAs) und antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörpern (ANCAs) für einen allgemeinen Überblick nützlich sein. Eine Erhöhung des ANA-Titers kann für das Vorliegen einer Kollagenose (z. B. SLE, Dermato-, Polymyositis) sprechen. Im vorliegenden Fall waren aber sowohl die mikrobiologische als auch die virologische Serologie negativ und der ANA-Titer im Normbereich.

Eine Spirometrie ist wegen der beschriebenen Luftnot und Infektanfälligkeit indiziert. Vitalkapazität (< 60 %), maximaler exspiratorischer Druck, maximaler inspiratorischer Druck sowie das exspiratorische Reservevolumen waren vermindert. Zudem wurde eine leichte Zwerchfellschwäche festgestellt. Ein Röntgen-Thorax kann ebenfalls Aufschluss über den Grund der Atemnot geben, z. B. Anzeichen für eine strukturelle Lungenveränderung, einen Infekt oder einen Erguss. Die Aufnahme war in diesem Fall aber ohne pathologischen Befund.

Diagnostik: vom Fragebogen zur Muskelbiopsie

Hauptsymptom war jedoch die Muskelschwäche. Entsprechend konzentriert man sich hier auf neuromuskuläre Differenzialdiagnosen (Tabelle 2 und 3), die allerdings viele, wenn auch zum Teil sehr seltene Krankheitsbilder umfassen. Wie immer geht man hier von weniger invasiven hin zu stärker invasiven Diagnosemethoden über. Daher steht die Diagnostik, um beispielsweise die häufigere Multiple Sklerose auszuschließen und die unter anderem MRT und Liquor-Punktion umfasst, am Ende des Diagnoseprozesses.

Aufgrund der CK-Erhöhung ist eine EMG indiziert. Es fand sich eine pathologische Spontanaktivität mit komplex-repetitiven Entladungen. In der Muskelbiopsie konnte eine Myopathie mit Vakuolen und dort erhöhter lysosomaler Aktivität und PAS-positiver (PAS = "periodic acid-Schiff reaction") Glykogenspeicherung nachgewiesen werden.

Diagnose: Morbus Pompe

Damit ergibt sich folgende Kausalkette: Durch die Glykogenspeicherung im Muskel kommt es zur Muskelschwäche, die auch die Atemmuskulatur und die Rückenstrecker betrifft. Dies führt zur Zwerchfellschwäche und dazu, dass der Brustkorb zusammensinkt – er hat weder Platz noch die Kraft, sich auszudehnen. Die Patientin bekommt schlecht Luft – vermutlich ein (Zusatz-)Faktor für die Müdigkeit.

Das Ergebnis der Muskelbiopsie weist auf eine Glykogenspeicherkrankheit hin. Hier kann an einen Morbus Pompe gedacht werden. Diese erblich bedingte Stoffwechselkrankheit ist mit 1:40.000 bis 1:150.000 Geburten selten – in Deutschland wird die Prävalenz derzeit auf etwa 200 Betroffene geschätzt. Üblicherweise wird der Morbus Pompe bei Kindern diagnostiziert, doch gibt es auch eine adulte Form dieser lysosomalen Glykogenspeicherkrankheit – wobei hier die Diagnose meist um das 30. Lebensjahr gestellt wird. Der Verdacht auf Morbus Pompe wird auch durch die Anamnese gestärkt – von der Großmutter war bereits eine Muskelschwäche bekannt.

Zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose wurde eine verminderte Aktivität der sauren Alpha-1,4-Glucosidase (GAA) aus Trockenblut festgestellt. Bei der Sequenzierung des GAA-Gens konnte eine Mutation bei der Patientin nachgewiesen werden. Damit liegt hier mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Morbus Pompe vor.


Literatur:
1) Vu Thien Kim Dang, Cornelia Kornblum und Martin Mücke, "Müde Muskeln", 12, 130 – 147, aus: Mücke, Martin (Hrsg.), "Fälle – Seltene Erkrankungen, Patienten ohne Diagnose", Verlag Urban & Fischer (Elsevier), 1. Auflage 2018. ISBN 978 3 437 15041 8



Autorin:
Angelika Ramm-Fischer

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (13) Seite 20-22