Der Patient fühlt sich nach längerer Arbeitsunfähigkeit noch immer krank, die Kasse dagegen gratuliert ihm zur Gesundung und will ihn wieder zur Arbeit zwingen. Was kann der Arzt in dieser Situation seinem Patienten raten, wie kann und sollte er ihn in der Auseinandersetzung unterstützen?

Das Ausstellen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen birgt einigen Konfliktstoff im Dreieck Arzt-Patient-Krankenkasse. Hier kommt es nicht selten vor, dass der behandelnde Arzt über die Arbeitsunfähigkeit eines Patienten grundsätzlich anderer Auffassung ist als die Krankenkasse bzw. der mit der Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK). Für den ernsthaft erkrankten Patienten ist die Aufhebung der Arbeitsunfähigkeit durch die Krankenkasse bei gleichzeitiger Einstellung der Krankengeldzahlung eine erhebliche Belastung. Denn nach erfolgter Begutachtung wird dem gesetzlich krankenversicherten Patienten nicht selten mitgeteilt, dass der Krankengeldanspruch am folgenden oder darauffolgenden Tag endet mit der Folge, dass der Patient seine Arbeitskraft seinem Arbeitgeber ab sofort wieder zur Verfügung zu stellen hat, wenn er nicht schwere finanzielle Einbußen und den Verlust des Arbeitsplatzes erleiden will.

Der Arzt, der hier vom Patienten um Rat gefragt wird, hat gründlich abzuwägen, ob die Wiederaufnahme der Arbeit aus medizinischer Sicht verantwortbar ist. Schreibt er weiterhin krank, geht der Patient also nicht zur Arbeit, weil dies aufgrund der Erkrankung auch nicht verantwortbar ist, so ist der Patient zwar vor einem Arbeitsplatzverlust geschützt, allerdings ist er aufgrund der Einstellung der Krankengeldzahlung ohne Einnahmen. Eine Auseinandersetzung mit der Krankenkasse über die Frage, ob die Einstellung der Krankengeldzahlungen berechtigt war, kann sich vor dem Sozialgericht über Jahre hinziehen. Zudem ist der Ausgang einer derartigen Auseinandersetzung ungewiss. Der Rat an den Patienten, aufgrund der Erkrankung weiterhin nicht arbeiten zu gehen, sollte daher gut abgewogen sein und nur in solchen Fällen erteilt werden, in denen die Aufnahme der Arbeit krankheitsbedingt tatsächlich nicht zumutbar ist.

Der Patient muss seine Arbeitsunfähigkeit nachweisen

Grundsätzlich liegt die objektive Beweislast dafür, dass der Anspruch auf Krankengeld berechtigt ist, beim Versicherten. Die ärztliche Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit führt nach Ansicht des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zu einer anderen Entscheidung, da der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arzt und dem Gutachten des MDK nur der Wert gleichrangiger gutachterlicher Stellungnahmen zukommt. Ist vor dem Sozialgericht trotz der vorliegenden Gutachten der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit nicht zu führen, können den klagenden Patienten nachteilige Folgen treffen. Daraus ergibt sich für den Arzt eine besondere Verantwortung: Im Konflikt mit der gesetzlichen Krankenversicherung sollten die der Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegenden medizinischen Tatsachen gründlich dokumentiert werden, um dem Patienten die spätere Beweisführung zu erleichtern. Beruht die Krankschreibung im Wesentlichen auf subjektiven Angaben des Patienten (Schmerzempfindungen, Unwohlsein etc.), sollte dem Patienten dringend empfohlen werden, sich anwaltlich beraten zu lassen, denn ein Konflikt mit der Krankenkasse kann hier mangels objektivierbarer Krankheitsmerkmale ohne Weiteres verloren gehen, mit den oben genannten finanziellen Folgen.

Nur der Patient selbst kann Widerspruch einlegen

Soweit im Verhältnis zwischen Arzt und MDK in Bezug auf die Arbeitsunfähigkeit Meinungsverschiedenheiten auftreten, hat der Vertragsarzt nach den Bestimmungen der Bundesmantelverträge „Ärzte“ und „Ärzte/Ersatzkassen“ unter Darlegung seiner Gründe bei der Krankenkasse ein Zweitgutachten zu beantragen. Dies wird oft fälschlich – auch bei Beratung durch Krankenkassenmitarbeiter – als „Widerspruch“ bezeichnet. Der Vertragsarzt legt – um dies klarzustellen – keinen Widerspruch für den Patienten ein, Widerspruch gegen den Bescheid der Krankenkasse legt vielmehr der Patient selbst ein. Der Arzt allerdings ist nach den Regelungen der Bundesmantelverträge gehalten, dann, wenn er weiterhin Zweifel an der Richtigkeit der Einschätzung durch den MDK in Bezug auf die Arbeitsunfähigkeit des Patienten hat, den Widerspruch des Patienten zu unterstützen, indem er seine Zweifel begründet und eine zusätzliche Begutachtung veranlasst. Hierauf sollte der Patient ausdrücklich hingewiesen werden. Ein fehlender „Einspruch“ des Vertragsarztes ist nach einem Urteil des BSG vom 08.11.2005 nicht der Krankenkasse anzulasten, der Mangel geht hier vielmehr zu Lasten des Patienten.

Diese Entscheidung ist zu Recht heftig kritisiert worden. Das Gericht unterstellt nämlich, dass sich Patient und Arzt ihrer Pflichten im Dreiecksverhältnis „Krankenkasse-Patient-Arzt“ in Bezug auf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bewusst sind, insbesondere dass der Arzt zum Gutachten des MDK unter Darlegung seiner Gründe bei der Krankenkasse ein Zweitgutachten beantragen muss. Tut er dies nicht, geht dies zu Lasten des Patienten, der dann den Arzt, wenn dieser seine Unterstützung in der Auseinandersetzung zugesagt und nicht eingehalten hat, im Zweifel in Haftung nehmen wird.

Wenn jedoch der Arzt einen begründeten Einspruch gegen das Gutachten des MDK eingelegt hat, kann von Seiten des MDK lediglich eine Vertretbarkeitskontrolle der ärztlichen Einschätzung stattfinden. Die beklagte Krankenkasse und der MDK sind nicht befugt, lediglich ihre eigenen Einschätzungen an die Stelle des in erster Linie verantwortlichen Arztes zu setzen. Sollte die Prüftätigkeit des MDK über eine Vertretbarkeitskontrolle hinausgehen, muss die Krankenkasse auch die dem Arzt obliegenden Sorgfaltspflichten und die damit einhergehende Haftung übernehmen.

Der Vertragsarzt sollte im Übrigen stets daran denken, den Patienten zu einer erneuten Wiedervorstellung vor Ablauf der von ihm bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeit, also spätestens am letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit einzubestellen. Denn der Zeitraum einer erneut festgestellten Arbeitsunfähigkeit beginnt erst mit dem auf die Untersuchung folgenden Tag. Ein lückenloser Anspruch auf Krankengeld kann daher nur erreicht werden, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit am letzten Tag der alten Arbeitsunfähig-keitsperiode festgestellt werden kann.

Zusammenfassung

Der Arzt sieht sich im Konflikt zwischen dem Patienten und seiner Krankenversicherung in der Pflicht, seinen Patienten gegen die Ablehnung einer Kostenübernahme für eine Therapie oder im Streit um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu unterstützen. Zunächst einmal obliegen dem Arzt Beratungspflichten, insbesondere dann, wenn ihm bewusst ist, dass die Kostenübernahme für eine Therapie zweifelhaft ist. Er hat des Weiteren den Patienten dann, wenn dieser eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von ihm wünscht, darüber zu beraten, dass bei einer Ablehnung der Krankengeldzahlung durch die Krankenkasse er, der Arzt, einen förmlichen Einspruch gegen das Gutachten des MDK einzulegen hat.

Selber sollte der Arzt jedoch in einen Rechtsstreit zwischen dem Patienten und seiner Krankenkasse nicht eingreifen, schon um Haftungsrisiken zu vermeiden. Eine Unterstützung der Argumentation des Patienten aus der Sicht des behandelnden Mediziners ist jedoch immer möglich, teilweise – etwa bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – ist der Arzt hierzu auch verpflichtet. Bewertet der Arzt die Notwendigkeit einer medizinischen Leistung oder stellt er die Arbeitsunfähigkeit fest, sollte jedenfalls dann, wenn der Arzt seine Auffassung medizinisch fundiert begründet, die Prüftätigkeit auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt bleiben. Das heißt, dass im Zweifel die Auffassung des behandelnden Arztes der Auffassung des MDK vorzugehen hat.



Autor:

Dr. Thomas Motz

Fachanwalt für Medizinrecht
23568 Lübeck

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (20) Seite 32-34