Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Das gilt medizinisch wie juristisch gleichermaßen. Wo allerdings genau die Unterschiede zu lokalisieren sind, ist umstritten. Unter Juristen besonders kontrovers diskutiert werden Fragen der Einwilligung in eine medizinische Behandlung.

Für Juristen ist klar, dass eine ohne vorherige Einwilligung durchgeführte Behandlung straf- wie zivilrechtlich eine Körperverletzung darstellt, und zwar selbst dann, wenn sich der Therapieerfolg eingestellt hat. Fraglich ist hingegen, wessen Einwilligung erforderlich ist. Benötigt man die des Minderjährigen oder die der Eltern? Benötigt der Arzt vielleicht die Einwilligung von Eltern und Kind gleichzeitig? Und was gilt, wenn das Kind eine andere Auffassung vertritt als seine Eltern? Das neue Patientenrechtegesetz bestimmt dazu, dass vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme die Einwilligung des einwilligungsfähigen Patienten einzuholen ist [1]. Eine genaue Altersgrenze, ab der die Einwilligungsfähigkeit eintritt, hat der Gesetzgeber nicht kodifiziert, jedoch in der Gesetzesbegründung [2] darauf hingewiesen, dass sich eine solche nicht ziehen lasse.

Auf die Geschäftsfähigkeit kommt es nicht an

Entscheidend sei „die behandlungsspezifische natürliche Einsichtsfähigkeit“ des Patienten. Das Einsichtsvermögen und die Urteilskraft des Patienten müssten ausreichen, um die vorherige Aufklärung zu verstehen, den Nutzen einer Behandlung gegen deren Risiken abzuwägen und um schließlich eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Zur Ermittlung der Einwilligungsfähigkeit sieht der Gesetzgeber den Behandelnden in der Pflicht. Er müsse sich davon überzeugen, dass der Patient die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besitzt und Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken der medizinischen Maßnahme erfassen und seinen Willen hiernach ausrichten kann. Ist der Arzt von der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen überzeugt und hat deshalb ein Behandlungsveto beachtet, dann müssten im Falle eines sich anschließenden Haftungsfalles wegen unterlassener Behandlung die Eltern beweisen, dass ihrem Kind die behandlungsspezifische natürliche Einsichtsfähigkeit fehlte. Besteht eine nicht gänzlich entfernt liegende Möglichkeit, dass das Kind die Einsichtsfähigkeit hatte, würde die Klage abgewiesen. Auf die Geschäftsfähigkeit – die Fähigkeit, selbstständig Rechtsgeschäfte, insbesondere Verträge abschließen zu können, die erst mit Volljährigkeit einsetzt [3] – kommt es hier nicht an. Denn beim Eingriff in den Körper geht es nicht um ein Rechtsgeschäft, sondern um eine tatsächliche Handlung. Als Zwischenfazit lässt sich also festhalten: Ist der minderjährige Patient einwilligungsfähig, bedarf es auf jeden Fall seiner Einwilligung. Wird sie nicht erteilt, muss die Maßnahme unterbleiben, gleichgültig ob die Eltern dafür sind. Ist der Minderjährige hingegen nicht einwilligungsfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten – bei Minderjährigen also in der Regel der Eltern – einzuholen. Die auch gegenüber Minderjährigen grundsätzlich bestehende ärztliche Schweigepflicht steht dem übrigens nicht entgegen, weil ihr Bruch zur Einholung der Elterneinwilligung zwingend notwendig und deshalb gerechtfertigt ist.

Elternrecht im Interesse des Kindes

Nach wie vor ungeklärt und auch im Patientenrechtegesetz nicht ausdrücklich geregelt ist jedoch die Frage, ob bei festgestellter Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen die zusätzliche Einwilligung der Eltern erforderlich ist. Das ist deshalb fraglich, weil sich im Grundgesetz die Kindesrechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit [4] auf der einen Seite und das „natürliche Recht der Eltern“ auf Pflege und Erziehung des Kindes auf der anderen Seite gegenüberstehen. Zudem ist die Personensorge der Eltern für ihr Kind im Bürgerlichen Gesetzbuch [5] verankert. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hat unter Hinweis auf die Personensorge der Eltern ihre Einwilligung jedenfalls dann für erforderlich gehalten, wenn es um eine „nicht unwichtige Entscheidung über einen ärztlichen Eingriff“ geht [6]. Der Fall betraf die Entfernung gemeiner Warzen im Chaoul'schen Nahstrahlverfahren. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vom 09.02.1982 [7] darauf hingewiesen, dass es sich beim Elternrecht wesentlich um ein Recht im Interesse des Kindes handelt. Das Elternrecht wird deshalb mit abnehmender Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit sowie zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes zurückgedrängt, bis es mit der Volljährigkeit des Kindes ganz erlischt. Abgestufte partielle Mündigkeitsregelungen, die sich an diesen Kriterien ausrichten und sachlich begründet sind, würden daher keine Eingriffe in das Elternrecht darstellen. In der Gesetzesbegründung zum Patientenrechtegesetz heißt es zu dieser Problematik, grundsätzlich komme es auf die Umstände des Einzelfalles an, „ob seine Eltern als gesetzliche Vertreter, gegebenenfalls der Minderjährige allein oder auch der Minderjährige und seine Eltern gemeinsam einwilligen müssen“.

Gegen den Willen der Eltern kein Behandlungsvertrag

Offensichtlich hält es der Gesetzgeber also für möglich, dass der einsichtsfähige Minderjährige allein entscheidet. Dazu wurde in der Literatur bislang die Auffassung vertreten, dass der Arzt in banalen Routineeingriffen bei Abwesenheit der Eltern darauf vertrauen darf, dass sie mit dem Eingriff einverstanden sind. Der Arzt muss deshalb nicht bei den Eltern rückfragen, wenn der (einwilligungsfähige) Minderjährige seinerseits einverstanden ist. Da die Gesetzesbegründung diese Literatur ausdrücklich zitiert, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht ein wirkliches Alleinentscheidungsrecht des Minderjährigen meinte, sondern nur klarstellen wollte, dass sich der Behandler in banalen Routinefällen auf die Aussage des Minderjährigen verlassen kann, dass seine Eltern ebenfalls einverstanden seien. Weiß der Arzt hingegen positiv, dass die Eltern gegen den (banalen) Eingriff sind, darf er nicht tätig werden, selbst wenn der einsichtsfähige Minderjährige es verlangt. Entschärft wird die Problematik aber dadurch, dass es für die ärztliche Behandlung nicht nur der Einwilligung für den Eingriff in die körperliche Integrität bedarf, sondern auch einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung zum Abschluss eines zivilrechtlichen Behandlungsvertrages [8]. Das gilt auch für gesetzlich Versicherte [9]. Rechtsgeschäftliche Willenserklärungen kann der Minderjährige jedoch nur mit Einwilligung der Eltern abgeben [10], wodurch das elterliche Einverständnis doch wieder erforderlich wird.▪

Fazit
Die Einwilligung der Eltern ist auf jeden Fall für den Abschluss des Behandlungsvertrages erforderlich. Bei Routinefällen kann der Arzt davon ausgehen, dass die Eltern sowohl mit dem Abschluss eines Behandlungsvertrages alsoauch mit dem Eingriff in die körperliche Integrität des Kindes einverstanden sind, es sei denn, der Arzt kennt das Gegenteil. Außerhalb von Routinefällen benötigt der Arzt die ausdrückliche Erklärung der Eltern. Ob zusätzlich die Einwilligung des Minderjährigen in die konkrete Behandlung erforderlich ist, hängt von der Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen ab. Der Arzt hat sie zu erforschen und Entsprechendes in seiner Behandlungsdokumentation festzuhalten.


Literatur
1) § 630d BGB
2) Bundestags-Drucksache 17/10488, S. 23
3) § 104 ff BGB
4) Artikel 2 Absatz 1 GG
5) § 1626 BGB
6) BGH-Urteil vom 16.11.1971 zu AZ VI ZR 76/70
7) Aktenzeichen 1 BvR 845/79
8) § 630a BGB
9) § 630a Abs. 1 BGB
10) § 107, 108 BGB

Torsten Münnch, Jurist


Kontakt:
Torsten Münnch
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
DIERKS + BOHLE Rechtsanwälte
Berlin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; (9) Seite 30-31