Die Corona-Pandemie bringt das deutsche Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenzen und vielleicht sogar darüber hinaus. Und von Beginn der Krise an standen die Hausärzte im Zentrum des Corona-Sturms, sind sie doch traditionsgemäß die ersten Ansprechpartner für die Bevölkerung in allen Gesundheitsfragen. Derzeit (Stand Ende März) läuft in den Praxen kaum noch etwas, wie es war. Ein Zustandsbericht.

Optimal vorbereitet waren die Praxen auf das, was kam, nicht wirklich. Es fehlte rasch an Schutzausrüstung und Desinfektionsmaterialien. Die Gefahr stieg, dass diejenigen, die sich um die verunsicherten Patienten kümmern sollten, selbst erkranken und dann ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen könnten. "Ohne entsprechende Schutzausrüstung COVID-19-Infizierte zu behandeln, ist wie einen Feuerwehrmann in Shorts und T-Shirts zum Löschen eines Großbrandes zu schicken", sagte Dr. Michael Kulas, 1. Vorsitzender des Saarländischen Hausärzteverbandes.

Wer testet wen?

Und so wuchs auch bei den Hausärztinnen und -ärzten nicht nur die Verunsicherung, sondern auch die Verärgerung. Sollen die Ärzte nun Corona-Tests durchführen oder das Gesundheitsamt? Oder sollten spezielle Abstrichzentren installiert werden? Da gab es ganz unterschiedliche Ansichten und Ansätze. Viele Hausärzte fühlten sich da zu Recht alleingelassen mit dem Problem. Gesundheitsämter oder auch die 116 117 waren dauerhaft nicht zu erreichen. Da blieb vielen Patienten eben doch keine andere Wahl, als zum Hausarzt zu gehen.

Und so musste jeder Hausarzt seine eigene Strategie entwickeln, mit der Corona-Krise umzugehen. Der Zugang zu den Praxen musste neu geregelt werden. Potenziell Infizierte sollten getrennt werden von allen anderen, "regulären" Patienten. Manche funktionierten ihre Garage zum Corona-Sprechzimmer um. Einige installierten einen "Spuckschutz" an der Rezeption, um das eigene Personal vor einer Infektion zu schützen. Allein in Berlin mussten bis Ende März 31 Arztpraxen wegen fehlender Schutzausrüstung für die Mitarbeiterinnen geschlossen werden, meldete die dortige KV.

Es wird wieder mehr telefoniert

Plötzlich kam die bislang oft verschmähte Videosprechstunde wieder ins Spiel, zumal sie von etlichen Anbietern nun vorübergehend kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Und es wurde wieder viel mehr telefoniert, um direkte Patientenkontakte zu minimieren. Neue Regelungen erleichterten diese Strategie. Zum Beispiel dürfen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für bis zu 14 Tage nun auch telefonisch ausgestellt werden. Folgerezepte können per Post zugestellt werden. Und das Porto dafür bekommt der Arzt sogar erstattet. DEGAM und Deutscher Hausärzteverband haben die Verunsicherung der Kolleginnen und Kollegen schnell erkannt und Leitlinien für den Umgang mit dem Coronavirus herausgegeben, die den Praxen helfen sollen, ihr Vorgehen besser zu strukturieren.

Corona bringt die Praxen auch wirtschaftlich in Bedrängnis

All das, und natürlich auch die zunehmenden Ausgangsbeschränkungen für die Bevölkerung führte bald dazu, dass sich viele Wartezimmer leerten. Dies wiederum bringt die Praxen womöglich in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Denn der organisatorische Aufwand z. B. in Bezug auf Praxisabläufe, Schutzmaßnahmen oder MFA-Instruktionen hatte sich eher erhöht als verringert. Einige mussten dennoch Kurzarbeit anmelden, weil das Praxispersonal nicht mehr ausgelastet war. Und so manche Praxis erwischte es noch heftiger: Wurde ein Praxismitarbeiter positiv getestet, musste die Praxis geschlossen werden.

So mancher machte sich Gedanken, wie es mit der Praxis wirtschaftlich weitergehen wird nach der Corona-Krise. Das Personal soll ja weiter bezahlt und gehalten werden, auch wenn dieses aktuell Überstunden abbauen kann. Kredite laufen weiter, viele Praxen haben in den letzten Jahren viel in die Digitalisierung investieren müssen. Wie werden die KVen mit den rückläufigen Fallzahlen umgehen, fragte sich mancher. Und die reine Telefonberatung wird eben deutlich schlechter honoriert. Sorgen um die wirtschaftliche Grundlage wuchsen.

KVen wollen Verluste ausgleichen

Die KV Baden-Württemberg reagierte recht schnell und deutete mögliche Ausgleichszahlungen an: "Sollte es zu einem deutlichen Rückgang des Honorarumsatzes in Ihrer Praxis kommen, der auf eine Reduzierung der Patientenzahlen in der Regelversorgung zurückzuführen ist, sei es aus Sorge der Patienten vor Ansteckung, aus Vorrang der Notfallversorgung in der Praxis oder wegen des reduzierten und ggf. rotierenden Einsatzes Ihres Praxispersonals zu dessen Schutz, werden wir in solchen Fällen die wirtschaftlichen Folgen abmildern", hieß es in einer Mitteilung der KV.

Der finanzielle Ausgleich sehe vor, dass bei unveränderter Praxiskonstellation alle Coronavirus-bedingten Umsatzeinbrüche abgefedert werden und eine Stützung auf 90 % des aus dem Kollektivvertrag erzielten Gesamthonorars des Vorjahresquartals der Praxis erfolge. Dies solle aber zunächst nur für das Quartal 1/2020 gelten. Hiermit verbunden sei auch eine Ausnahmeprüfung für die Bemessung des Regelleistungsvolumens (RLV) im Folgejahr. Damit werde die gegebenenfalls niedrige Fallzahl nicht Basis für die Zukunft.

Regierung spannt Schutzschirm auf

Ob andere KVen dies ebenso handhaben wollen, war Ende März noch nicht bekannt, es ist aber davon auszugehen. Dafür reagierte aber die Bundespolitik und verabschiedete ihren "Rettungsschirm" für die Krankenhäuser, aber auch für die niedergelassenen Ärzte. Mit dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz sollen die wirtschaftlichen Folgen für Krankenhäuser und Vertragsärzte aufgefangen werden. Darin heißt es:
  • Niedergelassene Ärzte sowie Psychotherapeuten werden bei einer zu hohen Umsatzminderung aufgrund einer geringeren Inanspruchnahme durch Patienten mit Ausgleichszahlungen sowie mit zeitnahen Anpassungen der Honorarverteilung geschützt.
  • Die Kassenärztlichen Vereinigungen erhalten die zusätzlichen Kosten für die Finanzierung außerordentlicher Maßnahmen, die während des Bestehens der epidemischen Notlage erforderlich sind (wie zum Beispiel die Einrichtung von "Fieberambulanzen"), von den Krankenkassen erstattet.

Hausärzteverband fordert Nachbesserung

Verbände wie der Deutsche Hausärzteverband oder der NAV-Virchowbund begrüßten die getroffenen Maßnahmen grundsätzlich, forderten aber noch Nachbesserungen. In vielen Praxen niedergelassener Ärzte würden gravierende Honorarminderungen entstehen, weil unter COVID-19-Bedingungen nicht nur weniger Patienten behandelt werden, sondern auch viele Leistungen nicht erbracht werden können, beklagte z. B. der NAV-Virchowbund. Das betreffe zum einen Vorsorgeuntersuchungen, die U-Untersuchungen bei Kinderärzten, Heimbesuche, aber auch ambulante Operationen und vieles andere mehr. Dadurch sinke der Fallwert, also die Leistungsmenge pro Patient und damit das durchschnittliche Honorar pro Patient. In einer solchen Praxis werden also bei nahezu gleicher Fallzahl deutlich weniger Leistungen pro Patient und damit ein Honorarrückgang entstehen, der existenzgefährdend sein könne. Des Weiteren seien zusätzliche Regelungen bei Ausgleichszahlungen für die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) und die extrabudgetäre Vergütung (EGV) erforderlich. "Der Schutzschirm muss so ausgestaltet werden, dass er den Umsatz des Vorjahresquartals im GKV-Bereich sowohl in der MGV als auch in der EGV gleichermaßen sichert", forderte der Bundesvorsitzende des Virchowbundes.

Telefonkontakte besser vergüten

Und der Deutsche Hausärzteverband monierte, dass das Gesetz zu kurz greife und die aktuelle Versorgungssituation in den Hausarztpraxen nur in Teilbereichen berücksichtige. Diese habe sich seit Beginn der COVID-19-Pandemie stark verändert – und das nicht nur, weil zum Teil weniger Patienten in den Praxen behandelt würden. Es würden auch weniger beziehungsweise andere Leistungen erbracht – etwa die zur Minimierung der Ansteckungsgefahr so notwendige intensive Betreuung und Versorgung der Patienten über Telefon oder Video. "Aus diesem Grund brauchen wir jetzt schnelle und unkomplizierte Lösungen im gesamten Bereich der GKV, um existenzgefährdende Umsatzverluste zu vermeiden. Eine schnelle Maßnahme könnte sein, die vielen Telefonkontakte, die notwendig sind, um die Patienten in ihrer Umgebung zu betreuen und nicht in die Praxis bestellen zu müssen, so zu vergüten wie Praxiskontakte im Allgemeinen", forderte der DHÄV-Chef Ulrich Weigeldt.

Gerade die Hausärztinnen und Hausärzte seien der Schutzwall gegen die Überforderung der stationären Versorgung. Ohne sie wäre es den Krankenhäusern nicht möglich, sich auf die intensivmedizinisch zu betreuenden Patienten zu fokussieren. Diese Basis dürfe auf keinen Fall wegbrechen. Deswegen bedürfe es nicht nur der dringend benötigten und immer noch fehlenden Schutzausrüstung in den Praxen, sondern auch konkreter Nachbesserungen in der Gesetzgebung, um die Existenz der Hausarztpraxen für heute und auch für die Zukunft zu sichern, so Weigeldt.

Wie geht es weiter?

Die Welt in den Hausarztpraxen hat sich durch die Corona-Pandemie grundlegend verändert. Es wird wohl eher noch Monate denn Wochen dauern, bis sich die Situation wieder einem Normalzustand annähert. Die Szenarien für den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie deuten dies an. Und der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gewollte Trend zur Digitalisierung im Gesundheitswesen wird wohl noch mehr Fahrt aufnehmen, das ist wohl jetzt schon abzusehen.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (7) Seite 26-28