Wie blicken junge Ärztinnen und Ärzte auf die Hausarztmedizin? Wie beurteilen sie berufs- und gesundheitspolitische Entwicklungen? Sandra Blumenthal, Mitglied im Vorstand der Jungen Allgemeinmedizin Deutschland (JADE) und derzeit in der Weiterbildung zur Allgemeinärztin, kommentiert die Sorgen und Nöte des Hausarzt-Nachwuchses.

Kürzlich wurde ich in der S-Bahn Zeugin eines Gespräches zweier junger Kolleginnen. Eine von ihnen war aus der Inneren Medizin in die Hausarztpraxis gewechselt. Sie schien sehr angetan – doch irritierte mich ihr Fazit: "Aber selbstständig mache ich mich NIEMALS!" Undurchsichtige Regularien in der Niederlassung und ein Berg der Bürokratie halten junge Menschen davon ab, eine Praxis zu übernehmen. Selbst wenn sie die eigentliche hausärztliche Arbeit gerne ausüben. Müssen wir diese Entwicklung weiter hinnehmen?

Im Listserver Allgemeinmedizin – einer Art virtuellem Stammtisch in Form eines E-Mail-Verteilers – hat sich eine Initiative entwickelt, die die Arbeitsbedingungen von Hausärzten und die medizinische Versorgung unserer Bevölkerung verbessern möchte. Gemeinsam haben wir Statements von fast 100 Kollegen gesammelt und daraus eine Online-Petition konzipiert. Die Kollegen wünschten sich – auch in finanzieller Hinsicht – mehr Wertschätzung des ärztlichen Gesprächs. Eine weitere Forderung war die Einführung einer Positivliste für Medikamente. Dies fordern Mediziner seit Jahren: Es gab diesbezüglich nicht nur einen Beschluss der Bundesärztekammer 1999; in einer Umfrage der BÄK sprachen sich auch 69 % aller Ärzte hierfür aus. Die WHO pflegt seit 1977 eine Liste der sog. unentbehrlichen Arzneimittel – es gäbe Möglichkeiten, eine solche (erweiterte) Liste für das deutsche Gesundheitssystem zu entwickeln. Unser Verordnungsverhalten würde für Patienten verständlicher und transparenter. Regresse wären hinfällig. Für den stationären und den ambulanten Bereich könnten gleiche Regeln bei der Verordnung von Therapeutika gelten. Eine Positivliste trüge zur Verbesserung der medizinischen Versorgung bei.

Unsere Online-Petition fordert außerdem die Einführung eines Primärarztsystems. Der Hausarzt als Lotse im Gesundheitswesen schränkt die freie Arztwahl nicht ein – wir definieren hierdurch nur klarer die Versorgungsebenen: Grundversorgung durch Hausärzte auf der einen, Spezialversorgung durch Gebietsärzte auf der anderen Seite. Im HzV-Land Baden-Württemberg hat man damit bereits gute Erfahrungen gesammelt. Ein Ausbau der Primärversorgung könnte außerdem – wie in einigen skandinavischen Ländern – die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen, wie Familienhelfern und Physiotherapeuten, fördern. Auch das kann die Qualität der medizinischen Versorgung verbessern.

In Deutschland bestimmen zwei Abrechnungssysteme, Ziffernchaos im Kopf anstelle von voller Konzentration auf den Patienten und Ärger mit den Krankenkassen unseren Arbeitsalltag als Hausärzte. Nach einer aktuellen Umfrage der Bildzeitung gäbe es in der Bevölkerung eine Mehrheit für die Bürgerversicherung. Ein einheitliches, solidarisches Versicherungssystem schadet weniger uns Hausärzten als den privatärztlich arbeitenden Spezialisten und den gut ausgebauten Privatkliniken. Möglicherweise ist es an der Zeit, anstelle kosmetischer Veränderung an dem bestehenden System größere Reformvorhaben auf den Weg zu bringen.

In jedem Fall lohnt es, sich für den Erhalt unseres Berufes und für eine Verbesserung der hausärztlichen Versorgung zu engagieren. Wenn Sie unsere Online-Petition unterstützen möchten, können Sie dies unter http://openpetition.de/!versorgung tun.



Autorin:

Sandra Blumenthal


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (15) Seite 37