Negativ hat Konjunktur, der Viruspandemie sei Dank. Selbst Politiker, sonst berufsoptimistische Positivisten, bekennen sich inzwischen gerne zum neuen Negativtrend. Ein schönes Beispiel dafür ist Daniel Günther, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident. Als er nach überstandener Coronainfektion und absolvierter Isolationseinsamkeit sein öffentlichkeitsorientiertes Berufsleben wieder aufnehmen konnte, plakatierte er dies mit der bundesweit publizierten Aussage: "Habe mich selten so über ein negatives Ergebnis gefreut."

Das ist doch schön! Dass gehäufte Negativereignisse final zu Positivem führen können, gilt in vielen Bereichen, etwa der Mathematik. Bekanntermaßen ergibt sich doch aus der Multiplikation von zwei negativen Zahlen ein noch größeres positives Resultat. Über den Zusammenhang von Negativem und Positivem sinnierte schon in alten Zeiten der tiefgründendeImmanuel Kant aus Königsberg. So mutmaßte er in seiner 1763 publizierten Abhandlung "Versuch den Begriff der negativen Grössen in die Weltweisheit einzuführen", dass "negative Größen nicht nur Negationen von Größen sind, sondern an sich selbst wahrhaftig Positives, nur was dem anderen entgegengesetzt ist." Das klingt zwar ziemlich verschwurbelt, heißt aber in der Sprache von Otto Normalverbraucher, dass Negatives oft auch Gutes einschließt. Es bleibt eine Frage der Wahrnehmung und der Interpretation.

Die nicht immer stringent gehandhabten "Negativ-Positiv"-Apostrophierungen der Medizinernomenklatur sind für Laien meist ein verwirrendes Vexierspiel. Beispiel: Eine langjährige Patientin leidet seit Jahrzehnten an einer einseitigen, auf eigenen Wunsch bislang operativ nicht behandelten Otosklerose. Der Rinnesche Stimmgabelversuch fällt aufgrund der gestörten Schallleitung an diesem Ohr zwangsläufig pathologisch aus. Einer otologischen Tradition folgend wird er als "negativ" bezeichnet – entgegen üblicher doktoraler Gepflogenheit und dadurch eine beliebte Fallgrube im Staatsexamen. In diesem Fall ist also trotz des negativen Tests die hochgradige Schwerhörigkeit keineswegs positiv. Wäre der Test hingegen positiv, wäre das Mittelohr normal. Das bringt gelegentlich auch gestandene Kolleg:innen zum Grübeln, weil ein positiver Befund bei uns Hippokratesjüngern üblicherweise mit einer pathologischen Befundlage verknüpft wird. Aus "leibhaftiger" Erfahrung denke ich da nur an den "positiven Stuhltest", der zunächst eine Litanei unangenehmer Untersuchungen nach sich zieht. Sind die Befunde dann aber negativ und kann der Test rückblickend als falsch positiv entlarvt werden, ist eine richtig positive Hebung der negativen Gemütsstimmung spürbar.


Das meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (4) Seite 61