Schlafen am Tage nimmt die Runzeln vom Gesicht – so sagt der estnische Volksmund und konstatiert damit den faltenmindernden Facelifting-Effekt des mittäglichen Schönheitsschlafes. Der hat inzwischen weltweit als "Powernap" Karriere gemacht. Doch neu ist das nicht. Schon Wilhelm Busch war als Überzeugungstäter des kontemplativen Mittagsschläfchens bekannt. Fiel dieses aus, reimte der Poet ärgerlich.

"Erquicklich ist die Mittagsruh, nur kommt man oftmals nicht dazu."

Gerne denke ich dabei an meinen Großvater, der das mittägliche Ruheritual geradezu zelebriert hat. Pünktlich nach dem Mittagessen zog er sich in seine Bibliothek zurück, die stilgerecht mit einem Harmonium und einem Bett möbliert war. Als emeritierter Pfarrer nahm er diesen Zeitpunkt und seinen Rückzugsort qua Amtes selbstverständlich in Anspruch. Für ihn hat es sich bewährt, denn trotz schwerer Kriegsfolgen starb er hochbetagt erst im neunten Lebensjahrzehnt. Seine Studierstube war die akademisch-bürgerliche Version des (volkskundlich äußerst interessanten) "Kanzleile" oder "Kabinettla". In dieser "guten Stube" war dazu eine Ecke mit einer übermannshohen, nicht deckenschlüssigen Holzwand für eine Ruhecouch abgeschirmt: ein pragmatischer Rückzugsort für die bäuerliche Siesta. S. Mednick et al. konnten dieses traditionelle Verhaltensmuster schon vor Jahren in einer Studie (Nat Neurosci. 2003; 6[7]: 697–8) als gesundheitsfördernd belegen. Voller Euphorie maßen die Forscher dem mittäglichen Energie-Nickerchen den gleichen Erholungswert zu wie einer ganzen Nacht in Morpheus’ Armen. Doch welche Länge soll diese Mittagsruhe nun wirklich haben? Zhe Pan et al. fanden nämlich jüngst in einer Metaanalyse (Sleep Medicine, 2020; 74: 165–72) an über dreihunderttausend Probanden heraus, dass die Subgruppe der Mittagsschläfer paradoxerweise ein um 30 % höheres Sterberisiko aufwies als die der Nichtschläfer. Am meisten waren aber jene betroffen, die mittags länger als eine Stunde in einen nachtähnlichen Tiefschlaf verfielen. Exakte Analysen zeigten dann, dass eine vertiefte, überlange Siesta als negativer Indikator für eine bedrohliche Herz-Kreislauf-Erkrankung mit erhöhter Mortalität zu sehen ist. Das erklärt das höhere Sterberisiko jener Gruppe. Die gesundheitlich wertvolle Qualität des propagierten Kurzschlafes wird davon aber nicht tangiert. Wäre das schon zu Buschs Zeiten bekannt gewesen, hätte dieser bestimmt noch den folgenden, sprachlich aktualisierten Vierzeiler angehängt:

"Nur kurz sei sie, die Mittagsruh, stärkt Leib und Seele dann im Nu.
Der Powernap hat seine Würze im täglich Tun und in der Kürze!"


Das meint auch Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (9) Seite 73