"Den Zeitenfluss in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf." Im Originalspruch war es zwar der Sozialismus, der sich durch nichts und niemanden aufhalten lassen wollte, aber für das Kommen und Vergehen von Zeit passt diese Sentenz genauso.

Auch der Volksmund hat sich der Vergänglichkeit von Zeit schon immer gerne angenommen. So fand ich an einem Haus im Oberallgäu den von barocker Lüftlmalerei umrahmten Satz: "Wir leben so dahin und nehmen nicht in Acht, dass jeder Augenblick das Leben kürzer macht!" Das mag wohl wahr sein. Diese melancholisch-larmoyante Feststellung spiegelt aber auch die relative und vom Betrachter abhängige Zeitwahrnehmung wider. Kindern und Teenagern scheint ihre Zeitspanne noch unendlich, während sich die Restlaufzeit des Pensionärs in atemberaubendem Galopp dem Finale nähert.

Weil sich Zeit also weder anhalten, zurückdrehen oder gar vorstellen lässt, ist "Zeitumstellung" schon ein Fehlbegriff. Fakt ist, dass wir zwar zweimal jährlich an der Uhr drehen, nicht aber an der Zeit. Die immer wieder abgeschaffte und dann erneute Reinstallierung der "U(h)rbarmachung" hat leider einen traurig-historischen Beigeschmack mit bedrückender Aktualisierung. Der erstmalige Wechsel von Winter- auf Sommerzeit wurde Ende April 1916 im Deutschen Reich eingeführt, um Energieeinsparungen an langen Abenden zu erzielen: ein Tribut an den enormen Energiebedarf im Ersten Weltkrieg. Allerdings gab es damals in einem bürgerlichen Haushalt höchstens zwei Uhren: die Springdeckeluhr des Hausherrn und den obligaten Regulator in der guten Stube. Im Arbeitsalltag sorgte der weltliche Stundenschlag des Dorfkirchturms für zeitliche Orientierung. Der moderne Mensch muss hingegen an wesentlich mehr Stellschrauben drehen, wenn er nicht nur von Funkuhren umzingelt ist, die am Sekundentropf der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt hängen.

Wenn die Zeit der "U(h)rbarmachung" dräuend naht, bilden sich nicht selten größere Warteschlangen vor Vertragswerkstätten und Tankstellen, weil Hilfe suchende Autofahrer:innen an der schlichten Uhrjustierung ihrer multifunktionellen Luxusfahrzeuge verzweifeln. Auch Fahrradcomputer sträuben sich nicht selten gegen die "Zeit-Aktualisierung", ganz zu schweigen von lieb gewonnenen Küchenhelfern. So braucht unser ganzjährig tätiger Dampfgarer aus funktionellen Gründen den terminierten Zeittransfer. Zwei Stunden meiner Rentnerlebenszeit hat mich diese U(h)rbarmachung beim ersten Mal gekostet, schmerzhaft und unwiederbringlich. Sommerzeit hin, Winterzeit her.


Das meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (3) Seite 63