"Es ist selten ein Schaden ohne Nutzen", sagt der Volksmund mit einem Hang zur unverblümten Wahrheit. Nehmen wir die COVID-19-Pandemie. Gleichberechtigt neben allen Schutzmaßnahmen widerfährt dem Händewaschen eine ungeahnte Renaissance. Dabei denke ich an meine Urgroßmutter, die uns Urenkel immer wieder mit dem Hygienereim traktiert hat: "Nach dem Klo und vor dem Essen, Händewaschen nicht vergessen!" Noch im 19. Jahrhundert geboren, erlebte sie das Plumpsklo über dem Misthaufen und sah üble Infektionen in ihrem ländlichen Milieu durch fehlende Hygiene.

Die Generation der Jetztzeit hat dieses tradierte Alltagswissen offensichtlich verdrängt. Während in Kliniken wahre Desinfektionsorgien stattfinden, meldete das Deutsche Ärzteblatt schon vor zwei Jahren, dass Deutschland "… Nachholbedarf beim Händewaschen" hat. Wissenschaftliche Untersuchungen hatten nämlich ergeben, dass nach der Toilettenbenutzung etwa 7 % der Beobachteten ganz auf das Händewaschen verzichteten und nur 8 % der Nutzer ihre Hände einschließlich der Fingerzwischenräume mindestens 20 Sekunden lang korrekt mit Wasser und Seife reinigten. Die übrigen schrubbten sich nach persönlichem Gusto. Als Konsequenz organisierte die Bundesregierung mit der Kunstfigur Walter eine Kampagne ("#waschenwiewalter") zur Implementierung richtigen Händewaschens. Fachleute sagen: Mustergültig gemacht, wird die Anzahl der Keime an den Händen auf bis zu ein Tausendstel gesenkt. Die Mindestwaschzeit ist übrigens ganz leicht unter dem zweimaligen Absingen von "Happy Birthday" einzuhalten. Zeitaufwendiger (32 Sekunden), aber kulturell wertvoller ist es hingegen, die erste Strophe der Europahymne ("Freude schöner Götterfunken") zu schmettern.

Unabhängig davon: Einen würde die neu entdeckte Leidenschaft für das Händewaschen ganz sicher freuen. Die Rede ist von Ignaz Phillip Semmelweis. Der vor anderthalb Jahrhunderten verstorbene "Retter der Mütter" hatte mangelnde ärztliche Händehygiene als Ursache für das Kindbettfieber entlarvt, noch ehe die Bakteriologie so richtig geboren war. Seine unermüdlichen Versuche, die Kollegen zu einer ordentlichen Desinfektion der Hände zu bewegen, stießen auf vehementen Widerstand und endeten schließlich in einer psychiatrischen Behandlung mit frühem Tod. Semmelweis‘ Aussage "Alles war unerklärt, alles war zweifelhaft, nur die große Anzahl der Toten war eine unzweifelhafte Wirklichkeit" umreißt mit bedrückender Aktualität die jetzigen Diskussionen um das richtige Vorgehen in der COVID-19-Pandemie. Die pragmatisch gewonnenen Erkenntnisse von Semmelweis sind aber unverändert aktuell geblieben. Wasser, Seife, ausreichend Zeit und gründliches Abtrocknen: So einfach kann auch heute noch verantwortungsvolle Prävention im Alltag von Mediziner:innen und Laien sein.


Literatur:
1. www.aerzteblatt.de/nachrichten/91617/Deutschland-hat-Nachholbedarf-beim-Haendewaschen 06.03.2018 (zuletzt eingesehen am 01. 11. 2020)
2. https://www.infektionsschutz.de/haendewaschen/ (zuletzt eingesehen am 03. 11. 2020)
3. Goldemeier Ch. Ignaz Philipp Semmelweis Retter der Mütter. Deutsches Ärzteblatt Studieren. de 2011; 2: 22-23


Dies meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (3) Seite 63