Arzneimittelfälschungen haben sich in den vergangenen Jahren zu einem ernst zu nehmenden Problem entwickelt. Wer vermutet, dass davon vornehmlich Entwicklungsländer betroffen sind, liegt zwar nicht verkehrt, doch auch hierzulande wächst das Risiko von Jahr zu Jahr: Mehr als 320 000 gefälschte Arzneimittelpackungen im Wert von 4,8 Millionen Euro haben deutsche Zollfahnder im Jahr 2012 beschlagnahmt. Das war rund ein Drittel mehr als im Jahr davor. Mit neuen Sicherheitsmaßnahmen versucht die Pharmaindustrie jetzt, den Arzneimittelfälschern Paroli zu bieten.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass sechs bis sieben Prozent der Medikamente in den Industrieländern und sogar 80 Prozent aller Arzneimittel in Entwicklungsländern gefährliche Fälschungen sind. Gefälscht wird dabei inzwischen alles, was den Kriminellen einen großen Gewinn verspricht. Standen früher vor allem sogenannte Lifestyle-Medikamente im Fokus wie beispielsweise Anabolika oder Mittel gegen erektile Dysfunktion, Haarausfall oder Übergewicht, hat sich das Spektrum mittlerweile stark ausgeweitet. Immer häufiger werden auch blutdruck- und cholesterinsenkende Arzneimittel, HIV-Medikamente, Präparate zur Krebsbehandlung, Schmerzmittel oder Antibiotika verfälscht.

Ein Riesengeschäft für Kriminelle

Tatsächlich gibt es keine Wirkstoffklasse mehr, die nicht betroffen ist. Denn Arzneimittelfälschungen sind lukrativ. Während sich bei Drogen wie Heroin oder Kokain die Gewinnspanne auf das rund 24-Fache beläuft, liegt sie bei gefälschten Medikamenten oft noch deutlich höher. So erzielt der Wirkstoff Sildenafil laut Aussage der Zollfahndung Köln illegal eine Gewinnspanne von weit mehr als dem 200-Fachen.

Der wirtschaftliche Schaden durch gefälschte Arzneimittel ist aber nur eine Seite. Viel bedenklicher ist die potenzielle Gefahr für die Gesundheit von Patienten. Eine medizinische Konsequenz gefälschter Medikamente ist eine verminderte Wirksamkeit, wodurch der Heilungsprozess verlangsamt wird oder ausbleibt und sich die Krankheit womöglich noch verschlimmert. Bei nicht-wirksamen Antiinfektiva kann es zu einer Förderung der Infektionsverbreitung kommen. Und durch Toxine in den gefälschten Medikamenten können sogar neue Erkrankungen auftreten. Gerade Ärzte sind darauf angewiesen, dass sie ihren Patienten wirksame und sichere Arzneimittel verordnen können, sagte Professor Manfred Schubert-Zsilavecz, der Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker, beim letzten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden.
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Was ist ein gefälschtes Medikament?

Ein Arzneimittel wird dann als gefälscht bezeichnet, wenn es hinsichtlich seiner Identität und/oder Herkunft vorsätzlich und in betrügerischer Absicht falsch gekennzeichnet ist. Wie eine solche Fälschung aussieht, kann laut Experten ganz unterschiedlich sein. In den letzten Jahren wurden am häufigsten Präparate entdeckt, die überhaupt keinen Wirkstoff enthielten. Für einen Patienten, der auf die Wirkung seines Arzneimittels angewiesen ist, kann so etwas fatale Folgen haben. Häufig kommt es aber auch vor, dass das Präparat zwar den richtigen Wirkstoff enthält, aber in einer falschen Dosierung. Manchmal ist auch ein vollkommen anderer Wirkstoff enthalten als der deklarierte oder das Präparat enthält noch zusätzliche Wirkstoffe, die aber nicht auf der Packung angegeben sind und auch nicht drin sein sollten. Andere Fälschungen betreffen eher die Verpackung. So werden Verfallsdaten verlängert, Blister oder Beipackzettel nachgemacht oder verändert. So oder so: Gefälschte Medikamente sind immer ein potenzielles Risiko für die Gesundheit. So können zum Beispiel verunreinigte Arzneistoffe zu lebensbedrohlichen Reaktionen führen.

Das Internet ist ein Hochrisikogebiet

Ob es sich um ein gefälschtes Präparat oder das Original handelt, ist für Verbraucher und Patienten nur schwer zu unterscheiden. Täuschend echt ahmen die illegalen Händler Verpackungen und Aussehen der Tabletten nach. Selbst für Experten sind die Arzneimittelfälschungen visuell nicht immer sofort von dem Original zu unterscheiden. Um herauszufinden, ob eine Fälschung vorliegt, müssen manchmal aufwendige analytische Methoden angewendet werden. Als Einfallstor von Arzneimittelfälschungen hat sich in Europa der Verkauf über virtuelle Apotheken im Internet erwiesen. So sollen bereits im Jahr 2006 etwa 50 Prozent aller im Web verkauften Arzneimittel Fälschungen gewesen sein. Obwohl dieses Risiko eigentlich inzwischen allgemein bekannt sein sollte, gibt es viele Menschen, die sich weiterhin ihre Medikamente auf diesem Weg besorgen.

Wer Medikamente über das Internet beziehen möchte, sollte unbedingt auf die Sicherheit des Anbieters achten. Als Zeichen für deren Seriosität gelte die Einforderung eines Rezepts bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die Angabe eines Impressums und einer Telefonnummer für eventuelle Nachfragen.

Auch die legale Vertriebskette ist betroffen

Doch auch in der scheinbar sicheren legalen Vertriebskette hierzulande können Arzneimittelfälschungen vorkommen. So sind dem Bundeskriminalamt im Zeitraum von 1996 bis 2008 insgesamt 49 Fälle von Arzneimittelfälschungen in der legalen Vertriebskette bekannt. Meist handelte es sich dabei um illegale Reimporte in gefälschten Verpackungen. Doch es gibt auch gravierendere Fälle, wie der im März 2013 bekannt gewordene Omeprazol-Fälschungsskandal zeigte. Über zwei Jahre hinweg wurde regelmäßig und unbemerkt Omeprazol in gefälschten Verpackungen verschiedener Pharmaunternehmen in Deutschland vertrieben. Ein Großhändler hatte die Ware über Großbritannien erworben. Dort stammten die Präparate allerdings wiederum von einem anderen Großhändler, der sein Geschäft in Rumänien oder Bulgarien ausübte. Aufgefallen ist dieser Betrug schließlich nur, weil im Beipackzettel widersprüchliche Angaben entdeckt worden waren.

Ein anderer Fall: Im August 2013 musste das Krebsmedikament Sutent vom Markt zurückgezogen werden, weil der Verdacht auf Fälschung bestand. Vermutet wurde, dass über einen rumänischen Großhändler gefälschte Kapseln, die keinen Wirkstoff enthielten, in die deutsche Lieferkette geraten sind. Einer Patientin war schließlich aufgefallen, dass die Kapseln eine andere Farbe als üblich aufwiesen. Sie informierte daraufhin ihren Apotheker.Professor Schubert-Zsilavecz vermutet, dass sich Probleme mit Fälschungen zukünftig insbesondere im Bereich der Biologika ausweiten werden. Denn hier erschwere die komplexe Molekülstruktur die Identifizierung von Fälschungen bzw. mache sie sehr aufwendig. Außerdem müsse man davon ausgehen, dass es auch in der legalen Verteilerkette zu einer weiteren Zunahme pharmazeutischer Grundstoffe ungeklärter Herkunft kommen wird.

Pharmahersteller wollen Sicherheit erhöhen

Währenddessen bleiben die Pharmahersteller nicht untätig. Viele pharmazeutische Unternehmer kennzeichnen Packungen bereits mit Sicherheitsmerkmalen wie Hologrammen und Ähnlichem. Bis 2017 soll das securPharm-System für noch mehr Sicherheit sorgen.

Abwehr von Arzneimittelfälschungen
Um den Schutz der Patienten vor Arzneimittelfälschungen auch für die Zukunft zu wahren und möglichst noch zu verbessern, plant die Europäische Union, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen einzuführen. Eine davon ist die Etablierung eines neuen Sicherheitsmerkmals für Arzneimittelverpackungen. In Deutschland wird hierfür derzeit das sogenannte securPharm-System getestet. Mit diesem System soll jede Packung zu einem Unikat werden. Erreicht wird dies durch einen auf die Packungen gedruckten „DataMatrixCode“, der eine individuelle, randomisierte Nummer enthält. Alle vergebenen Nummern werden von den Arzneimittelherstellern in einer gemeinsamen Datenbank gespeichert. In der Apotheke kann dann der Code jeder Packung vor der Abgabe an den Patienten verifiziert werden. Das heißt, der Apotheker scannt die Nummer und fragt sie damit automatisch in der Hersteller-Datenbank ab. Bei Unstimmigkeiten wird die beanstandete Packung einbehalten. In einem fünfmonatigen Testlauf mit 280 teilnehmenden Apotheken, 24 Pharmaunternehmen und rund 3,5 Millionen Arzneimittelpackungen hat sich das securPharm-System bereits als praxistauglich erwiesen. Nun sollen nach und nach mehr Unternehmen und Apotheken eingebunden werden. Bis zum Jahr 2017 soll das System dann flächendeckend eingesetzt werden.

Einen absoluten Fälschungsschutz gibt es nicht, meint Schubert-Zsilavecz. Patienten sollten sich ihre rezeptpflichtigen Arzneimittel von einem Arzt vor Ort verschreiben lassen und in der Apotheke holen. Denn legale Präsenzapotheken vor Ort, aber auch legale Versandapotheken sind in Deutschland immer noch als weitgehend sicher zu betrachten, so Schubert-Zsilavecz.

Wichtig sei aber, das Bewusstsein der Patienten zu schärfen, indem man sie über die Risiken gefälschter Arzneimittel aufklärt. So sollte vermieden werden, dass z. B. im Urlaub unbedacht ein vermeintliches Schnäppchen erworben wird.

Dr. Ingolf Dürr


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (5) Seite 92-94