Für ältere Menschen muss ein erheblicher Anteil der Kosten unseres Gesundheitswesens aufgebracht werden. Bereits die Gruppe der 65- bis 84-jährigen verursacht die doppelten Kosten im Vergleich zu den 45- bis 64-jährigen, die Gruppe der Menschen ab 85 Jahren etwa das Vierfache. Dies liegt aber auch daran, dass viel zu wenige alte oder demente Patient:innen in akutgeriatrischen Abteilungen oder spezialisierten Rehakliniken fachgerecht versorgt werden können. Leidtragende sind auch die Hausärzt:innen.
Das Versorgungsdilemma geriatrischer Patient:innen schlägt gerade bei der Pflege besonders durch. Geriatrische Patient:innen sind aufgrund ihrer Multimorbidität und besonders wegen ihrer Anfälligkeit für ein Delir während eines Krankenhausaufenthaltes ganz besonders auf intensive pflegerische Versorgung angewiesen. Die pauschale Kopfzahl in der Geriatrie von einer Pflegekraft auf 10 Patient:innen im Tagdienst und 20 Patient:innen im Nachtdienst als Mindestgrenze ist im klinischen Alltag bei deliranten Patient:innen daher viel zu gering bemessen. Jeder weiß das und doch haben daran bisher keine Verantwortlichen entscheidend rütteln können.
Vieles wird auf Hausärzt:innen abgeladen
Doch es liegt nicht nur an den fehlenden Ressourcen, sondern auch an fehlgeleiteten Anreizen. Eine Vergütung erhalten die Kliniken für ihre geriatrischen Patient:innen nur für 14 Behandlungstage. Die 7-Tage-Leistung bringt kein Geld und die längere Behandlung über 21 Tage bringt kein zusätzliches Geld über die 14 Tage hinaus. Kein Wunder, dass die Kliniken aus Erlösgründen darauf drängen, ihre geriatrischen Patient:innen nach genau 14 Tagen zu entlassen. Ausbaden müssen dies die Patient:innen, weil sie häufig für die Rückkehr nach Hause noch gar nicht gewappnet sind. Betroffen davon sind aber auch die Hausärzt:innen, weil die verantwortliche Betreuung zu einem Zeitpunkt auf sie zurückfällt, zu dem viele geriatrische Patient:innen in der Akutgeriatrie oder in geriatrischen Rehakliniken besser aufgehoben wären. Aufgrund der kurzen Verweildauer in der Klinik bleibt zumeist auch viel zu wenig Zeit für eine sorgfältige Medikamentenanamnese und eine sinnvolle Anpassung im Falle schädlicher Medikamentenkombinationen. So kommt es nicht selten vor, dass geriatrische Patient:innen mit einem wahren Potpourri an Arzneien entlassen werden, was dann wiederum die Allgemeinmediziner:innen vor neue Probleme stellt.
Was muss sich ändern?
Überfällig wäre es, den auf den Kliniken lastenden Druck zur Verkürzung der Verweildauer zu reduzieren. Denn dieser führt vor allem dazu, dass geriatrische Patient:innen häufig zu früh entlassen werden müssen und so die Problemlage bei ungeklärter Versorgungssituation lediglich verlagert, aber nicht gelöst wird. Dazu muss aber das aktuelle Vergütungssystem auf falsche Anreize zur Fall- und Behandlungssteuerung überprüft und entsprechend verbessert werden. Dringend notwendig wäre es aber auch, die Kommunikation zwischen stationärer und ambulanter Ebene zu verbessern. Ärzt:innen, die geriatrische Patient:innen betreuen, leben oft noch systembedingt in zwei Versorgungswelten. Daher ist eine bessere Transparenz der jeweiligen Vorgehensweise (etwa bei der Medikation über gut begründete Arztbriefe oder einem häufigeren persönlichen Kontakt) dringend geboten.
Gibt es weitergehende Ansätze?
Durchaus. Zum Beispiel das Medikamentenmanagement in der Akutgeriatrie des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau mit dem Projekt "Pharmakologisches Konsil". Konkret erfasst dabei eine versierte Krankenhausapothekerin systematisch, welche Arzneimittel die in der Akutgeriatrie versorgten Patient:innen einnehmen und ob diese zueinander passen oder nicht. Ist dies nicht der Fall, spricht die Pharmazeutin Empfehlungen zur Änderung der Medikation aus. Dies ist bei jeder vierten Patient:in in der Geriatrie der Fall, bei Patient:innen mit Nierenproblemen sogar bei jeder dritten. Davon profitieren nicht nur die Ärzt:innen im klinischen Alltag, sondern auch die niedergelassenen Ärzt:innen, die medikamentös gut eingestellte Patient:innen so besser weiterbehandeln können. Ein solches pharmakologisches Konsil sollte daher über die Geriatrie hinaus für alle älteren Patient:innen bereitgestellt werden.
Wer ist in der Pflicht?
- Politik: Die Pflege in der Geriatrie muss in ihrer Attraktivität durch eine konzertierte Aktion für die Pflege gesteigert werden. Dies kann neben der besseren Bezahlung vor allem durch bessere Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten realisiert werden.
- Verantwortliche der Krankenhausplanung: Aufgrund der demographischen Entwicklung muss in den nächsten Jahren die Anzahl von geriatrischen Betten und Abteilungen erheblich ausgeweitet und finanziell besser ausgestattet werden. Der künftige Umgang unserer Gesellschaft mit Alter und Krankheit wird sich an einem solchen stärkeren personellen und finanziellen Einsatz bemessen lassen müssen.
- Patient:innen beziehungsweise deren Angehörige: Diese sollten frühzeitig an das Erstellen von Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Betreuungsverfügung denken. Patient:innen erklären zwar immer wieder, dass solche Formulare schon lange bereitliegen, sie diese aber immer noch nicht ausgefüllt haben. Wenn sie dann als Notfall in eine Klinik eingeliefert werden, ist es aber oft zum Erteilen einer Vollmacht zu spät.
Eine Literaturliste ist über die Autoren erhältlich.
Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (4) Seite 30-31