„Sie müssen 20 kg abnehmen, das Rauchen einstellen und sich mehr bewegen“ – dieser ärztliche Rat für Patienten, die aufgrund ihrer Lifestyle-Risiken hoch gefährdet sind, z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder ein Bronchialkarzinom zu entwickeln, mag berechtigt sein. Den meisten Betroffenen ist mit einer solchen Pauschal-Floskel jedoch wenig geholfen. Derart gewaltige Hürden führen nicht selten zur Resignation und es bleibt alles beim Alten. Und wenn letztlich eine vollständige Vermeidung von Risiken nicht zu erreichen ist, könnte die Risikoreduktion eine gute Alternative sein. Über ihre diesbezüglichen Erfahrungen diskutierten vier Experten – ein Diabetologe, ein Angiologe, ein Pneumologe und ein Hausarzt im Rahmen eines von der Firma Philip Morris unterstützten Roundtables.

Zu den vermeidbaren Risikofaktoren zählen vor allem Rauchen, ungesunde Ernährungsgewohnheiten, Übergewicht, Bewegungsmangel und hoher Alkoholkonsum. Was die Krebsneuerkrankungen angeht, so scheint dabei dem Rauchen ein besonders hoher Stellenwert zuzukommen. Laut Wissenschaftlern des Krebsforschungszentrums sind für das Jahr 2018 schätzungsweise über 85.000 Krebsneuerkrankungen auf das Rauchen zurückzuführen, was einem Prozentsatz von knapp 20 % aller vermeidbaren Krebsneuerkrankungen entspricht. Ungesunde Ernährungsgewohnheiten, Übergewicht und Bewegungsmangel schlagen mit 7,8 %, 6,9 % bzw. 6,1 % zu Buche.

Risikofaktor Rauchen: Daten zum Tabakkonsum in Deutschland
Gemäß der DEBRA-Studie [1] haben von den 17 Millionen Rauchern in Deutschland ca. 72 % keinen Rauchstoppversuch im Vorjahr unternommen. Von den verbleibenden Patienten, die einen Versuch unternommen haben, war die am häufigsten genutzte Methode die E-Zigarette (ca. 9 %).Gemäß einer aktuellen Studie an 886 Rauchern [2] waren E-Zigaretten bei der Entwöhnung doppelt so wirksam wie Nikotinersatzprodukte (Kaugummis, Pflaster). Die Abstinenzrate betrug nach einem Jahr 18 % vs. 9,9 %.Unter Tobacco Harm Reduction versteht man eine Strategie, Raucher anzusprechen, die sonst weiterrauchen würden, und zu ermutigen, weniger schädliche Formen des Konsums von Nikotin/Tabak zu nutzen, um rauchbedingte Schäden zu reduzieren.Gesundheitsbehörden in England beurteilen E-Zigaretten als um mindestens 95 % weniger schädlich als Zigaretten [3]. Das deutsche Krebsforschungszentrum schreibt: Bei Rauchern, denen der Rauchstopp mit einer leitliniengerechten Tabakentwöhnung nicht gelingt und die E-Zigaretten probieren möchten, kann der Umstieg auf E-Zigaretten mit Hinweis auf die unklaren langfristigen Gesundheitsauswirkungen unterstützt werden [4]. In einem Tabakerhitzer werden im Vergleich zur Zigarette 80 bis 90 % weniger krebserregende Aldehyde und 97 bis 99 % weniger krebserregende flüchtige organische Verbindungen freigesetzt [5].

Quelle: Präsentation Dr. Alexander Nussbaum, Leiter Scientific & Medical Affairs, Philip Morris GmbH, Gräfelfing

"Wir haben gerade eine Umfrage unter deutschen Haus- und Fachärzten abgeschlossen, nach der über 70 % der Ärzte in Deutschland schon einmal von ihren Patienten auf Produkte wie E-Zigaretten oder Tabakerhitzer angesprochen wurden. Aber 58 % der Ärzte fühlen sich zu diesem Thema nicht gut informiert," erklärte Dr. Alexander Nussbaum, Philip Morris. "Dieser Umstand war auch der Anlass für diese Roundtable-Diskussion."

Was die Ernährung angeht, so lohnt es sich, genau hinzuschauen, meinte Prof. Dr. med. Kristian Rett, Diabetologe am Endokrinologikum München. Er berät seine Patienten grundsätzlich anhand eines von ihnen angefertigten Ernährungs-Protokolls. Dann stellt sich nicht selten heraus, dass zwar Gesamtkalorienmenge und Gesamtkohlenhydrate im "grünen Bereich" liegen, jedoch ein zu großer Anteil der Kohlenhydrate über Saccharose abgedeckt wird. Gleichzeitig liegen die pflanzlichen Faserstoffe in einem viel zu niedrigen Bereich und die Fette viel zu hoch. Das ist dann "der typische Low-Carb-, fleischbetonte, Nicht-Gemüse-Konsument", so Rett. Seine Strategie: Statt Kalorienzählen besser einen sinnvollen Ernährungsstil anstreben, wie z. B. die mediterrane Kost: Qualität statt Quantität. Ziel sollte es sein, stark verarbeitete Nahrungsmittel und gesüßte Getränke (Limonade, Coca Cola) zu reduzieren. Dazu beitragen könnte eine Zuckersteuer auf Lebensmittel und Getränke oder eine Lebensmittel-Ampel. Das Problem bei der Saccharose, dem Haushaltszucker: Er hat einen hohen glykämischen Index und sorgt dafür, dass im oberen Dünndarm vermehrt GIP (Glukoseinduziertes Insulinotropes Peptid) freigesetzt wird. Die Folge: Der Organismus wird in den Speichermodus versetzt, die Fettdepots nehmen zu und es entwickelt sich eine Adipositas.

Die Ernährung ist ein wichtiger Faktor, stimmt Dr. med. Peter Pommer, Pneumologe am Bezirkskrankenhaus Parsberg, zu. "Aber sagen Sie mal einem bayerischen Bauern, er soll das Fleisch reduzieren und mehr Pflanzliches essen. Das klappt nicht. Bei "Low-Carb", also z. B. weniger Nudeln oder Knödel, funktioniert das besser. Also fange ich erst mal damit an." "Grundsätzlich ist dagegen nichts zu sagen", so Rett. "Ernährungsstrategien müssen im Alltag umsetzbar sein. Aber Low-Carb darf nicht das endgültige Ziel sein."

Beratung zu Lifestyle-Risiken funktioniert nur dann, wenn man eine gute Beziehung zu seinem Patienten aufbauen kann und wenn man nicht von oben herab kommt, so die Erfahrung von Dr. Pommer. Das gilt auch für’s Rauchen. Dabei betrachtet er es als Vorteil, selbst geraucht zu haben: "Ich weiß, dass es sehr schön sein kann und dass der Suchtdruck enorm hoch ist. Ich sage dann dem Patienten: "Ich kann Sie gut verstehen. Mir ging es genau wie Ihnen. Aber es gibt mehrere Wege, die wir ausprobieren können, ich helfe Ihnen dabei." "Natürlich wird dann zuerst darüber diskutiert, das Rauchen durch mentale Entscheidung oder mit Hilfe von Nikotinersatzprodukten einzustellen. Aber einige der Patienten können diesen Weg einfach nicht gehen, daher sind auch risikoreduzierte Alternativen wie die E-Zigarette oder Tabakerhitzer Bestandteil meiner Beratung."

Welche Rolle spielen Risiko-Kalkulatoren wie der ESC-Score oder der PROCAM-Score für die Patienten-Beratung? Das war eine Frage, die mit den Experten diskutiert wurde. Mit diesen Instrumenten lässt sich der Stellenwert diverser Risikofaktoren wie erhöhte Blutfettwerte, Rauchen, Bluthochdruck und Diabetes abhängig von Alter und Geschlecht sowie deren Beeinflussung gut darstellen. Denn so mancher Patient weist gleich mehrere Risikofaktoren auf und es stellt sich dann die Frage, was man zuerst angehen sollte. Ein Beispiel: Durch einen Rauchverzicht ließe sich bei einem 55-jährigen Mann ohne familiäre KHK-Belastung und ohne Diabetes mit einem systolischen Blutdruck von 150 – 159 mmHg, einem HDL-Cholesterin von 38 – 39 mg/dl, Triglyzeridwerten zwischen 150 und 199 mg/dl und einem LDL zwischen 146 und 160 mg/dl das Risiko, innerhalb von zehn Jahren einen Herzinfarkt zu erleiden, um die Hälfte reduzieren.

Dr. med. Christoph Nielen, niedergelassener Angiologe aus Mönchengladbach, hat die Erfahrung gemacht, dass es manchmal schwierig ist, einem Patienten etwa eine Risikoreduktion um 50 % zu erklären. Der Patient muss verstehen, was er konkret davon hat, seinen Lebensstil zu verändern. Was das Rauchen angeht, sagt Nielen z. B.: "Wenn Sie Zigaretten rauchen, ist das, als ob Sie mit 200 km/h vor eine Betonmauer fahren und mit E-Zigaretten mit 20 km/h."

"Ich mache den Patienten gerne klar, dass es darum geht, möglichst lange krankheitsfrei zu leben und die krankheitsfreie Zeit zu verlängern", erklärte Dr. med. Markus Bleckwenn, Allgemeinarzt aus Linz am Rhein. "Mit Prozenten brauche ich meinen Patienten nicht zu kommen. Stattdessen versuche ich, gemeinsam mit dem Patienten auszuloten, an welchen Schrauben man drehen könnte und was für ihn akzeptabel wäre. Bei erhöhten Blutfettwerten und Hochrisikopatienten starte ich in der Regel mit der Aufklärung über eine notwendige Statinverordnung bei gleichbleibenden Risiken und einer Risikokalkulation für die nächsten 20 Jahre. Das holt viele Patienten schon ins Boot. Dann sagen viele: "Oh, da muss man wohl was machen, aber muss es gleich ein Medikament sein, welche Möglichkeiten gibt es denn noch?" Dann kommt man schnell auf´s Rauchen, aber z. B. auch zu dem Punkt "Bewegung". "Mit Schrittzählern können sich viele Patienten anfreunden.

Aber letztlich biete ich allen Patienten alles an und lasse sie dann selbst entscheiden. Ich sage auch deutlich, dass ich nicht erwarte, dass gleichzeitig vier/fünf Sachen geändert werden. Das wäre viel zu viel. Das erlebe ich auch manchmal bei der Raucherentwöhnung. Da wollen Patienten vor dem Rauchstopp noch 10 kg abnehmen. Ich frage dann: Was ist denn das Wichtigste? Damit fangen wir an."

Die Themen Raucherentwöhnung, das Vorgehen in der Praxis und Probleme bei der Umsetzung waren ein weiterer zentraler Diskussionspunkt. Das Rauchen als wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktor spricht Dr. Nielen bei allen seinen rauchenden Patienten an: "Natürlich wäre der komplette Rauchstopp der beste Weg. Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass viele Patienten das nicht durchhalten. Deshalb vermittle ich auch gleich zu Beginn meiner Beratung, dass es in diesem Fall auch Alternativen gibt wie die E-Zigarette."

Auch Dr. Pommer fragt alle seine Patienten nach dem Rauchverhalten. Bei Rauchern, die sich noch gesund fühlen, ist seine nächste Frage: "Sie wissen, was Rauchen für Folgen hat? Sind Sie aktuell dafür ansprechbar, dass wir uns darüber unterhalten, wie Sie aufhören können zu rauchen, oder wollen Sie das gerade nicht?" Erst wenn der Patient zustimmt, kommt der nächste Schritt. Pommer startet oft damit, seinen eigenen Weg vom Raucher zum Nichtraucher zu schildern. "Das spricht die Patienten sehr an." Er sagt dann z. B.: "Raucher sind gute Menschen, soziale Menschen, sie zahlen freiwillig Steuern und verzichten auf Rentenansprüche, ich finde Raucher gut und ich finde es blöd, dass Raucher früher sterben müssen." Ich frage dann immer ganz klar: "Können Sie sich vorstellen, dass Sie in absehbarer Zeit, ab einem bestimmten Termin aufhören?" Falls dann kommt: "Eigentlich nicht, ich habe das schon so oft versucht, das klappt nicht.", sage ich: "Okay, es gibt noch einen Weg, das ist nicht der beste, aber vielleicht der erfolgreichste und der leichteste, nämlich die E-Zigarette oder ein Tabakerhitzer."

"Sie haben sich mit der stärksten Droge angelegt", erklärt Dr. Bleckwenn Rauchern, die in seine Praxis kommen. "Vom Nikotin loszukommen ist nicht leicht. Es ist widersinnig, dass Nikotinsucht nicht als Krankheit anerkannt wird und die Krankenkassen Therapien nicht finanzieren", findet er. "Wenn ein Patient wirklich motiviert ist, aufzuhören, gehen wir durch, was schon getestet wurde bzw. infrage kommt: Nikotinersatz, als Pflaster, Kaugummi, Spray oder Lutschtabletten, oder bereits Medikamente wie Vareniclin oder Bupropion. Die Patienten sollen gern austesten, was ihnen zusagt. Und wenn es nicht hilft, sollen sie wiederkommen." Bei teilmotivierten Patienten ("man kann es ja mal versuchen, was hab ich zu verlieren") arbeitet er gerne mit Vareniclin, das er zunächst für drei Monate empfiehlt. Es kostet ungefähr so viel wie eine Packung Zigaretten pro Tag. Der Unterschied: Der Patient muss es auf einmal bezahlen. Wenn ein Patient nach vier Wochen berichtet, er habe von 30 Zigaretten auf zwei Zigaretten reduziert, ist das ein schöner Erfolg, dann muss man am Ball bleiben. Die Verträglichkeit ist in der Regel gut. Die E-Zigarette wäre für Bleckwenn eine vorübergehende Alternative, um überhaupt etwas zu erzielen für Raucher, die schon alles andere vergeblich versucht haben. Allerdings findet er den Schritt schwierig, dann ganz aufzuhören. "Aber letztlich muss der Patient selbst entscheiden, welcher Weg für ihn gangbar ist. Ich bin der Letzte, der sagt, nur das eine ist der Königsweg", so Bleckwenn.

Dr. Nielen sieht nicht selten im Krankenhaus frisch operierte Patienten nach einer Gefäß-Op., die am nächsten Tag schon wieder zum Zigarettenautomaten humpeln. In solchen Fällen kann die E-Zigarette ein Segen sein. "Ich wäre sogar dabei, wenn man im Krankenhaus E-Zigaretten oder Tabakerhitzer ins Kiosk-Sortiment aufnimmt", so Nielen. "Die Verbrennungsprodukte des Tabaks verursachen die Krankheit, nicht das Nikotin. Bevor jemand alle Extremitäten verliert, soll er lieber E-Zigaretten rauchen."

Schade findet es Dr. Pommer, dass viele Raucher Bedenken haben, zur E-Zigarette zu greifen aufgrund von Fehlinformationen: "In der Publikumspresse kann man häufig lesen, dass die E-Zigarette genauso schädlich ist wie normale Zigaretten. Das entspricht aber nicht der Evidenz. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass das Schädigungspotenzial der E-Zigarette aufgrund der darin enthaltenen Schadstoffe deutlich geringer ist."

"Die Briten sind ganz klar für die E-Zigarette", bestätigte Dr. Bleckwenn. "In Sachen Tabakkontrolle muss sich in Deutschland unbedingt mehr bewegen. Der Staat und das Gesundheitssystem halten sich da vornehm zurück. Da haben die Briten schon einiges geschafft. In Großbritannien beträgt die Raucherquote keine 30 % wie bei uns, sondern nur die Hälfte. Und was die E-Zigarette und Tabakerhitzer angeht, sollte auf jeden Fall noch weiter geforscht werden, um die langfristigen Erfolge besser beurteilen zu können."

Die Take-Home-Messages der Teilnehmer finden Sie hier: Harm Reduction

Literatur:
1) Kotz et al., Nutzung von Tabak und E-Zigaretten sowie Methoden zur Tabakentwöhnung in Deutschland – Eine repräsentative Befragung in 6 Wellen über 12 Monate (die DEBRA-Studie); Dtsch Arztebl Int 2018; 115 (14): 235–42; DOI: 10.3238/aerztebl.2018.0235
2) Peter Hajek et al.: A Randomized Trial of E-Cigarettes versus Nicotine-Replacement Therapy,: NEJM, Jan 30, 2019, DOI: 10.1056/NEJMoa1808779
4) Schaller & Mons, E-Zigaretten: gesundheitliche Bewertung und potentieller Nutzen für Raucher. CME-Fortbildung. Pneumologie 2018; 72: 458 – 472
5) Mallock et al., Levels of selected analytes in the emissions of "heat not burn" tobacco products that are relevant to assess human health risks, Arch Toxicol (2018).


Autorin:
Dr. med. Vera Seifert

Interessenkonflikte: KR gibt an, von Philip Morris Vortragshonorare erhalten zu haben. Für die Teilnahme an diesem Roundtable hat er eine Reisekostenerstattung erhalten. CN gibt an, regelmäßig Patienten mit Schäden durch das Tabakrauchen zu betreuen und einen großen Teil seines Einkommens dadurch zu bestreiten. Für die Teilnahme an diesem Roundtable hat er eine Reisekostenerstattung erhalten. PP gibt an, keinerlei finanzielle Verbindungen zu Pharmaunternehmen oder zur Tabakindustrie zu haben und keinerlei Gelder, auch keine Reisespesen, für die Teilnahme an diesem Roundtable erhalten zu haben. MB gibt an, regelmäßig Raucherentwöhnungen in seiner Hausarztpraxis als Selbstzahlerleistung durchzuführen. Für die Teilnahme an diesem Roundtable hat er eine Reisekostenerstattung erhalten. AN: Die Philip Morris GmbH hat diesen Roundtable unterstützt.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (13) Seite 44-49