Der akute Myokardinfarkt ist lebensbedrohlich, heute jedoch gut zu behandeln. Das EKG spielt bei Patienten mit akutem Brustschmerz nach wie vor die entscheidende Rolle in der prähospitalen Diagnostik. Bei ST-Hebungen im Sinne eines Myokardinfarkts ist die Diagnostik beendet und die Reperfusionsstrategie festzulegen. Dem Gefäßverschluss entgegenwirken lässt sich mit ASS und Clopidogrel sowie Heparin. Dabei richten sich Präparatewahl und Dosierung nach der geplanten Reperfusion - Katheterintervention oder Lyse.

Der akute Brustschmerz ist mit ca. 30 % eines der häufigsten Einsatzstichworte für den Notarzt sowie häufiger Grund einer notfallmäßigen Vorstellung in der Arztpraxis [1]. Die klinische Symptomatik ist dabei ebenso breit wie die Palette der Differenzialdiagnosen. Als typisches klinisches Symptom für einen Herzinfarkt gilt der länger als 20 Minuten anhaltende retrosternale Schmerz. Häufig ist dieses thorakale Oppressionsgefühl begleitet von einer Schmerzausstrahlung in einen oder beide Arme, Kiefer, Nacken, Rücken oder Oberbauch. Zusätzlich treten assoziierte Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen, Kurzatmigkeit oder Todesangst auf. Insgesamt erleiden ca. 300 000 Patienten jährlich in Deutschland einen Myokardinfarkt.

Cave Kammerflimmern!

Von entscheidender Bedeutung sind die möglichst rasche Diagnose und die unverzüglich festzulegende Therapiestrategie. Die Mortalität bei Myokardinfarkten konnte in den letzten Jahrzehnten drastisch gesenkt werden, die prähospitale Mortalitätsrate ist jedoch nach wie vor hoch. Dies ist darauf zurückzuführen, dass man jederzeit - insbesondere in der Akutphase - mit malignen Rhythmusstörungen (Kammerflimmern) rechnen muss. Ziel der Therapie ist die möglichst frühzeitige, vollständige und dauerhafte Wiedereröffnung des thrombotisch verschlossenen Koronargefäßes, um den nekrotischen Untergang von Herzmuskelgewebe idealerweise zu verhindern oder zumindest einzudämmen. Die Zeit bis zur Wiedereröffnung spielt dabei die entscheidende Rolle.

Katheter oder Lyse?

Prinzipiell ist die Katheterintervention der Lyse überlegen, allerdings nur, wenn eine zeitnahe Intervention möglich ist. Das in den Leitlinien vorgegebene Zeitfenster sieht vor, dass zwei Stunden nach medizinischem Erstkontakt eine Wiedereröffnung des Gefäßes erreicht sein soll. Diese Zeitspanne ist dabei definiert als die Zeit, die vom ersten medizinischen Kontakt bis zur Ballondilatation vergeht. Wird die Diagnose eines akuten Myokardinfarktes innerhalb der ersten zwei Stunden nach Beschwerdebeginn gestellt, reduziert sich dieses Zeitfenster auf 90 Minuten. Können diese Zeitvorgaben nicht eingehalten werden, ist alternativ bereits prähospital eine Lysetherapie einzuleiten.

Rolle des EKGs

Trotz vieler Fortschritte in der Diagnostik einer myokardialen Ischämie ist das EKG seit den bahnbrechenden Arbeiten von Smith Anfang des letzten Jahrhunderts (1918) das wichtigste Instrumentarium für die Diagnose eines akuten Myokardinfarkts [2]. Der entscheidende Vorteil des EKGs besteht in der nahezu fehlenden Latenzzeit vom Gefäßverschluss bis zum Nachweis infarkttypischer EKG-Veränderungen. Auch die spezifischen biochemischen Marker wie das Troponin I und T haben demgegenüber eine lange Latenz von ca. vier Stunden für die Diagnose einer kardialen Minderdurchblutung.

Demzufolge kommt in den aktuellen Leitlinien dem EKG bei einem Patienten mit akutem Brustschmerz (akutem Koronarsyndrom) eine zentrale Rolle zu [3]. Um die Zeitdauer von Symptombeginn zur Diagnose so kurz wie möglich zu halten, soll zehn Minuten nach Kontakt mit medizinischem Personal bei Patienten mit akutem Brustschmerz ein 12-Ableitungs-EKG geschrieben und ausgewertet sein.

Bemerkenswert ist die hohe diagnostische Sicherheit des EKGs in der prähospitalen Infarktdiagnostik. Die diagnostische Sicherheit korreliert dabei mit dem Ausprägungsgrad der ST-Veränderungen. Bei einer ST-Elevation von > 1 mm in mehr als zwei Extremitäten-Ableitungen oder einer ST-Elevation von > 2 mm in mehr als zwei Brustwand-Ableitungen und reziproken Veränderungen (z. B. ST-Senkungen in gegenüberliegenden Ableitungen) beträgt der positiv prädiktive Wert 95 %, was in zahlreichen Studien wiederholt belegt wurde [4].

Bei Verdacht auf einen inferioren Infarkt sollten die Standardableitungen um die Ableitung V4 rechts zur Erfassung einer rechtsventrikulären Infarktbeteiligung erweitert werden, bei Verdacht auf einen posterioren Infarkt auch um die Ableitungen V7 bis V9.

EKG nach Reanimation

Einen Sonderfall stellt sicherlich das 12-Ableitungs-EKG nach einer kardiopulmonalen Reanimation dar. Hier sind EKG-Veränderungen nicht nur aufgrund einer lokalen myokardialen Ischämie zu erwarten, sondern möglicherweise auch durch eine globale Hypoxie/Ischämie während des Kreislaufstillstandes. Die Analyse der 12-Ableitungs-EKGs von 77 erfolgreich reanimierten und in ein Krankenhaus aufgenommenen Patienten ergab dabei für die Diagnose eines akuten Myokardinfarktes anhand des prähospitalen EKGs einen positiv prädiktiven Wert von 77 % und einen negativ prädiktiven Wert von 83 % [5]. Demzufolge ist auch in dieser Situation ein 12-Ableitungs-EKG ein wesentliches Mittel zur Diagnose der zugrunde liegenden Erkrankung.

Praktisches Vorgehen

Ein 12-Ableitungs-EKG bei allen Patienten mit akutem Brustschmerz ist also unverzichtbar und als Basismaßnahme zu bezeichnen. Sollten sich dabei ST-Hebungen im Sinne eines akuten Myokardinfarktes zeigen, ist die Diagnostik damit abgeschlossen und die Reperfusionsstrategie (Katheterintervention/Lysetherapie) festzulegen. Die Bestimmung der biochemischen Marker einer kardialen Ischämie (Troponine, Kreatinkinase) ist sinnvoll, das Resultat soll jedoch nicht abgewartet und die Behandlung dadurch verzögert werden.

Das größte unmittelbare Risiko besteht für den Patienten durch das mögliche Auftreten maligner Herzrhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern. Eine kontinuierliche Überwachung des Herzrhythmus (Monitorüberwachung) in Defibrillationsbereitschaft ist daher Standard. Der Patient sollte mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden. Die Auskultation der Lunge ist weiterer zentraler Bestandteil der Untersuchung. Eine pulmonale Stauung ist von prognostischer Bedeutung. Möglicherweise begleitende Vitien bzw. Infarktkomplikationen bei subakuten Verläufen wie z. B. einem Ventrikelseptumdefekt können durch Auskultation des Herzens erfasst werden. Idealerweise wird die Sauerstoffsättigung des Patienten nichtinvasiv bestimmt. Hat der Patient Luftnot oder zeigt er Zeichen der Herzinsuffizienz, so ist die Gabe von Sauerstoff auch ohne Messung indiziert. Ein Transport in das nächstgelegene PCI-Zentrum muss aufgrund des erwähnten Risikos maligner Herzrhythmusstörungen in Arztbegleitung erfolgen, in den meisten Fällen also durch die Notfallrettung übernommen werden.

Prähospitale medikamentöse Therapie

Ziel der prähospitalen medikamentösen Therapie ist es, dem thrombotischen Gefäßverschluss infolge Gerinnungsaktivierung nach Plaqueruptur entgegenzuwirken.

Zum einen kann gezielt eine Hemmung der Plättchenaggregation durch ASS erreicht werden. Die Gabe von ASS hat dabei einen festen Platz in der prähospitalen Infarkttherapie, auch wenn Daten, die einen zeitabhängigen Effekt belegen, fehlen. Die Mortalitätssenkung durch die Gabe von ASS insbesondere in Kombination mit einer Lysetherapie ist durch die ISIS-2-Studie gut belegt [6]. In Deutschland und Europa hat sich die intravenöse Applikation von 500 mg etabliert, in den USA wird meist eine orale Therapie mit 160 bis 325 mg bevorzugt.

Zusätzlich zur Therapie mit ASS wird eine duale Plättchenhemmung durch Gabe von Clopidogrel empfohlen. Die möglichst frühzeitige Gabe von Clopidogrel ist aufgrund des verzögerten Wirkungseintritts sicherlich sinnvoll. Auch wenn Daten zur prähospitalen Gabe für den akuten Myokardinfarkt erst nach endgültiger Auswertung der bereits abgeschlossenen CIPAMI-Studie vorliegen werden, wird bereits jetzt die möglichst frühzeitige Gabe von Clopidogrel in den aktuellen Guidelines empfohlen (ESC Guidelines) [7]. Wird als primäre Reperfusionsstrategie die Katheterintervention gewählt, sollte eine Loading-Dose von 600 mg Clopidogrel verabreicht werden, bei Lysetherapie eine Loading-Dose von 300 mg bei Patienten < 75 Jahre und von 75 mg bei Patienten > 75 Jahre. Daten zu Prasugrel sind vielversprechend, es liegen jedoch noch keine Daten zur Sicherheit der prähospitalen Therapie vor, daher ist noch kein Eingang in die aktuellen Leitlinien erfolgt [8].

Eine prähospitale Applikation weiterer antithrombozytärer Substanzen wie z. B. GP IIb/3a-Rezeptorenblocker kann trotz einiger interessanter Befunde (On-Time) aufgrund vermehrter Blutungskomplikationen bislang nicht empfohlen werden[9]

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Heparingabe

Ein weiterer Angriffspunkt in der Gerinnungskaskade ist die Gabe von (indirekten) Thrombininhibitoren. Ob dabei unfraktioniertes oder fraktioniertes Heparin zur Anwendung kommt, wird durch die Reperfusionsstrategie bestimmt.

Ist die Katheterintervention im vorgegebenen Zeitrahmen möglich, empfiehlt sich die Bolusgabe von unfraktioniertem Heparin (100 U/kg KG) oder Enoxaparin. Wird eine Lysetherapie mittels Alteplase, Reteplase oder Tenecteplase durchgeführt, ist die begleitende Gabe von Enoxaparin (in Abhängigkeit von Alter und Nierenfunktion) empfohlen. Sollte Enoxaparin nicht zur Verfügung stehen, ist in dieser Situation die Gabe von unfraktioniertem Heparin (Bolus 60 U/kg KG) empfohlen.

Die Datenlage zu Fondaparinux oder Bivalirudin ist für eine prähospitale Anwendung zurzeit noch nicht ausreichend. Entsprechende Untersuchungen sind geplant bzw. bereits angelaufen.

Supportive Therapie

Als supportive Therapie ist eine Schmerzlinderung, die sekundär den Sauerstoffbedarf des Herzens senken kann, indiziert. Als klassisches Medikament ist dabei Morphin zu nennen, welches aufgrund der zu erwartenden Nebenwirkung von Übelkeit und Brechreiz meist in Kombination mit Paspertin® verabreicht wird. Die Gabe von nicht­steroidalen Antiphlogistika (außer ASS) und COX2-Inhibitoren zur Schmerztherapie ist aufgrund von unerwünschten Interaktionen mit der Thrombozytenfunktion kontraindiziert.

Weiterhin erhält der Patient bei einem Blutdruck systolisch > 110 mmHg Nitro als Spray oder Zerbeißkapsel. Bei manifestem oder drohendem kardiogenen Schock ist die Gabe von Nitro kontraindiziert. Dies gilt insbesondere bei rechtsventrikulärer Infarktbeteiligung. Betablocker sollten nur in Ausnahmefällen prähospital i. v. eingesetzt werden, z. B. bei tachykardem Vorhofflimmern oder supraventrikulärer Tachykardie bei schmerzfreiem Patienten und Fehlen von Herzinsuffizienz. Zusätzlich kann die Gabe eines Betablockers bei hypertensiven Blutdruckwerten in Betracht gezogen werden. Sollte jedoch die Entwicklung eines kardiogenen Schocks drohen, ist eine Gabe von Nitro und Betablockern kontraindiziert [3, 10].

Wichtigstes Ziel in der Infarktbehandlung bleibt jedoch die Wiedereröffnung des verschlossenen Koronargefäßes, die ohne unnötige Verzögerung so rasch wie möglich erreicht werden muss. Eine Zusammenarbeit der niedergelassenen Ärzte, des Rettungsdienstes und der PCI-Zentren stellt dabei die wesentliche Voraussetzung dar.


Literatur
1. Jahresbericht ADAC Luftrettung 2008
2. F.M. Smith, (1918)The ligation of coronary arteries with electrocardiographic study. Arch Intern Med 22, pp. 8–27.
3. Van de Werf F, Bax J, Betriu A et al (2008) Management of acute myocardial infarction in patients presenting with persistent ST-segment elevation: The Task Force on the management of ST-segment elevation acute myocardial infarction of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 29:2909–2945
4. L.A. Otto and T.P. Aufderheide, (1994)Evaluation of ST segment elevation criteria for the prehospital electrocardiographic diagnosis of acute myocardial infarction, Ann Emerg Med 23
5. Müller Dirk; Schnitzer Luise; Brandt Juliane; Arntz Hans-Richard (2008): The accuracy of an out-of-hospital 12-lead ECG for the detection of ST-elevation myocardial infarction immediately after resuscitation. Annals of emergency medicine 2008;52(6):658-64.
6. ISIS-2 (Second International Study of Infarct Survival) Collaberative Group (1988): Randomised trial of intravenous streptokinase, Oral aspirin, both, or neither among 17 187 casesof suspected acute myocardial infarction: ISIS-2. Lancet 2:349–360
7. Zeymer Uwe; Arntz Hans-Richard; Darius Harald; Huber Kurt; Senges Jochen (2007): Efficacy and safety of clopidogrel 600 mg administered pre-hospitally to improve primary percutaneous coronary intervention in patients with acute myocardial infarction (CIPAMI): study rationale and design. Cardiology 2007;108(4):265-72.
8. Stephen D. Wiviott, M.D., Eugene Braunwald, M.D., et al Prasugrel versus Clopidogrel in Patients with Acute Coronary Syndromes, New Englan Journal of Medicine (2007) , Volume 357:2001-2015,
9. van ’t Hof AWJ, Ernst N et al.(2004) Facilitation of primary coronary angioplasty by early start of a glycoprotein 2b/3a inhibitor: results of the Ongoing Tirofiban In Myocardial infarction Evaluation (On-TIME) trial. Eur Heart J 2004;25:837–46.
10. COMMIT (ClOpidogrel and Metoprolol in Myocardial Infarction Trial) (2005) Early intravenous then Oral metoprolol in 45852 patients with acute myocardial infarction: randomised placebo-controlled trial. Lancet 366:1622–1632

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Dr. med. Hans-Christian Mochmann


Kontakt:
Dr. med. Hans-Christian Mochmann
Med. Klinik II - Kardiologie und Pulmologie
Charité - Campus Benjamin Franklin
12200 Berlin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2010; 32 (7) Seite 12-14