Preisfrage: Welches war während der Fußball-WM 2006 in Deutschland die am häufigsten runtergeladene App? Falsch! Es gab damals noch gar keine. Das erste iPhone ist erst Ende 2006 / Anfang 2007 auf den Markt gekommen. Die Fußball-WM mit ihrem Sommermärchen ist noch nicht so lange her. In relativ kurzer Zeit hat sich hier eine Technik entwickelt, die heute alle Bereiche des Lebens durchzieht. Heute ist kaum noch eine hochwertige Kaffeemaschine zu kaufen, die nicht auch über eine App gesteuert werden kann. Und die Entwicklung ist schon wieder weiter. Was bis vor kurzem noch über Apps abgebildet wurde, wird immer mehr von Siri oder Alexa, den Diensten von Apple bzw. Amazon, die auf Sprache reagieren, bearbeitet. Es gibt also viele gute Gründe, sich seitens der Ärzteschaft mit Telemedizin zu befassen.

Telemedizinischen Behandlungen steht heute noch das Berufsrecht entgegen. Jeder, der das Fernbehandlungsverbot heute noch für unverzichtbar hält, möge sich bitte vor Augen halten, woher das Verbot stammt: In den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist das Fernbehandlungsverbot im Zuge einer damals grassierenden Syphilis-Epidemie eingeführt worden. Daraus ein Verbot bis ins heutige Zeitalter des Internets abzuleiten, ist kaum plausibel zu argumentieren. Jeder möge bitte zudem berücksichtigen, dass es in anderen Ländern kein Fernbehandlungsverbot gibt und nicht bekannt ist, dass sich das negativ auf die Gesundheit der Menschen ausgewirkt hätte. Umso erfreulicher ist der Mut, den die Landesärztekammer Baden-Württemberg aufgebracht hat und der dazu geführt hat, dass die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg ihr Telemedizin-Projekt docdirekt an den Start bringen kann. Seit Mitte April können Patienten aus den Modellregionen Stuttgart und Tuttlingen sich im Rahmen der GKV telemedizinisch behandeln lassen.

Natürlich ist immer klar, dass die Telemedizin nicht den Arzt ersetzen kann. Der Arzt vor Ort bleibt unverändert erforderlich. Auch mit den besten telemedizinischen Verfahren bleiben viele Behandlungen und Untersuchungen dem unmittelbaren Kontakt mit dem Arzt vorbehalten. Sicherlich könnte aber erreicht werden, dass verstärkt nur noch diejenigen Patienten in den Wartezimmern auftauchen, die auch wirklich direkt einen Arzt sehen müssen. Das wäre eine echte Entlastung für die Arztpraxen, die durch den Ärztemangel dringend erforderlich ist. Es gibt eine Reihe von Ärztinnen und Ärzten, die aktuell ohne Tätigkeit sind. Aus verschiedenen Gründen werden sie nicht in einer Praxis tätig sein. Aber von zu Hause telemedizinisch schon. Die werden benötigt, um auf den Ärztemangel zu reagieren.

Die Ärzteschaft sollte daher das Thema Telemedizin offensiv annehmen. Das bedeutet, eigene Angebote vorzuhalten und selbst Akteur zu werden. Sonst besteht die Gefahr, zum Spielball politischer und wirtschaftlicher Interessen anderer Akteure zu werden.



Autor:

Dr. med. Johannes Fechner

Facharzt für Allgemeinmedizin
Stv. Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg
70567 Stuttgart

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (9) Seite 5