Akute Verwirrtheitszustände sind Psychosen, die auf eine körperliche Ursache zurückzuführen sind wie z. B. Intoxikationen oder Meningoenzephalitiden. Als Synonyme werden Delir oder delirantes Syndrom verwendet. Der vorliegende Artikel soll einen Überblick über die Symptome des Delirs, dessen mögliche Auslöser sowie praktische Hinweise für die Diagnostik und Therapie vermitteln.

Das Delir ist eine unspezifische psychische Störung, die einen potenziell lebensbedrohlichen Zustand darstellt [2]. Entsprechend der ICD-10 beinhaltet das Delir eine gleichzeitige Störung

  1. des Bewusstseins
  2. der Kognition
  3. der Wahrnehmung
  4. der Psychomotorik
  5. des Schlaf-Wach-Rhythmus und
  6. der Emotionalität [4].

Es entwickelt sich innerhalb weniger Stunden oder Tage und ist bei Behandlung der Ursache reversibel. Bei gleichzeitig bestehender Demenz können die Symptome mehrere Wochen andauern.

Die Datenlage zur Häufigkeit des Delirs außerhalb der Klinik ist generell unzureichend. Unter der Annahme, dass 3 % der Bevölkerung alkoholkrank sind und 5 % der Betroffenen ein Alkoholdelir entwickeln [11], besitzt diese Form des Delirs im ambulanten Bereich eine große Bedeutung. Kommt es zur stationären Aufnahme, so liegt unabhängig vom Einweisungsgrund bei älteren Patienten in 14 - 24 % der Fälle bei Aufnahme ein Delir vor [8]. In geriatrischen Abteilungen beträgt die Häufigkeit des Delirs während des stationären Aufenthaltes 6 - 56 % [8]. Besonders gefährdet sind Patienten auf Intensivstationen [3,15].

Symptomatik

In Abhängigkeit von der Psychomotorik werden eine hyperaktive, hypoaktive und eine gemischte Form des Delirs unterschieden [6, 9, 14, 16]. Dabei stellt das hypoaktive Delir die weitaus größere diagnostische Herausforderung dar. Das hyperaktive Delir ist gekennzeichnet durch einen gesteigerten Wachheitsgrad (Vigilanz), psychomotorische Unruhe, schnelle und laute Artikulationen, aggressives oder euphorisierendes Verhalten, inkohärentes Lachen, leichte Ablenkbarkeit, Suggestibilität, Halluzinationen und erhöhten Sympathikotonus. Das hypoaktive Delir - am häufigsten im höheren Lebensalter - ist charakterisiert durch eine Aufmerksamkeitsstörung, rarefizierte Sprachproduktion, Denkhemmung, psychomotorische Verlangsamung, Apathie und verminderte Kontaktfähigkeit. Vegetative Begleitsymptome fehlen in der Regel. Eine sichere Zuordnung gelingt oft nicht, da häufig Mischformen des Delirs mit abwechselnder oder paralleler Symp­tomatik vorkommen.

Im Folgenden sollen charakteristische Symptome des klinischen Erscheinungsbildes des Delirs genauer beschrieben werden.

  • Störungen des Bewusstseins. Leitsymp­tom des Delirs ist die Bewusstseinseintrübung. Die Patienten sind in ihrem Wachheitsgrad eingeschränkt und können Symptome der Benommenheit und vermehrten Schläfrigkeit bis hin zu komatösen Zuständen zeigen. Fluktuationen der Vigilanz mit schnell wechselnden Phasen von gesteigerter Wachheit bis hin zum Koma sind typisch.

  • Störungen kognitiver Funktionen. Am häufigsten treten Aufmerksamkeitsstörungen auf. Delirante Patienten kommen einfachen Aufforderungen nicht nach, selbst wiederholte Anweisungen werden nicht befolgt oder können nicht reproduziert werden. Darüber hinaus treten Störungen des Kurzzeit- und Ultrakurzzeitgedächtnisses auf. Das situative Verständnis ist deutlich eingeschränkt. Häufig sind Orientierungsstörungen zu Ort, Zeit und Person. Diese können durch illusionäre Verkennungen, Wahrnehmungsstörungen oder auch wahnhafte Gedankeninhalte überlagert sein. Nicht selten treten Störungen der Realitätsprüfung auf, die sich in akustischen oder optischen Halluzinationen widerspiegeln. Häufig besteht eine vermehrte Suggestibilität: Der Patient nimmt den ihm angebotenen imaginären Faden auf oder kämmt sich nach Aufforderung mit dem nicht vorhandenen Kamm die Haare.

  • Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus. Schlafstörungen und damit verbundene tageszeitliche Schwankungen der Vigilanz sind ein häufiges Symptom des Delirs. Gerade bei älteren Patienten ist eine Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus zu beobachten. Darüber hinaus werden unangenehme Traumerlebnisse (z. B. Albträume) berichtet.

  • Störung der Psychomotorik. Die beschriebenen Störungen der Kognition und der Orientierung führen zu Verunsicherung und münden nicht selten in einem agitierten oder gar aggressiven Verhalten. Die Patienten wähnen sich in vertrauter Umgebung, z. B. der eigenen Wohnung, fallen jedoch durch erhöhte, reizinadäquate Schreckhaftigkeit auf und zeigen ein deutlich verzögertes Reaktionsvermögen auf wechselnde Umweltreize.

  • Affektive Störungen. Begleitet wird das Delir von affektiver Labilität. Häufig bestehen Angstsymptome bis hin zu Todesängsten. Zusätzlich können depressive Symptome wie Apathie, vermehrte Traurigkeit, aber auch euphorische Symptome auftreten (Tabelle 1).

Mögliche Ursachen des Delirs

Die für das Delir charakteristische komplexe Störung von Hirnfunktionen ist unterschiedlichen ätiologischen Entitäten zuzuordnen. Zu nennen sind Intoxikationen, Medikamentennebenwirkungen, Entzugssyndrome, primäre Erkrankungen des Zentralnervensystems und sekundäre Hirnfunktionsstörungen durch metabolische, endokrinologische Erkrankungen und Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes (Tabelle 2). Das Risiko, ein Delir zu entwickeln, ist erhöht bei höherem Lebensalter, bei einer vorbestehenden kognitiven Störung, einer begleitenden Suchterkrankung oder bei Multimorbidität [8, 10, 16].

Da dem Delir in aller Regel eine therapiebedürftige Erkrankung zugrunde liegt, muss es als medizinischer Notfall angesehen und dementsprechend einer sofortigen diagnostischen Abklärung zugeführt werden (Tabelle 2).

Diagnostik

Die Diagnose Delir wird primär klinisch gestellt [8, 10]. Richtungweisend ist darüber hinaus eine ausführliche Anamnese bzw. Fremdanamnese. Dabei spielt die Kenntnis der Vorerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Epilepsie, psychiatrische Erkrankungen, medikamentöse Therapie) eine ebenso entscheidende Rolle wie die Beurteilung der Lebenssituation (verwahrloste Wohnung, Pflege im Altenheim).

Neben der klinischen Untersuchung stehen mehrere Tests zur Verfügung [1, 5, 9]. Mit Hilfe der Delirium Rating Scale (DRS [17]) können mit hoher Spezifität und Sensitivität valide Aussagen über das Vorhandensein eines Delirs getroffen werden [9]. Dabei werden insgesamt zehn Items, die klinischen Symptomen des Delirs zugeordnet sind, entsprechend ihres Schweregrades beurteilt. Im prähospitalen klinischen Alltag sind derartige Instrumente eher weniger geeignet - hier hat die klinische Beurteilung Priorität.

Therapie

Neben einer symptomatischen Therapie steht die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung im Vordergrund. Unterschieden werden allgemeine therapeutische Maßnahmen und die spezifische Pharmakotherapie.

Zu achten ist zunächst auf ein optimales Behandlungsumfeld, d. h. gute Raumbeleuchtung, klare, ruhige Sprache, wiederholtes Ansprechen, Bezugskontinuität sowie die Anwesenheit persönlicher Dinge. Externe Reizüberflutung sollte ebenso wie ein hoher Lautstärkepegel vermieden werden. Eine Fixierung ist ausschließlich bei eigen- und fremdaggressivem Verhalten gerechtfertigt [9].

Bei der spezifischen Pharmakotherapie müssen Entzugsdelirien von Delirien anderer Genese abgegrenzt werden. Bei der Behandlung des Alkoholentzugsdelirs ist Clomethiazol Mittel der ersten Wahl. Die Dosierung ist abhängig vom klinischen Schweregrad; die tägliche Maximaldosis beträgt 12 Kapseln à 192 mg [11], teilweise werden Maximaldosen bis 24 Kapseln pro Tag angegeben [2]. Alternativ oder in Ergänzung können Benzodiazepine [7, 11], z. B. Diazepam (maximal 60 mg pro Tag p.o.) oder Lorazepam (6 mg pro Tag p.o.) gegeben werden. Bei starker psychomotorischer Unruhe bzw. begleitender psychotischer Symptomatik ist eine zusätzliche Therapie mit Antipsychotika, z. B. Haloperidol (maximal 60 mg pro Tag p.o.), sinnvoll. Bei lebensbedrohlichen Formen sowie bei unzureichender oraler Therapie wird eine intravenöse Therapie mit Diazepam (maximal 240 mg pro Tag) und Haloperidol (maximal 30 mg pro Tag) empfohlen [11]. Bei starker sympathikotoner Begleitsymptomatik kann fakultativ Clonidin (initial 0,025 mg i.v.; cave: Bradykardie, Hypotonie) eingesetzt werden.

Bei Delirien anderer Genese, speziell hyperaktiven und gemischten Formen, sind Antipsychotika Therapeutika der ersten Wahl, wobei aufgrund der klinischen Erfahrung und der existierenden Studienlage Haloperidol weiterhin hohe Präferenz genießt [10]. Auch hier erfolgt die Dosierung abhängig vom klinischen Schweregrad (1 - 2 mg alle 2 - 4 Stunden). Bei älteren Patienten ist eine Dosisreduktion (0,25 - 0,5 mg alle 4 Stunden) zu berücksichtigen.

Zum Einsatz atypischer Neuroleptika bei deliranten Syndromen gibt es bislang wenige Daten, jedoch Hinweise auf eine mit Haloperidol vergleichbare Wirksamkeit. Zum Einsatz kommen Risperidon (zweimal 0,5 mg pro Tag p.o.) und Olanzapin (einmal 2,5 - 5 mg pro Tag p.o.). Auf den Einsatz von Benzodiazepinen sollte bei älteren Patienten aufgrund einer potenziell paradoxen Wirkung möglichst verzichtet werden.

Zusammenfassung

Das Delir ist mit zunehmendem Alter der Patienten ein häufiges Syndrom. Die Diagnose wird ausschließlich klinisch gestellt. Die Prognose ist abhängig von einer frühzeitigen Diagnosestellung und Einleitung therapeutischer Maßnahmen. Der Behandlungserfolg ist immer gekoppelt an die kausale Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung. Bei ausbleibender oder zu verzögerter Therapie können dauerhafte kognitive Störungen resultieren [12, 13, 15]. Jedes delirante Syndrom ist daher als medizinischer Notfall zu betrachten und einer sofortigen stationären Diagnostik und Therapie zuzuführen.


Literatur
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2. Bergmann L, Ferbert A (2006) Alkoholerkrankungen. In: Berlit P (Hrsg.) Klinische Neurologie. 2. Auflage. Springer, Heidelberg
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4. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). www.dimdi.de. Download 06.06.2010
5. Devlin JW, Fong JJ, Fraser G, et al. (2007) Delirium assessment in the critically ill. Intensive Care Med 33:929-940
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7. Holbrook AM, Crowther R, Lotter A, et al. (1999) Meta-analysis of benzodiazepine use in the treatment of acute alcohol withdrawal. CMAJ 160:649-55
8. Inouye SK (2006) Delirium in older persons. N Engl J Med 354:1157-1165
9. Krauseneck T, Seemüller F, Krähenmann O, et al. (2006) Psychiatrische Erkrankungen auf der Intensivstation. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 11-12:720–726
10. Mann K (2010) Diagnose und Therapie deliranter Syndrome. So bringen Sie den Patienten aus dem Delir zurück. InFo Neurologie & Psychiatrie 03:34-39
11. Maschke M, Hansen HC, Müller T, et al. (2008) Alkoholdelir. In: Diener HC, Putzki N, Berlit P, et al. (Hrsg.) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart – New York
12. Misak C (2009) Cognitive dysfunction after critical illness: measurement, Rehabilitation, and disclosure. Crit Care 13:312
13. Pandharipande P, Jackson J, Ely EW (2005) Delirium: acute cognitive dysfunction in the critically ill. Current Opinion in Critical Care 11:360-368
14. Peterson JF, Pun BT, Dittus RS, et al. (2006) Delirium and Its Motoric Subtypes: A Study of 614 Critically Ill Patients. J Am Geriatr Soc 54:479-484
15. Pun BT, Ely EW (2007) The Importance of Diagnosing and Managing ICU Delirium. Chest 132:624-636
16. Schuchardt V (2003) Delirante Syndrome bei Intensivpatienten – Häufigkeit und Bedeutung. Intensivmed 40:265-268
17. Trzepacz PT, Baker RW, Greenhouse J (1988) A Symptom rating scale for delirium. Psychiatry Res 23:89-97

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Dr. med. Carsten Hobohm


Kontakt:
Dr. med. Carsten Hobohm
Klinik und Poliklinik für Neurologie
Department für Innere Medizin, Neurologie und Dermatologie
Universitätsklinikum Leipzig AöR
04103 Leipzig

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2010; 32 (16) Seite 32-37