Mangelnde Compliance gehört zu den größten Problemen der Arzneimitteltherapie. Mögliche Gründe dafür sind nicht nur Gleichgültigkeit und Vergesslichkeit der Patienten, sondern auch Defizite der Arzt-Patienten-Kommunikation.

Nach der oft aufwendigen und zeitraubenden Diagnosestellung ist der Patient an der Reihe: Er sollte die Empfehlungen seines Arztes und die konkreten Absprachen zur Medikation zuverlässig umsetzen. Leider funktioniert das nicht immer, wie Veröffentlichungen zur Therapiemotivation seit Jahren belegen. Der Durchschnittswert der tatsächlichen gegenüber der empfohlenen Einnahme von Medikamenten liegt nach wie vor bei 50 %. Bei der Ursachenforschung trifft man häufig auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Diese umfasst nicht nur die reine Information für den Patienten, sondern auch dessen Motivation, die auf dem „Wie“ der Mitteilung und den Begleitumständen beruht. Die Adhärenz sinkt bei längeren Wartezeiten, Unfreundlichkeit, Desinteresse der beratenden Person und ähnlichen Faktoren, die Unmut oder Unlust beim Patienten auslösen. Dieser äußert sich jedoch nur in den seltensten Fällen direkt. Meistens „rächt“ er sich teils unbewusst, indem er empfohlene Verhaltensweisen unterlässt. Das erscheint unlogisch, da er dabei gegen sich selbst und seine Gesundheit handelt. Doch ein enttäuschter Patient agiert oft emotional seinen Widerstand aus: Beim Umsetzen des Arztgesprächs kann er selbst entscheiden, hat Macht und Einfluss, während er sich vorher den Umständen ausgeliefert sah.

Nach Compliance richtig fragen

Das Gespräch über die Compliance startet man besser mit einer offenen Frage, etwa: „Wie sind Sie mit der Einnahme zurechtgekommen?“ oder „Wie haben Sie die Medikamente eingenommen?“ Bei der geschlossenen Frage „Haben Sie die Tabletten genommen?“ äußert der Patient öfter ein spontanes „Ja“, als es den Fakten entspricht. Bei der offenen Fragestellung zeigt Ihnen ein kurzes Zögern und Überlegen bereits, dass die tägliche Einnahme noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist. Außerdem spricht der Patient Schwierigkeiten mit den Arzneimitteln eher an, da der Arzt Interesse zeigt. Die Frage: „Von was ist Ihrer Meinung nach der Erfolg der Therapie abhängig?“ erforscht die Erwartungen des Patienten. Sieht er seine Verantwortung? Ist er zum Mitmachen bereit oder soll der Arzt alles richten, wo man doch schon so viel Geld für die Krankenversicherung bezahlt hat und nun die Gegenleistung fällig ist? Die wirtschaftlichen Folgen unmotivierten Patientenverhaltens sind auch für die Arztpraxis spürbar. Denn Rezepte, die nicht eingelöst, und Medikamente, die zwar aus der Apotheke bezogen, aber nicht, falsch oder nicht lange genug eingenommen werden, belasten das ohnehin knappe Budget, ohne entsprechenden Nutzen zu stiften. Sind Berufstätige länger krank, wächst zudem der volkswirtschaftliche Schaden.

Wer ist wofür verantwortlich?

Nehmen wir die Grenzen unserer Verantwortung für den Patienten richtig wahr? Den Medikationsplan zu erläutern ist die Pflicht des Arztes, doch die Hauptverantwortung für die Einnahme liegt beim Patienten. Ein freundliches, zugewandtes Auftreten und eine verständliche Ausdrucksweise mit Formulierungen, die dem Sprachniveau des Patienten angepasst sind, verbessern Verstehen und Aufnahmefähigkeit. Verlassen Sie sich nicht auf die Beratung in der Apotheke! Wird aus dem Internet bezogen, fehlt diese genauso wie bei der sehr häufigen Abholung der Medikamente durch den Partner, die Nachbarin oder andere Personen, die Informationen oft wieder vergessen und daher nicht weitergeben können.

Bei Beschwerdefreiheit ist es oft schwer einzusehen, warum man etwas grundsätzlich und regelmäßig tun soll. Was erreicht oder verhindert der Patient damit, warum ist die Medikation so wichtig? Verdeutlichen Sie ihm, dass er es jetzt in der Hand hat und ganz alleine entscheidet, wie es ihm in der Zukunft ergehen wird. Es geht um seine Gesundheit, er nimmt die Medikamente nicht für das Wohlwollen des Arztes ein. Erkennt man das Interesse des Patienten an seinen Präparaten als gesundheitsbewusstes Verhalten an, unterstützt das die Motivation.

Aus der Psychologie weiß man, dass Verlockungen mehr bewirken als Bedrohungen. Daher ist es überflüssig, die Nachteile bei Nichteinhalten des Medikamentenplanes zu betonen. Besser, der Patient versteht, wie groß sein Einfluss auf die eigene Gesundheit ist. Schwärmt z. B. Frau Klose von Radtouren in der Umgebung und erzählt dabei von Kniebeschwerden, können Sie ihr ausmalen, wie viel besser es gehen wird, wenn sie die Medikamente nimmt. Der leicht übergewichtige Herr Martens beklagt vielleicht seit längerem seine Kurzatmigkeit. Nun bekommt er Arzneimittel, die die Herzfunktion unterstützen, den Blutdruck senken etc. Er ist noch misstrauisch, ein typischer Beipackzettelstudierer. Bei der Besprechung führt man ihm vor Augen, wie er beschwerdefrei mit den Enkeln bolzen kann oder im Urlaub wandert. So wird es ihm leichter fallen, der Medikation zu folgen, als wenn es nur aus Angst geschieht. Intrinsische Motivation wirkt am stärksten, sie schafft neues Selbstvertrauen und Freude am Gelingen. Ein anderer Faktor ist hoher Leidensdruck bei akuten Beschwerden, auch er steigert die Compliance zuverlässig. Das Gleiche gilt für schnell wirkende Medikamente. Wo dies nicht der Fall ist, hilft ein Hinweis des Arztes, dass die Medikation nicht sofort anschlägt und erst eingestellt werden muss. Dies schafft Geduld, oft auch neugierige Bereitschaft.

Manchmal vergessen die Patienten die Einnahme, weil der Plan nicht passt. Viele Menschen gehen zum Beispiel ohne Frühstück aus dem Haus. Andere sind in der Arbeitspause so abgelenkt, dass die Tabletten in der Tasche bleiben. Der Einnahmeplan ist also an die täglichen Abläufe anzupassen, denn selbst bei gutem Willen schafft es kaum jemand, wegen der Medikamenteneinnahme seine Gewohnheiten zu ändern. Die Handhabung der Arzneimittelbehältnisse hält ebenfalls ihre Tücken bereit. Die Kindersicherung lässt auch Senioren oder Rheumapatienten verzweifeln, weil die Kraft fehlt. Die Fläschchen mit Augentropfen sind viel schneller aufgebraucht, als es gemäß der Dosieranleitung zu erwarten wäre, weil das Zielen nicht mehr so gut klappt. Als Einzeldosis verschwinden sie einfach, weil sie schlecht zu sehen sind. Sind Sie als Arzt im Zweifel, lassen Sie den Patienten die Packung mitbringen. Sie oder die MFA können die Einnahme kontrollieren bzw. mit dem Patienten trainieren.

Zeit richtig investieren

In Seminaren wird von Ärzten immer wieder der Faktor Zeit angesprochen. „Minuten investiert heißt Stunden gespart“ – dieses Wort des Internisten Prof. Linus Geisler ist bezeichnend. Ein Patient, der die Praxis mit Unklarheiten verlässt, wird immer wieder Antwort auf seine Fragen suchen. Vielleicht ruft er an und möchte Sie sprechen oder er sitzt einen Tag später wieder im Wartezimmer und erwartet Aufklärung. Oft genug reagiert er jedoch abwartend, hält sich nicht an die Therapie, erzählt nicht, dass er die Medikamente nicht oder anders genommen hat – und der Arzt verordnet bei einem eigentlich unnötigen weiteren Besuch des Patienten etwas Neues in der Annahme, dass das erste Arzneimittel nicht angeschlagen hat. Zeit verloren, Geld verloren, Kompetenzzweifel beim Patienten gesät. Dabei haben Untersuchungen ergeben, dass die meisten Patienten eine bessere Akzeptanz ihrer Krankheit zeigen und motivierter sind, wenn die Behandlung aus einer Konsensentscheidung resultiert, der Arzt also nicht paternalistisch anordnend agiert. Je besser der Patient im Bilde ist und die Zusammenhänge versteht, desto weniger Angst hat er. Er ist handlungsfähig, anstatt untätig zu verharren, sein Vertrauen zum Arzt erhöht sich, der Therapieerfolg bestätigt ihn und die Bindung an die Arztpraxis verstärkt sich.▪

Tipps aus der Gedächtnisforschung

Patienten, die sich gut an die ärztlichen Instruktionen erinnern konnten, waren dreimal therapiemotivierter als Patienten mit Erinnerungsfehlern.

Wer Namen und Applikationsmodus seines Mittels kennt, vergisst seltener die Einnahme.

Zwei Erklärungen werden gut erinnert, von vieren wird eine, von acht Erläuterungen wird die Hälfte vergessen.

Das heißt: Wichtiges lesbar aufzuschreiben ist keine Nebensache, sondern ein wichtiger Bestandteil des Medikationsgesprächs. Sinnvoll ist zudem die Frage „Welche Probleme könnten bei Ihrer Umsetzung der besprochenen Therapie auftauchen?“



Literatur
Ute Jürgens: Patientenorientierte Kommunikation: Ein Weg zu besserer Therapiemotivation? Unveröffentlichte Diplomarbeit 1997, nur über die Autorin erhältlich
Schweickhardt, Axel, Fritzsche, Kurt: Kursbuch ärztliche Kommunikation. Grundlagen und Fallbeispiele aus Klinik und Praxis. Deutscher Ärzte-Verlag 2009
Bundesärztekammer (Hrsg): Placebo in der Medizin. Deutscher Ärzte-Verlag 2011
Sabine Goette: Die Heilkraft des inneren Arztes. DVD, arte und Knaur Verlag 2011

Ute Jürgens


Kontakt
Ute Jürgens
Kommunikationstrainerin, Einzelcoach
28 865 Lilienthal
www.kommed-coaching.de

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; (11) Seite 26-29