Sollen in der Medizin neue Medikamente oder Therapien getestet werden, so sind dazu Studien an Probanden notwendig. Wie weit diese gehen dürfen, entscheiden hierzulande Ethikkommissionen. Hintergründe zur Arbeitsweise von Ethikkommissionen und wo dabei auch Hausärzte tangiert werden können, vermittelt der nachfolgende Beitrag des Arztes und Juristen Prof. Dr. Peter Gaidzik.

Im Rahmen einer Arzneimittelprüfung soll ein neues Medikament getestet werden, das möglicherweise bei einem Schlaganfall hilft. Das Präparat muss innerhalb von drei Stunden nach dem Anfall gespritzt werden. Schlaganfall-Patienten können aufgrund ihres Zustands aber nicht aufgeklärt werden und in die Teilnahme an dieser Studie einwilligen. Oder: Medikamente sind in ihrer Dosierung für Erwachsene erforscht und zugelassen. Aber Kinder haben einen anderen Stoffwechsel, die Medikamente wirken anders, und nur so über den Daumen eine halbe Tablette verabreichen ist auch keine gute Lösung. Also müssen selbst zugelassene Medikamente für Kinder und auch für ältere Menschen quasi neu erforscht werden. Wer soll aber die notwendige Einwilligung für die Versuchsreihen unterschreiben?

Dies sind nur zwei Beispiele für Fragestellungen, mit denen sich eine Ethikkommission befassen muss. Sie steht dabei oft vor dem Dilemma, welches Gut sie mehr schützen soll: die gesetzlich vorgeschriebene informierte Einwilligung des Patienten oder die Gesundheit vieler Kinder, die durch eine falsche Dosierung gefährdet sein könnte. Insgesamt sind für die Arbeit der Ethikkommission nicht nur die Risiken des Patienten durch die eigentliche Forschungs-Maßnahme selbst relevant, sondern auch alle sonstigen Schäden, die ein Proband erleiden kann, etwa durch Verletzung des Datenschutzes, Wegerisiken und dergleichen. „Unethisch“ kann Forschung aber auch dann sein, wenn etwa der Plazebogruppe ein heilungsversprechendes Medikament oder Verfahren vorenthalten wird. Des Weiteren wird überprüft, ob der Forscher vom Auftraggeber unabhängig ist, ein Faktor, der in der öffentlichen Wahrnehmung und im Bereich der Korruptionsprävention eine große Rolle spielt.

KZ-Experimente gaben den Anlass

Unter dem Eindruck der menschenverachtenden Experimente an KZ-Insassen hatte der I. Amerikanische Militärgerichtshof 1947 die „freiwillige Zustimmung der Versuchsperson“ als „unbedingt erforderlich“ für die ethische Vertretbarkeit von Versuchen am Menschen erachtet. Die Versuchsperson müsse zuvor in die Lage versetzt werden, „eine verständige und informierte Entscheidung treffen zu können“. Auf die Praxis klinischer Forschung hatte dieser „Nürnberger Kodex“ offenbar zunächst wenig Einfluss, denn noch 1966 stellte eine Untersuchung erhebliche ethische Mängel in US-amerikanischen Forschungsarbeiten fest. Dies führte zunächst in den USA, dann auch in Europa zur Einrichtung ethischer Kontrollgremien. Mit ihrer Verankerung in der Deklaration von Helsinki haben „Independent Review Boards“ (IRB) bzw. Ethikkommissionen auch international ihren Siegeszug angetreten.

Ethikkommission als „Behörden“

Waren die Ethikkommissionen über viele Jahre reine Beratungsgremien, deren Votum zumindest formell keine Bindungswirkung für den Forscher entfaltete, sind sie innerhalb der EU im Arzneimittel- und Medizinproduktebereich mittlerweile zu „Behörden“ geworden. Die positive Beurteilung durch eine „nach Landesrecht gebildete Ethikkommission“ ist in der Bundesrepublik neben der Genehmigung durch die jeweils zuständige Bundesoberbehörde (BfArM oder PEI) Voraussetzung für die rechtliche Zulässigkeit einer Studie. Ähnliche Strukturen sind auch in anderen Staaten der EU anzutreffen.Gleichwohl blieben Unterschiede in den nationalen Verfahrensweisen, was Planung und Durchführung größerer Studien erschwert und nicht zuletzt auch verteuert. Obschon verlässliche Zahlen fehlen, wird der Vorwurf allzu starker Forschungsbehinderung gerade in jüngerer Zeit von der EU-Kommission aufgegriffen und man versucht, das Verfahren vor den Ethikkommissionen zu verschlanken. So soll zukünftig das Votum einer Ethikkommission innerhalb der EU für die Zulässigkeit der Studie ausreichen, oder aber die Bearbeitungsfristen werden so verkürzt, dass deren Bewältigung durch die ja ehrenamtlich tätigen Gremien nicht mehr gewährleistet werden könnte.

Hier kommt der Hausarzt ins Spiel

Sind die Ethikkommissionen also überhaupt noch zeitgemäß und welche Bedeutung haben sie für den ja nicht primär im Forschungsbereich tätigen Allgemeinarzt? Sicherlich wird die Testung neuer Arzneimittel bis zu deren Zulassung, also in den Studienphasen I bis III, nur selten in niedergelassenen Praxen stattfinden. Anders aber schon in Studien der Phase IV, die an größeren Patientenzahlen durchzuführen sind, um statistisch seltenere Risiken zu identifizieren. Hier kann sich die allgemeinärztliche Praxis als Prüfstelle durchaus anbieten, hält sie doch im Vergleich zu dem stark selektierten Probandengut der Zulassungsstudien ein weit heterogeneres Patientenkollektiv bereit, um ein Präparat unter Alltagsbedingungen zu erproben – man denke etwa an Alter, Komorbiditäten oder Begleitmedikationen. Selbst die zuweilen in Verruf geratenen nicht-interventionellen Studien bzw. sogenannten „Anwendungsbeobachtungen“ können daher wichtige Erkenntnisse zu Nutzen und Risiken eines neu zugelassenen Medikamentes vermitteln und sind so – seriös durchgeführt – mithin nicht nur Marketinginstrumente pharmazeutischer Hersteller.

Darüber hinaus werden auch außerhalb des Arzneimittel- oder Medizinproduktebereichs Beratungsaufgaben wahrgenommen. Sämtliche derzeit aktuellen Berufsordnungen der Ärztekammern enthalten die Verpflichtung, sich als Ärztin/Arzt vor der Durchführung biomedizinischer Forschung am Menschen – ausgenommen bei ausschließlich epidemiologischen Forschungsvorhaben – durch eine bei der Ärztekammer oder bei einer Medizinischen Fakultät gebildete Ethikkommission über die mit ihrem Vorhaben verbundenen berufsethischen und berufsrechtlichen Fragen beraten zu lassen. Die vor einiger Zeit vom Deutschen Ärztetag beschlossene Änderung der Musterberufsordnung sieht eine solche Beratung ausdrücklich nur noch dann vor, wenn „bei dem Forschungsvorhaben in die psychische und körperliche Integrität eines Menschen eingegriffen wird oder Daten oder Körpermaterialien verwandt werden, die sich einem Menschen zuordnen lassen“, wobei die Pflicht nicht mehr dahin geht, „sich beraten zu lassen“, sondern eine solche Beratung lediglich „sicherzustellen“. Ob mit diesen sprachlich, indessen auch normtechnisch wenig geglückten Formulierungen inhaltliche Restriktionen gegenüber der jetzigen Fassung verknüpft sein werden, bleibt abzuwarten.

Schutz für Patient und Forscher

Dem ambulanten Sektor kommt dabei zunehmende Bedeutung zu, nicht zuletzt in dem noch verhältnismäßig jungen Zweig der Versorgungsforschung. Die begrenzten Ressourcen im Gesundheitswesen machen es notwendig, Nutzen-Risikoüberlegungen nicht allein unter gesundheitlichen, sondern auch unter finanziellen Aspekten zu prüfen, und zwar unabhängig von bestimmten Interessen der beteiligten Institutionen, wie der Industrie oder den Sozialversicherungsträgern. Dabei sollte die berufsrechtlich gebotene Beratung durch die Ethikkommissionen von den betroffenen Ärzten auch in diesen Bereichen nicht als Ausdruck übermäßiger Bürokratisierung aufgefasst werden, sondern als „Beratung“ im besten Wortsinn, also als Hilfestellung.

Ethikkommission ist also nicht nur Verbraucherschutz, sondern auch Forscherschutz. Denn ihren Empfehlungen zu folgen, hält dem Forscher weitgehend den Rücken frei, sich auf den Erfolg seiner Projekte konzentrieren zu können und sich nicht um Rechtsprobleme sorgen zu müssen.▪


Kontakt
Prof. Dr. Peter Gaizdik
Mitglied der Ethikkommission der Universität Witten/Herdecke

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (3) Seite 62-63