Wird der Bock zum Gärtner? Manch ein von der KV-Verwaltung geplagter Arzt wird sich verwundert die Augen reiben. Die Körperschaft beschäftigte sich in einem hochkarätig besetzten Symposium mit dem Thema Bürokratieabbau. Deutlich wurde dabei erneut, wie hoch der Zeitaufwand ist, der für bürokratische Pflichten im Praxisalltag anfällt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat sich nun den Abbau von 25 % oder umgerechnet 13 Millionen Stunden zum Ziel gesetzt.

Die Bürokratie ist ein Zeitfresser in den Praxen der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten. Das belegen neue Zahlen, die die KBV vorab aus dem Ärztemonitor 2018 veröffentlicht hat. Danach verbringen Ärzte pro Woche 7,4 Stunden mit Verwaltungstätigkeiten. Diese liegen damit nach der Patientensprechstunde auf Platz 2 der ärztlichen Arbeitszeit. "Das ist eindeutig zu viel", so klagte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel. Jede Minute mehr an Bürokratie fehle in der Patientenversorgung und frustriere die Ärzte. 57 % der für den Ärztemonitor befragten Ärzte und Psychotherapeuten würden sich beschweren, dass sie nicht ausreichend Zeit für die Behandlung ihrer Patienten zur Verfügung hätten. Das sind etwas mehr als bei der Befragung vor zwei Jahren, wo dies von 56 % bemängelt worden war.

Ärztemonitor der KBV
Der Ärztemonitor ist eine der deutschlandweit größten Befragungen ambulant tätiger Ärzte und Psychotherapeuten. Die KBV lässt dazu vom Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) Telefoninterviews mit rund 11.000 per Zufallsprinzip ausgewählten Ärzten und Psychotherapeuten zu deren Arbeitssituation durchführen.

Die gesetzlichen Neuregelungen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) machten hier wenig Hoffnung auf eine positive Veränderung, so Kriedel. Ziel müsse es sein, Bürokra-tie kontinuierlich abzubauen und nicht – wie es die Regelungen des TSVG befürchten lassen – weiter zu erhöhen.

Bürokratie von Anfang an verhindern

Die KBV will Bürokratie nicht nur abbauen, sondern von Anfang an verhindern. Dazu nimmt sie neue Regelungen genau unter die Lupe und ermittelt mithilfe des sogenannten Standardkosten-Modells die zu erwartenden Bürokratiekosten. Auf diese Weise könnten Belastungen schon frühzeitig identifiziert und beziffert werden, um dann im Verhandlungsprozess eine bürokratieärmere Vorgehensweise durchzusetzen.

Diese "Ex-ante-Prüfung" sowie ein klares politisches Commitment auf Ebene der Bundesregie-rung bezeichnete auch Dr. Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates (NKR), als zwei Erfolgsfaktoren für den Abbau von Bürokratie. Es sollte künftig keine Gesetzesnovelle ohne Evaluation des Status quo mehr geben und zwar "losgelöst von der Tagespolitik", forderte Ludewig. Die Sinnfrage komme im Bürokratiesystem immer noch zu kurz und sei im Bundestag "noch nicht ganz durchgedrungen", so seine ironische Kritik.

Es gibt Fortschritte beim Bürokratieabbau

Trotz aller Probleme gehe es beim Bürokratieabbau im Gesundheitswesen aber voran, lobt der Normenkontrollrat die Träger der Selbstverwaltung in seinem kürzlich vorgestellten Jahresbericht 2018. Hervorgehoben wird unter anderem die Vereinfachung von Formularen, die zahlreich ausgestellt werden. Dazu zählte z. B. die Vereinfachung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der Chronikerbescheinigung. Voran gehe es auch bei der Digitalisierung von Formularen. Dabei erwähnt wurden insbesondere Laborüberweisungen, die vollständig digital getätigt werden können.

Obwohl also im vergangenen Jahr einige Maßnahmen umgesetzt werden konnten, die zu einem Rückgang der Belastung in den Praxen beigetragen hätten, seien diese Entlastungen durch den Anstieg der Aufwände an anderer Stelle neutralisiert worden. Hierbei falle auf, dass der Anstieg der Belastung nur zum Teil durch neue Informationspflichten begründet ist. Ein großer Teil der neuen Belastungen sei auf den Anstieg der Fallzahlen bei bestehenden Informationspflichten zurückzuführen.

Steigende Fallzahlen steigern die Bürokratie

Insbesondere durch den demographischen Wandel sei auch für die Zukunft mit steigenden Fallzahlen zu rechnen, stellt die KBV nüchtern fest. Es werde daher zu einem weiteren Anstieg der bürokratischen Belastung für Praxen kommen, wenn nicht ausreichend Maßnahmen für eine Reduzierung der administrativen Aufwände ergriffen werden. Die KBV fordert deshalb ein gesetzlich verpflichtendes Abbauziel für die bürokratische Belastung in Arztpraxen durch die Regelungen der gemeinsamen Selbstverwaltung.

Digitalisierung reduziert Bürokratie nicht automatisch

Besondere Bedeutung kommt aktuell Ansätzen zu, die eine Digitalisierung der bestehenden Prozesse vorsehen. Die KBV warnt aber: Digitalisierung biete zwar eine große Chance für den Abbau von Bürokratie, sie bedeute aber nicht zwangsläufig eine Reduzierung der administrativen Aufgaben für Praxen. Aktuell lasse sich beobachten, dass die Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben oft mit neuen bürokratischen Pflichten für Praxen verbunden ist. Bei der Planung und Umsetzung der Digitalisierung in der vertragsärztlichen Versorgung sollte daher das Augenmerk stärker auf das Potenzial für die Entlastung von Bürokratie gerichtet werden.

Abbauziel gesetzlich verankern

Trotz dieser Fortschritte will sich die KBV vehement für die gesetzliche Verankerung eines verbindlichen Abbauziels von 25 % einsetzen. Dies würde jährlich über 13 Millionen Stunden zusätzlich für die Versorgung der Patienten bringen, sagte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel. Insgesamt sei Bürokratieabbau kein Projekt, das irgendwann abgeschlossen ist, sondern eine Herausforderung, die ständig von Neuem angegangen werden muss, hat die KBV erkannt. Da kann man nur viel Erfolg wünschen.



Autor:
Hans Glatzl

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (19) Seite 34-36