Bewegungsstörungen bei Erwachsenen sind durch Überbewegungen oder eine Bewegungsarmut gekennzeichnet. Dieser Beitrag bietet eine Übersicht zu motorischen Überbeweglichkeiten, die unkontrolliert den normalen Bewegungsablauf oft erheblich beeinträchtigen. Den heterogenen, teils sehr eindrücklichen Bewegungsmustern liegt eine ebenso weitgefächerte Möglichkeit an auslösenden Faktoren zugrunde. Die exakte klinische Zuordnung der Hyperkinesen ermöglicht in vielen Fällen eine wirksame Minderung der Beschwerden.

Unwillkürliche Bewegungen unterschiedlicher Lokalisation und Intensität sind bei Erwachsenen öfter zu beobachten. Häufig sind ab dem 50. Lebensjahr essentieller Tremor, Restless-Legs-Syndrom und Dystonien. Treten sie plötzlich auf, sind die in Tabelle 1 aufgeführten Ursachen zu berücksichtigen. Hinweise zur Therapie finden sich in Tabelle 2.

Tremor

Tremor ist eine unwillkürliche, rhythmisch schwingende Bewegung. Besonders das Ausmaß der Amplitude bestimmt den Grad der Beeinträchtigung. Die klinische Diagnose fußt auf Anamnese und Tremorsituation (in Ruhe, in Halteposition, bei Bewegungen oder aufgabenbezogen, vgl. Tabelle 3). Der verstärkte physiologische, der essentielle und ein Parkinson-Tremor werden am häufigsten angetroffen.

Der Haltetremor tritt bei aktiver Wahrung einer bestimmten Körperhaltung vorzugsweise an Extremitäten und am deutlichsten an den ausgestreckt gehaltenen Armen auf. Bei entspannt gelagerten Gliedmaßen verschwindet er. Ein feinschlägiger Haltetremor ist charakteristisch für den physiologischen Tremor, der mit dem Lebensalter zunimmt. Er verstärkt sich besonders in belastenden Situationen (Stress) oder z. B. bei einer Hyperthyreose, wird aber von keinen weiteren extrapyramidal-motorischen Symptomen begleitet. Auch der essentielle Tremor ist ein Haltetremor (z. B. beim Halten einer Teetasse), der sich ebenso mit den Jahren deutlicher zeigt.

Er kann auch Tätigkeiten wie Schreiben oder feine Handarbeiten beeinträchtigen. Die Betroffenen berichten oft von einer Tremorabnahme, wenn sie etwas Alkohol getrunken haben.
Ein Ruhetremor zeigt sich bei fehlender Willkürbewegung. Emotionale Anspannung (Aufregung, Termindruck) und mentale Aktivitäten (Zeitunglesen, Gespräch) verstärken den Tremor, Bewegungen hemmen ihn. Er beginnt jedoch wieder in der Ruheposition. Klassisches Beispiel ist der Parkinson-Tremor.

Ein Bewegungstremor (Aktionstremor) stellt sich bei willkürlichen Tätigkeiten ein. Dabei kann er verstärkt bei Beginn (initialer Tremor), während (transitorischer Tremor) oder gegen Ende der Bewegung (terminaler Tremor) eintreten. Letzterer wird als Intentionstremor bezeichnet. Er nimmt merklich bei Annäherung an das Bewegungsziel zu, vor allem bei zerebellären Erkrankungen oder Hirnstammläsionen. Beispiele für einen aufgabenbezogenen Aktionstremor sind Schreib- und Stimmtremor.

Restless-Legs-Syndrom (RLS)

Beim Restless-Legs-Syndrom werden schwierig zu charakterisierende Missempfindungen (Brennen, Ameisenlaufen, Kribbeln) in den Füßen/Beinen in Ruhephasen (Fernsehen, Einschlafen) geschildert, kombiniert mit einem starken Bewegungsdrang der Beine. Die Patienten stehen auf und gehen umher, um die Symptome zu lindern. Ein RLS kann mit periodischen Beinbewegungen im Schlaf einhergehen (über Minuten bis Stunden anhaltende, wiederkehrende zuckende Beugebewegungen). Symptomatisch tritt ein RLS u. a. in der Schwangerschaft, bei Urämie, unter trizyklischen Antidepressiva und beim Eisenmangel auf. Es ist familiär gehäuft und kann autosomal-dominant vererbt werden.

Dystonien

Der Begriff Dystonie bezeichnet Bewegungsstörungen, die unwillkürlich, anhaltend und schablonenhaft ablaufen. Durch wiederkehrende Muskel-Kontraktionen von Agonist und Antagonist entstehen drehende oder spasmodische Bewegungen sowie abnorme Körperhaltungen. Allgemein werden dystone Bewegungen durch Willküraktivität verstärkt bzw. sie treten bei Tätigkeiten wie Schreiben oder Spielen eines Musikinstrumentes auf (Aktionsdystonie).

Durch bestimmte Maßnahmen (Anlegen der Finger z. B. an Kinn, Stirn, in Nacken = geste antagonistique, Gähnen, Reizabschirmung) ist eine Linderung möglich. Dystonien können sich lokalisiert (fokal sowie segmental), seitenbetont (Hemidystonie) oder generalisiert zeigen. Beispiele für lokalisierte Dystonien sind der Blepharospasmus, die oromandibuläre Dystonie und die zervikale Dystonie. Ätiologisch unterscheidet man primäre (idiopathische) von sekundären (symp­tomatischen) Dystonien. Störungen des Kupfer- (Wilson-Krankheit), Lipid-, Aminosäure- und mitochondrialen Stoffwechsels kommen z. B. bei den symptomatischen Formen infrage.

Akute dystone Reaktionen sind bei Kindern und jungen Erwachsenen am häufigsten. Sie zeigen sich innerhalb von 24 Stunden als generalisierte Dystonien (Retrocollis, Gliederdystonie) nach Einnahme von Metoclopramid oder Neuroleptika.

Chorea

Die unwillkürlichen, fahrigen, schnellen choreatischen Bewegungen erscheinen unvermittelt, unregelmäßig und wahllos verteilt. Oft sind sie distal betont. Bei leichter Ausprägung können die Hyperkinesen in Willkürbewegungen eingegliedert werden (z. B. Streichen über die Haare). Nehmen sie zu, sind rasch wechselnde bizarre Körper- und Gliedmaßenstellungen zu beobachten. Sind sie mit distalen dystonen Bewegungen kombiniert, spricht man von einer Choreoathetose.

Genetisch bedingt ist eine Chorea bei der autosomal-dominant vererbten Huntington-Krankheit. Neurodegenerative Krankheiten (z. B. Alzheimer-Krankheit, Multisystematrophie) oder Infektionskrankheiten (Streptokokkenangina, Herpes, Toxoplasmose) können choreatische Bewegungsstörungen verursachen. Ferner kommen sie bei vaskulären Krankheitsbildern, Hirntumoren, unter Medikamenteneinnahme (Östrogene, Neuroleptika) und im höheren Lebensalter („senile“ Chorea) vor.

Tardive Dyskinesie

Neuroleptika (wie Phenothiazine, Metoclopramid, Thioxanthene, Butyrophenone, Benzamide) verursachen tardive (= sich langsam entwickelnde) Dyskinesien. Sie zeigen bzw. verstärken sich nach Absetzen des Neuroleptikums. Vorzugsweise kommen stereotype Bewegungsstörungen im Mund-, Kiefer- und Zungenbereich (orobukkolinguale Dyskinesie) vor. Eine tardive Akathisie ist durch ein Gefühl der inneren Spannung, Missempfindungen in den Beinen und Bewegungsunruhe gekennzeichnet. Wichtig ist die Unterscheidung zum Restless-Legs-Syndrom und zum Tic.

Myoklonus

Sein Merkmal ist eine unwillkürliche, ruckartig rhythmisch oder arrhythmisch unvermittelt einsetzende Muskelkontraktion, die zur erkennbaren Bewegung führt. Myoklonien haben keine einheitliche Ätiologie. Sie können fokal, segmental, multifokal oder generalisiert auftreten. Ferner können sie einmalig, attackenartig wiederholt oder andauernd vorhanden sein. Sie zeigen sich nach visuellen, auditorischen oder somatosensorischen Stimuli (Reflexmyoklonus), bei Willkürbewegungen (Halte-, Intentions-, Aktionsmyoklonus) oder spontan.

Schlafmyoklonien machen sich in der Einschlafphase mehr oder weniger heftig bemerkbar.

Symptomatische Myoklonien kommen im Verlauf zahlreicher Krankheiten vor, z. B. bei Alzheimer-Krankheit, kortikobasaler Degeneration, Huntington-Krankheit, metabolischen Störungen (Leber, Lunge, Hypoglykämie, Dialyse) und Enzephalitiden (Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, subakute sklerosierende Pan­enzephalitis = SSPE).

Tic

Ein Tic kann sich als plötzlich einsetzende unwillkürliche, blitzartige, periodische und ziellose Bewegung (motorischer Tic) oder Lautäußerung (vokaler Tic) darstellen. Tics erscheinen vor dem Hintergrund einer normalen Willküraktivität. Sie äußern sich verstärkt unter Belastungen, bei Angst, Ermüdung oder in entspannten Situationen. Abgeschwächt werden sie z. B. durch konzentriertes Arbeiten. Zwar können sie willkürlich unterdrückt werden, treten aber nach längerer Unterdrückung verstärkt hervor. Dem Tic geht ein inneres Spannungsgefühl voraus, das sich kurzzeitig durch die Tic-Ausführung mindert. Tics können vorübergehend oder chronisch vorhanden sein.

Einfache Tics umfassen Augenblinzeln, Kopf-, Achsel- oder Schulterzucken oder als vokale Tics Stöhnen, Grunzen, Zischen, Quaken, Schreien, Räuspern, Schniefen oder Hüsteln. Komplexe motorische Tics bestehen in stereotypen oder schablonenartigen Bewegungsmustern, die eine Unterscheidung gegenüber Willkürbewegungen erschweren können, so z. B. Händeschütteln, Kratzen, Treten, Berühren oder Bewegungsimitationen (Echopraxie).

Das Tourette-Syndrom beginnt vor dem 21. Lebensjahr mit multiplen motorischen und vokalen Tics in wechselnder Ausprägung und Lokalisation. Zwangsgedanken/-handlungen, Persönlichkeitsauffälligkeiten und Aufmerksamkeitsstörungen sind hiermit assoziiert.

Funktionelle (psychogene) Bewegungsstörungen

Allgemein sind dies Bewegungsstörungen, die sich einer eindeutigen Klassifizierung entziehen und mit psychosomatischen Konzepten (wie Somatisierungsstörung, Konversionssyndrom) eng verknüpft sind. Als Bewegungsstörungen stellen sie sich sehr unterschiedlich dar, können nach Bagatelltraumen auftreten und werden durch ungewöhnliche Prozeduren seitens des Patienten verstärkt bzw. vermindert.


Literatur
1. Hinson VK, Haren WB (2006) Psychgenic movement disorders. Lancet Neurol 5: 695-700
2. Jankovic J (2001) Tourette’s syndrome. N Engl J Med 345: 1184-1192
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4. Kamm C (2009) Genetik der Dystonien. Fortschr Neurol Psychiat 77: S32-S36
5. Kosinski CM, Landwehrmeyer B (2007) Choreatische Bewegungsstörungen – Ursachen, Diagnostik und Therapie. 78: 37-50
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8. Wolters A, Benecke R (2009) Myoklonien. Akt Neurol 36: 71-81

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Prof. Dr. med. Reinhard Rohkamm


Kontakt:
Prof. Dr. med. Reinhard Rohkamm
Neurologische Klinik
Nordwest-Krankenhaus Sanderbusch
26452 Sande

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2010; 32 (19) Seite 42-46