In der Sprechstunde werde ich oft gefragt, ob ein Rentenantrag Aussicht auf Erfolg hätte. Die Bestimmungen, nach denen eine Rente gewährt wird, sind aber so vielfältig und ständigen Änderungen unterworfen, dass eine Antwort nicht immer leichtfällt. Im Folgenden sollen daher die Bedingungen, unter denen eine Rente gewährt wird, zumindest prinzipiell dargestellt werden.

Fallbeispiel
Ein 1959 geborener Maurer hat einen Bandscheibenvorfall L4/5 mit ständig wiederkehrenden Kreuz-Beinschmerzen links. Eine Nukleotomie wird durchgeführt, anschließend eine ambulante Reha-Maßnahme. Die Dauerschmerzen hören auf, bei körperlicher Belastung hat er aber Rückenschmerzen, gegen die er NSAR einnimmt. Im Reha-Entlassbericht wurde folgendes Leistungsbild festgestellt: Er könne noch leichte, gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten durchführen ohne häufige Einnahme von Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne häufiges Bücken und Vorbeugen. Diese eingeschränkte Tätigkeit könne er noch 6 bis 8 Stunden täglich durchführen. Da er noch vollschichtig leistungsfähig ist (wenn auch mit qualitativen Einschränkungen), ist er zwar dauerhaft arbeitsunfähig (seine aus dem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung als Maurer kann er nicht durchführen), aber nicht erwerbsunfähig. "Glücklicherweise" wurde er aber vor 1961 geboren. Für ihn muss die Rentenversicherung zusätzlich prüfen, ob Berufsunfähigkeit (nach altem Recht – vor 2001) vorliegt. Tatsächlich kann er in seinem erlernten Beruf als Maurer nicht mehr arbeiten (wenn überhaupt, dann nur weniger als 6 Stunden tägl.). Er erhält also eine "teilweise Erwerbsunfähigkeitsrente" – also nur eine halbe Rente. Den Rest zahlt die Krankenversicherung (solange er noch krankgeschrieben ist), danach die Agentur für Arbeit, wenn er bis dahin nicht eine entsprechend andere Stelle gefunden hat, die seinen Fähigkeiten entspricht. Wäre er 1961 oder später geboren, erhielte er Krankengeld bis zur Aussteuerung, wonach er an die Agentur für Arbeit verwiesen würde.

Die einschlägigen Paragraphen zu den Bestimmungen der Erwerbsunfähigkeit und des Rentenanspruchs finden sich im Sozialgesetzbuch VI. Hiernach wird Rente gewährt als Regelaltersrente oder als vorgezogene Altersrente, z. B.:

  • für besonders langjährig Versicherte (ab 45 anrechenbaren Jahren)
  • langjährig Versicherte (ab 35 anrechenbaren Jahren)
  • schwerbehinderte Menschen (ab einem Grad der Behinderung [GdB] von 50)

Das Alter, mit dem diese Renten ohne Abzüge bezogen werden können, verschiebt sich momentan bei den bis 1964 Geborenen stufenweise nach hinten. Auf den Seiten der Deutschen Rentenversicherung kann man das Renteneintrittsalter in entsprechenden Listen einsehen [1].

Rente erhalten aber auch Personen, die durch Krankheit oder Behinderung in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind. Dies muss "auf Dauer" so sein, also mindestens 6 Monate lang.

Quantitatives Leistungsbild

Man geht davon aus, dass gesunde Menschen 8 Stunden täglich arbeiten können, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sie also voll erwerbsfähig sind. Auch wenn sie – krankheitsbedingt – mindestens 6, aber vielleicht keine 8 Stunden mehr arbeiten können, spricht man von voller Erwerbsfähigkeit. Können Menschen mindestens 3, aber weniger als 6 Stunden arbeiten, ist deren Erwerbsfähigkeit teilweise gemindert (§43 Abs. 1 SGB VI). Voll gemindert ist die Erwerbsfähigkeit, wenn auch 3 Stunden am Tag nicht mehr gearbeitet werden kann (§43 Abs. 2 SGB VI). Hierbei kommt es nicht darauf an, welche Ausbildung jemand hatte, ob Universitätsprofessor oder Waldarbeiter, nur auf die Stundenzahl kommt es an, also das quantitative Leistungsvermögen. Es wird nämlich bei der Beurteilung auf den sogenannten allgemeinen Arbeitsmarkt (entsprechend §43 SGB VI) abgestellt, also alle Tätigkeiten, mit denen man Geld verdienen kann [2]. Für Menschen, die vor 1961 geboren wurden, gilt noch der Begriff der Berufsunfähigkeit: Dieser Personenkreis erhält eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn er im ERLERNTEN Beruf weniger als 6 Stunden arbeiten kann (§240 SGB VI). Eine Ausnahme bilden Arbeitslose, die nur 3 bis 6 Stunden arbeiten können – sie erhalten VOLLE Erwerbsminderungsrente, weil man davon ausgeht, dass für sie der Arbeitsmarkt verschlossen ist (§ 43 Abs. 3 SGB VI) [3].

Qualitatives Leistungsbild

Ein weiterer Aspekt ist das qualitative Leistungsbild, bei dem es im Gegensatz zu der beschriebenen zeitlichen Einstufung nun darum geht, welche Tätigkeit nochausgeübt werden kann (positives Leistungsbild) oder was krankheitsbedingt nicht mehr geleistet werden kann (negatives Leistungsbild). Ein Arbeitnehmer kann beispielsweise 6 bis 8 Stunden täglich arbeiten, aber nur noch leichte Tätigkeiten ausüben oder unter gewissen Einschränkungen wie im Wechsel zwischen Sitzen und Stehen, nicht unter erhöhtem Zeitdruck oder nicht in der Kälte. Das Leistungsbild ist dann eingeschränkt, aber es besteht eine Restleistungsfähigkeit.

Unterschied Erwerbsunfähigkeit – Arbeitsunfähigkeit

Bei der Arbeitsunfähigkeit geht es KURZFRISTIG um die Frage, ob die aktuell laut Arbeitsvertrag geschuldete Tätigkeit (beim Arbeitslosen: Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) noch durchgeführt werden kann oder nicht. Es handelt sich also um eine Beurteilung, die sich je nach Gesundheitszustand jeden Tag oder jede Woche ändern kann. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist dem Recht der Krankenversicherung (SGB V) zuzuordnen.

Bei der Erwerbsunfähigkeit ist zu beurteilen, ob AUF DAUER die Leistungsfähigkeit reduziert ist, unabhängig von der heutigen "Tagesform". Es handelt sich um einen Begriff aus dem Recht der Rentenversicherung (SGB VI).

Rechtsprechung

Immer wieder erreichen uns Hausärzte Anfragen von Sozialgerichten mit einer Vielzahl von Fragen, die uns manchmal seltsam erscheinen und schwierig zu beantworten sind. Es gibt verschiedene Gründe, warum wir bei solchen Fragen zurate gezogen werden.

  • Ermittlung des zeitlichen Umfangs des Leistungsvermögens: Hier geht es um die Bewertung der Erwerbsfähigkeit (gemindert, teilweise gemindert?).
  • Ermittlung der Wegefähigkeit: Auch wenn jemand 6 Stunden täglich arbeiten kann, geht man davon aus, dass Erwerbsunfähigkeit vorliegt, wenn er unter Verwendung von Hilfsmitteln nicht in der Lage ist, täglich viermal 500 Meter (binnen 20 Minuten) zu Fuß zurückzulegen und zweimal während der Hauptverkehrszeit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
  • Ermittlung von betriebsunüblichen Pausen: Muss jemand bei 6 bis 8 Stunden gegebener Leistungsfähigkeit häufige Pausen einlegen (z. B. wegen häufiger Blutzuckermessungen oder sehr häufigen Stuhldrangs bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen), kann Erwerbsunfähigkeit vorliegen.
  • Ermittlung von gleichzeitigem Vorkommen mehrerer Leistungseinschränkungen, z. B.: Wechsel zwischen Sitzen und Stehen, Notwendigkeit zusätzlicher Geh-Phasen und eingeschränkte Arm- bzw. Handeinsetzbarkeit.



Autor:

Dr. med. Jürgen Herbers

Facharzt für Allgemeinmedizin, Sozialmedizin, Sportmedizin, Ernährungsmedizin (DAEM/DGEM), Naturheilverfahren und Palliativmedizin;
74385 Pleidelsheim

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (15) Seite 68-70