Unser Fall: Der 79-jährige Johann B. hat Halsschmerzen - eigentlich nichts Besonderes für einen Mann, der Zeit seines Lebens ein starker Raucher war und diesbezüglich Kummer gewohnt ist. Doch heute fällt bei der Racheninspektion an der linken Wangenschleimhaut eine etwa daumennagelgroße, inhomogene, weißliche Schleimhautalteration (Abb. 1) auf, die sich mit dem Mundspatel nicht abstreifen lässt. Der Patient hat diese Veränderung bislang weder gesehen noch hat sie ihm Beschwerden verursacht.

Weißliche Veränderungen der Mundschleimhaut sind häufig zu sehen, aber schwer zu differenzieren. Weil es sich schlimmstenfalls um Neoplasien handeln kann, dürfen solche Befunde niemals banalisiert werden, selbst wenn sie symptomlos sind oder zufällig entdeckt werden.

Einteilung der Beläge

Im Sprechstundenalltag hat es sich bewährt, derartige Schleimhautbilder in abwischbare und nicht abwischbare Läsionen zu unterteilen [1].

Mechanische Irritationen

Bei den abwischbaren Veränderungen handelt es sich häufig um membranöse oder pseudomembranöse Auflagerungen polyätiologischer Genese. Die Ursachen derartiger topischer Veränderung können vielfältig sein: mechanische Reizungen der Schleimhaut durch intensives Wangenbeißen (Morsicatio buccarum) bzw. übermäßiges Zähne- oder Gingivaputzen oder Friktionsirritationen durch zahnärztliche Prothetikbauteile. Lokale physikalische (sehr heiße Speisen, „Glasbläserläsionen“ ) oder chemische Einwirkungen (Säuren- oder Laugenverätzung) sind ebenso ursächlich möglich wie entzündliche Intoleranzreaktionen der Mundschleimhaut auf der Basis einer zellvermittelten Allergie vom Spättyp [2], insbesondere gegen zahnärztliche Werkstoffe oder Zahnpflegemittel.

Als Folge dieser Irritationen kommt es zu einer Entzündung der Mundschleimhaut mit Schwellung und Rötung, schließlich zur Abstoßung von Oberflächenepithelien, die dann als weißliche Auflagerungen (Abb. 2) erkennbar sind.

Weil diese Veränderungen nicht ohne Weiteres von einer Leukoplakie unterschieden werden können, sollte bei ausbleibender Heilungstendenz und fehlender kausaler Plausibilität im Zweifelsfall biopsiert werden.

Candida-Infektionen

Eindeutiger zu diagnostizieren sind die abwischbaren, weißlich-gelblichen Auflagerungen einer Infektion mit Candida albicans, deren Nachweis durch Abstrich- oder Abklatschuntersuchungen möglich ist. Aber Vorsicht: Da Leukoplakien der Mundschleimhaut in noch nicht endgültig geklärtem Zusammenhang mit einer Candida-albicans-Infektion vergesellschaftet sein können (hyperplastische Candidiasis oder auch Candida-Leukoplakie), muss zumindest an eine gleichzeitig bestehende Leukoplakie gedacht werden, wenn der Belag unter spezifischer Behandlung nicht vollständig verschwindet.

Nicht abwischbare Beläge

Nicht abwischbare, weißliche Läsionen stellen neben einer Akantholyse (Beispiel: Pemphigus vulgaris) oder einer Fibrose des subepithelialen Bindegewebes (Beispiel: Sklerodermie) meist Verhornungsanomalien dar. Die hieraus resultierende Reflexions- und Brechungsänderung des Lichtes führt zur Weißverfärbung.

Nach Beobachtung einer nicht abwischbaren, weißlichen Schleimhautveränderung muss der Hausarzt die orale Leukoplakie (Abb. 3), den Lichen mucosae und das Plattenepithelkarzinom als abwendbar gefährlichen Verlauf bedenken. Während ein Karzinom der Mundhöhle aufgrund Vorgeschichte (Alkohol- und Nikotinmissbrauch), Aspekt und Tastbefund (Abb. 4) schnell vermutet wird, sind der orale Lichen planus (OLP) und die orale Leukoplakie (OL) wesentlich schwieriger zu bewerten.

Der Lichen planus der Mundhöhle (oraler Lichen planus oder auch Lichen mucosae) bleibt häufig die einzige Ausprägung einer Lichenerkrankung ohne eine weitere Manifestation an der Haut oder anderen Schleimhäuten. Vermehrt tritt die Erkrankung im mittleren Lebensalter von 30 bis 60 Jahren, bei Frauen mehr als bei Männern auf [3]. Fast 70 % der mukokutanen Läsionen findet man an der Wange, gefolgt von Gaumen, Zunge, Lippen, Alveolarschleimhaut und ex­trem selten am Mundboden.

Oraler Lichen planus

Der OLP imponiert in unterschiedlichen morphologischen Ausprägungen. Am häufigsten ist, wie in unserem Fall, der retikuläre Typ mit streifiger, weißer Zeichnung, den Wickham-Streifen. Diese bilden ein filigranes Netzwerk auf der Schleimhaut (Abb. 1). Beim papillären Typ bilden sich kleine, weiße Knötchen auf der Mukosa, beim Plaquetyp flache Beläge. Diese Veränderungen sind meist symptomarm, nur gelegentlich klagen Patienten über ein leichtes Schleimhautbrennen. Schmerzhaft und auch behandlungsbedürftig ist die erosive Variante des OLP, bei der Schleimhautdefekte mit blutenden Ulzerationen entstehen.

Die Pathogenese des OLP ist nicht vollständig geklärt. Zellvermittelte immunologische Störungen, aber auch Systemerkrankungen (Diabetes mellitus), Medikamenteneinflüsse, psychologische Aspekte und zahnärztliche Materialien werden als Triggerfaktoren angeschuldigt [4]. Die Beseitigung oder der Austausch zahnärztlicher Restaurationen kann zum Abklingen der Effloreszenzen führen, wobei aber auch spontane Abheilungen ohne zahnärztliche Intervention beschrieben wurden [5].

Weil der OLP ein malignes Geschehen konditionieren [6] kann („prämaligne Kondition“), muss er, über eine Lokalbehandlung mit topisch applizierten Kortikoiden oder anderen Wirkstoffgruppen [5, 7] hinaus, regelmäßig kontrolliert und gegebenenfalls biopsiert werden.

Orale Leukoplakie

Im Unterschied dazu wird die orale Leukoplakie (OL) als potenziell maligne Veränderung [6] und wichtigste prämaligne Veränderung der oralen Mukosa angesehen [8]. Orale Leukoplakien können isoliert oder multipel in allen Bereichen der Mundhöhle auftreten, am häufigsten aber an der Wangenschleimhaut, der Mukosa des Alveolarfortsatzes, dem Mundboden, der Zunge, den Lippen und dem Gaumen. Weil viele Leukoplakien keiner malignen Transformation unterliegen und sich zurückbilden können, wenn ätiologische Faktoren (Tabak, Alkohol) vermieden werden [6], besteht nach der bioptischen Diagnosesicherung die Hauptaufgabe des Hausarztes vor allem in der konsequenten Aufklärung und regelmäßigen Nachbeobachtung des Patienten.

Wie ging es mit unserem Patienten weiter?

Bei Johann B. handelt es sich nach dem klinischen Aspekt um einen oralen Lichen planus. Der Patient wurde über die Problematik seiner Schleimhautveränderung aufgeklärt und zur Selbstbeobachtung angehalten. Bei aktueller Symptomfreiheit war eine topische Behandlung bislang nicht erforderlich. In der Sprechstunde gehört die regelmäßige Mundhöhleninspektion von Johann B. jetzt zu einem Muss, eine zur Biopsie führende Veränderung der Effloreszenz ist bisher allerdings ausgeblieben.


Literatur
1. Holland I. Management of white patches. Dent Update 2010; 37(8): 526-8, 531
2. Trüeb, RM. Veränderungen der Mundschleimhaut richtig deuten. Zahnarzt Praxis 2010; 1: 2-5
3. Boorghani M, Gholizadeh N, Zenouz AT, Vatankhah M, Mehdipour M. Oral lichen planus: clinical features, etiology, treatment and management; a review of literature. JODDD 2010; 4(1): 3-9
4. Magnin P. Amalgamassoziierte lichenoide Mundschleimhautläsionen: Füllungsersatztherapie. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2003; 113(2): 143-150
5. Mücke Th, Höölzle F, Deppe H. Plattenepithelkarzinom auf dem Boden eines Lichen ruber. www.zm-online.de. Zuletzt eingesehen am 23. 07. 2012
6. Wissenschaftliche Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Keiferheilkunde (DGZMK) Stand: 26. 02. 2007
7. Scheer M, Kawari-Mahmoodi N, Neugebauer J, Kübler AC. Pimecrolimus (Elidel®) Zur Behandlung des Lichen planus mucosae. Mund-, Kiefer- und Gesichschirurgie 2006; 10: 403-407
8. Bornstein M, Klingler K, Saxer UP, Walter C, Ramseier CR. Tabakasoziierte Veränderungen der Mundhöhlenschleimhaut. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2006; 116(12): 1-9

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Dr. med. Fritz Meyer


Kontakt:
Dr. med. Fritz Meyer
Facharzt für Allgemeinmedizin, Sportmedizin
Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
86732 Oettingen/Bayern

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (1) Seite 30-32