Die German Doctors sind eine Nichtregierungsorganisation, die sich in verschiedenen Projekten seit Jahrzehnten darum bemüht, armen Menschen in verschiedenen Ländern medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Die Allgemeinärztin Dr. Verena Gröschel ist schon länger bei den German Doctors aktiv. Zuletzt in der indischen Millionenstadt Kalkutta. Hier ihr Bericht.

6 Wochen als Allgemeinärztin in den Slums von Kalkutta arbeiten. Das sollte man sich gut überlegen! Es erfüllt alle Klischees, die man über Indien gehört hat: Luftverschmutzung, unerträglicher Lärm, Müll, wo man nur hinschaut, Gerüche, die europäische Nasen nicht gewohnt sind, feuchtheißes Klima und überall bettelarme Menschen. Diese nutzen jedes letzte Fleckchen auf der Straße als Behausung sowie verfallene Gebäude, die von Kalkuttas einstiger Pracht zeugen.

Überfüllte Kliniken, zu wenige Ärzte

Es wäre schwer zu ertragen, wäre da nicht die unendliche Dankbarkeit der einfachen Patienten, ein erfahrenes und geduldiges einheimisches Team, das sich alle 6 Wochen auf einen neuen German Doctor einstellen muss. Täglich behandeln wir viele Kinder und verzweifelte Mütter, die keine Hilfe in den staatlichen Krankenhäusern bekommen. Die Krankenhäuser sind hoffnungslos überfüllt und es mangelt an Ärzten und Pflegepersonal. Unsere Patienten sind dankbar für jede noch so kleine oder große Hilfe in Form von sachgerechter Diagnostik und Therapie, aber auch ein bisschen Empathie. Die alten abgemagerten Menschen umarmen mich, weil ich ihnen eine Decke schenke, damit sie nicht in den kühlen Nächten der Wintermonate frieren müssen. Einen Teil meines Mittagessens gebe ich täglich an die Bedürftigen ab, die nach der Mittagspause noch auf Behandlung warten. Natürlich löst das nicht die Probleme, aber es ist rührend, Dankbarkeit selbst für kleine Taten zu sehen. Ja, es ist es definitiv wert, alle Strapazen auf sich zu nehmen und wieder zurück in unserem Luxus zu sagen: Ich bekomme mehr zurück, als ich investiert habe!

Hilfe, die bleibt

German Doctors entsendet Ärzte in verschiedene Projekte in einige Entwicklungsländer, um dort basismedizinische Hilfe zu leisten. "Hilfe, die bleibt!" Das ist der Slogan, unter dem wir dort arbeiten, denn das Gesicht der Ärzte wechselt alle 6 Wochen, aber es entsteht eine kontinuierliche Zusammenarbeit, die in den langjährigen Projekten fortgesetzt werden kann. Auf Ausbildung der einheimischen Mitarbeiter wird Wert gelegt und diese werden immer wieder geschult. Auch schulen wir die Patienten über Wassergebrauch, Hygiene, Ernährung, Familienplanung und Bildung.

Wir Ärzte arbeiten in dieser Zeit ehrenamtlich, verzichten auf Urlaube und übernehmen mindestens die Hälfte der Flugkosten. In Kalkutta werden derzeit 5 Ambulanzen in der Woche mehrmals angefahren von 2 Teams, die mit je 3 German Doctors besetzt sind. Unser erfahrener Langzeitarzt, Dr. Tobias Vogt, der seit 15 Jahren in Kalkutta lebt, ist uns eine große Hilfe, wenn es um die vielen Tuberkulosepatienten geht oder um nicht vermeidbare stationäre Einweisungen in die verschiedenen Krankenhäuser. Es gibt 3 städtische Ambulanzen, die in den Slums liegen und 2 ländliche Ambulanzen.

TBC ist der Killer

Ein breites Spektrum an Krankheiten erwartet uns. Allen voran die Killerkrankheit der Slumbevölkerung: die Tuberkulose. Oft tritt sie als Lungentuberkulose auf, aber wir sehen alle Formen der TBC. Lymphknotentuberkulose, Knochentuberkulose, die tuberkulöse Meningitis oder die abdominelle Tuberkulose. Warum grassiert hier die TBC? In einem winzigen, fensterlosen Raum leben etwa 6 Menschen zusammen. Sie schlafen alle auf einer Pritsche, von den Großeltern bis zum Säugling! Es gibt für 50 bis 100 Menschen eine Stehtoilette! Obst ist teuer und kommt recht selten auf den Speisezettel. Bei einem Wochenendbesuch mit den zuständigen Tuberkuloseschwestern bekommen wir die Lebensumstände unserer Patienten drastisch vor Augen geführt.

Durch die Luftverschmutzung, aber auch durch Begleiterkrankungen leiden viele unserer Patienten an chronischer Bronchitis und Asthma, mit Sprays und Tabletten können wir die Dyspnoe mildern. Hautkrankheiten wie Scabies, Läuse und allen voran die Tinea corporis sind täglich zu sehen in einem Ausmaß, das in Deutschland unvorstellbar ist. Auch das hängt mit den hygienischen und klimatischen Bedingungen zusammen und erfordert seitens der Ärzte und Übersetzerinnen immer wieder Hygienehinweise an die Patienten. Gerade die Frauen haben enorme Risiken, denn sie waschen sich an den öffentlichen Brunnen. Natürlich wird der farbenfrohe Sari (traditionelles Gewand) nicht ausgezogen, sondern gleich praktischerweise mit eingeseift. Die engen Oberteile und das feuchtwarme Klima tragen zur Hautbesiedelung mit Pilzen ordentlich bei. Außer der lokalen und systemischen Therapie raten wir zu einem schnellen Wechsel der nassen Kleidung.

Von Würmern und mehr

Würmer sind bei Kindern an der Tagesordnung. Wir versuchen, mehrmals im Jahr zu entwurmen. Säuglinge und Kleinkinder kommen mit Infekten, nicht selten aber steckt eine Pneumonie oder Bronchitis dahinter. Oft ist der Grund die Unterernährung. Einige Kinder, denen es sehr schlecht geht, müssen wir wegen Unterernährung oder bakterieller Infekte in unsere eigene Kinderstation aufnehmen. Diese ist in unserem Gebäude untergebracht und wir können sie dort täglich besuchen. Ein Kinderarzt übernimmt dort die Versorgung.

Immer wieder sehen wir an Rachitis erkrankte Kinder mit Gelenkdeformationen. Das liegt an den dortigen, oft religiösen Gewohnheiten, sich komplett zu verhüllen, in fensterlosen Zimmern zu leben und wenig an die Sonne zu gehen. Mädchen und Frauen erkranken dadurch an Osteomalazie, was wiederum zu Behinderung und Erwerbslosigkeit führt. Aber wir behandeln auch Chroniker mit Krankheiten, die man in Europa kennt: Diabetes mellitus, Hypertoniker, viele Patienten mit Apoplex und dessen Folgen sowie Epileptiker.

Der Tuberkulose entfliehen

An den Wochenenden sind wir in die indische Kultur abgetaucht und haben uns die zahlreichen noch vorhandenen Sehenswürdigkeiten Kalkuttas angeschaut. Wir begleiteten die zuständigen Impfschwestern in die Lehmziegelfelder in den Außenbezirken Kalkuttas am Fluss Hooghli, ein Arm des Ganges. Dorthin kommen Saisonarbeiter mit ihren Großfamilien für etwa 4 Monate von den Staaten Bihar oder Jharkhand im Norden. Die Familien gießen an einem Tag 1.000 (!) Lehmziegel in Formen und lassen diese 7 Tage in der Sonne trocknen. Danach werden sie in Öfen gebrannt und sind zum Bau fertiggestellt. Ab dem Alter von 12 Jahren müssen die Kinder mitarbeiten. Regelmäßig werden sie von unseren Impfschwestern durchgeimpft und die schwangeren Mütter, oft selbst noch Kinder, mit Vitaminen und Keksen sowie Eisenpräparaten versorgt. Die Familien freuten sich über das von uns mitgebrachte Obst.

Sehr dankbar sind ebenso die 25 Kinder in unserer Kindertuberkulosestation für einen Wochenendausflug mit allen German Doctors. Wir gehen in den Zoo von Kalkutta. Die Kinder genießen die wenigen Stunden außerhalb ihrer Station bei Softdrinks, Eis und Mittagessen, denn sie müssen oft monatelang dort in Therapie bleiben, sonst haben sie keine Chance, der Tuberkulose zu entfliehen.

German Doctors
Seit 1983 hat die NGO über 7.000 Hilfseinsätze mit mehr als 3.100 Medizinern unternommen. Die Ärzte arbeiten unentgeltlich in ihrem Jahresurlaub oder Ruhestand.

Informationen gibt es unter www.german-doctors.de.

Das Spendenkonto der NGO lautet: IBAN DE12 5206 0410 0004 8888 80, BIC GENODEF1EK1.



Autorin:
Dr. Verena Gröschel

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (13) Seite 76-78