Urologische Beschwerden finden sich regelmäßig auch unter den Patienten einer Hausarztpraxis. Dabei sind die verbreiteten Harnwegsinfektionen nur unter bestimmten Bedingungen als Notfall zu betrachten. Anders sieht es aus bei Prostatitis, akutem Harnverhalt oder akutem Skrotum. Wie man urologische Notfallsituationen korrekt einordnet und behandelt, soll im folgenden Beitrag dargestellt werden.

Harnwegsinfektionen

Harnwegsinfektionen (HWI) kommen v. a. bei weiblichen Patienten häufig vor. Die unkomplizierte untere HWI kann problemlos ambulant behandelt werden. Ein urologischer Notfall mit erforderlicher stationärer Einweisung kann jedoch dann eintreten, wenn es sich um eine obere oder eine komplizierte HWI mit einem erhöhten Risiko für eine Nierenbeteiligung (z. B. Pyelonephritis) oder andere Sekundärkomplikationen handelt (Übersicht 1) [1]. Als unkompliziert können aus klinischer Sicht nur HWI bei jungen Frauen ohne weitere Risikofaktoren gelten.

Das Leitsymptom der unteren HWI ist die Dysurie, welche oft mit Harndrang (Pollakisurie) vergesellschaftet ist. Bei der Untersuchung fällt ein suprapubischer Druckschmerz auf. Die Pyelonephritis äußert sich dagegen meist durch Flankenschmerzen und eine erhöhte Temperatur bzw. Fieber. Hinzu können häufig Schüttelfrost und eine mehr oder minder ausgeprägte Vegetativsymptomatik kommen. Klinisch lässt sich über der betroffenen Seite oftmals ein Nierenlagerklopfschmerz auslösen. Für die Diagnostik der HWI ist der Morgenurin am aussagekräftigsten. Bei der Urinteststreifenuntersuchung ist hierbei der Nachweis von Leukozyten obligat. Zusätzlich wandeln manche Erreger (z. B. Enterobacteriaceae in großer Keimzahl) Nitrat in Nitrit um und können so zur Erhärtung der Diagnose beitragen. Aufgrund des breiten Erregerspektrums ist es nicht möglich, allgemeingültige Diagnostik- und Therapievorschläge zu erteilen. Stattdessen sollte ein differenziertes Vorgehen gemäß dem vermuteten Krankheitsbild erfolgen (Tabelle 1).

Akute Prostatitis

Derzeit gibt es nur wenige Erhebungen zur Epidemiologie der Prostatitis, da die Symptome häufig unspezifischer Natur sind und so nicht selten eine Chronifizierung eintritt. Bei einer geschätzten Häufigkeit von 2 – 10 % der männlichen Bevölkerung kommt der Prostatitis jedoch eine große gesundheitspolitische Bedeutung zu [2]. So verursacht das Krankheitsbild in Nordamerika mehr urologische Arztbesuche als die benigne Prostatahyperplasie bzw. das Prostatakarzinom. Betroffene Patienten berichten, dass der Leidensdruck dieser Erkrankung dem der Angina pectoris, dem eines akuten M. Crohn-Schubs bzw. eines Z. n. Myokardinfarkt vergleichbar sei.

Die akute Prostatitis wird gewöhnlich durch Darmflora und insbesondere E. coli verursacht, welche sich massenhaft im Urin nachweisen lassen. Führende Leitsymptome sind abermals Dysurie und Pollakisurie, aber auch Harnabflussstörungen und eine schmerzhafte Ejakulation. Hinzu gesellen sich bei schwereren Akutverläufen nicht selten eine schmerzhafte Defäkation, Fieber und Schüttelfrost. Bei der klinischen Untersuchung imponiert eine schmerzhaft geschwollene Vorsteherdrüse. Die Diagnose wird durch eine positive 4-Gläserprobe bzw. eine Urinuntersuchung vor und nach Prostatamassage unterstützt. Die Therapie gestaltet sich oft langwierig über vier bis sechs Wochen mit lipophilen, gut gewebegängigen Antibiotika (z. B. Ciprofloxacin 2 x 500 mg, Cotrimoxazol 2 x 160/800 mg). Aufgrund einer verbesserten Compliance werden zunehmend auch Tetrazykline (z. B. Doxycyclin 1 x 100 – 200 mg) eingesetzt. Bei schweren Akutverläufen sollte die parenterale Antibiose mit Ampicillin 3 x 1 g und Gentamycin (Dosierung je nach Nierenfunktion) erwogen werden.

Nierensteine

Die Prävalenz für Steinleiden liegt in Europa bei 2 – 5 %, wobei Männer dreimal häufiger betroffen sind als Frauen. Am häufigsten tritt die Erkrankung zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf [3]. Das Rezidivrisiko beträgt knapp 30 %. Ursächlich kommen die in Übersicht 2 genannten Faktoren aufgrund einer Erhöhung der steinbildenden Harnanteile in Betracht. Daher kommt es zu einer gehäuften Inzidenz bei „Biergarten-Wetter“ (Hitze, Alkohol und purinreiche Kost).

Die Nephrolithiasis wird erst bei Steinabgang symptomatisch, besonders wenn die drei Engstellen der ableitenden Harnwege überwunden werden müssen. Aus der Engpasshöhe des abgehenden Steines ergibt sich auch die Hauptausstrahlung des typischerweise kolikartigen Schmerzes (Tabelle 2). Größere Steinabgänge sind häufig mit starker Unruhe und Kaltschweißigkeit sowie Übelkeit und Erbrechen assoziiert. Die Steinabgangswahrscheinlichkeit steigt, je weiter distal sich das Konkrement befindet. Steine von < 5 mm Durchmesser haben eine Abgangswahrscheinlichkeit von ca. 80 %.

Die weiterführende Diagnostik umfasst für gewöhnlich eine Abdomenleeraufnahme (Nieren-Ureter-Blase) zur Steinlokalisation sowie die Sonografie der Nieren und ableitenden Harnwege zum Ausschluss einer relevanten Harnaufstauung. In der neueren Entwicklung werden die o. g. Untersuchungen zunehmend durch eine sog. „Low-dose-Nativ-CT“ des Abdomens ersetzt, welche beide Fragestellungen bei sehr geringer Strahlenbelastung weniger untersucherabhängig zu beantworten vermag [4] (Abb. 1). Bei nicht verschließenden Steinen lässt sich in der Urinuntersuchung zusätzlich eine Mikrohämaturie nachweisen. Hinzu kommt ggf. die weitere diagnostische Abklärung des vermuteten Grundleidens. Die Behandlungsprinzipien der Nierenkolik beinhalten die Schmerzlinderung, die Förderung des Steinabgangs und die Therapie komplizierter Verläufe (Tabelle 3). Die stationäre Aufnahme des Patienten sollte bei großen Steinen, starken oder anhaltenden Kolikschmerzen und Infektionszeichen bzw. V. a. Urosepsis erfolgen.

Harnverhalt

Der akute Harnverhalt ist der häufigste urologische Notfall und betrifft vor allem Männer über 60 Jahre, meist aufgrund einer benignen Prostatahyperplasie. Eine weitere Ursache stellt der neurogene Harnverhalt bei ZNS-Systemerkrankungen (z. B. Multiple Sklerose) und akuten Bandscheibenvorfällen (z. B. Cauda-Syndrom) dar. Zusätzlich kommen der medikamentös bedingte Harnverhalt (z. B. Opioide) und nicht zuletzt der postoperative Harnverhalt im Rahmen einer Spinal- oder Epiduralanästhesie vor. Als Leitsymptom gilt allgemein der schmerzhafte Harndrang bei einer absoluten Blasenentleerungsstörung. Die Patienten sind häufig unruhig, geplagt und schweißgebadet. Bei der klinischen Untersuchung imponiert eine prallgefüllte Blase; die Prostata ist bei der rektal-digitalen Untersuchung oftmals vergrößert. Der akute Harnverhalt bedarf einer dringenden ärztlichen Behandlung mittels Anlage eines Blasenkatheters, um einen Harnaufstau mit konsekutiver Nierenschädigung zu vermeiden [5]. Bei der nachfolgenden Sonografie der Nieren und ableitenden Harnwege sollte eine Restharnbestimmung durchgeführt werden. Bei V. a. eine zugrundeliegende benigne Prostatavergrößerung sollte die medikamentöse Therapie mit einem α1-Adrenozeptorantagonisten (z. B. Tamsulosin 0,4 mg 1x tägl.) und ggf. einem Steroid-5α-Reduktasehemmer (z. B. Finasterid 5 mg 1x tägl.) begonnen werden. Die weitere ambulante urologische Vorstellung zu einem Katheterauslassversuch kann dann nach ca. sieben bis zehn Tagen erfolgen. Beim medikamentös oder postoperativ bedingten akuten Harnverhalt genügt häufig die kurzfristige Urinableitung mittels Blasenkatheter bis zum Abklingen der pharmakologischen Noxen.

Akutes Skrotum

Das akute Skrotum ist eine absolute Notfallsituation, welche unbehandelt zu Parenchymschädigung und Verlust des Hodens führen kann [6, 7]. Definiert ist das akute Skrotum als plötzlich auftretende heftige Schmerzen, Schwellung und Rötung im Bereich des Skrotums (Abb. 2). Aufgrund der kurzen Ischämietoleranz des Hodenparenchyms muss eine Hodentorsion als mögliche Ursache ausgeschlossen werden. Die Inzidenz der Hodentorsion, die in circa 25 % einem akuten Skrotum zugrunde liegt, beträgt 1 : 4 000. Weitere häufige Ursachen sind Entzündungen, direktes Hodentrauma, Systemerkrankungen und andere lokale Erkrankungen (Tabelle 4).

An erster Stelle steht die Anamnese, welche der Klärung des genauen zeitlichen Ablaufes, der Intensität und besonders des Beginns der Schmerzsymptomatik dient. Bis zum Kleinkindalter ist dies nur fremdanamnestisch möglich. Zusätzliche Fragen nach neu aufgetretenen Allgemeinsymptomen oder bekannten Erkrankungen vervollständigen die Anamnese (Übersicht 3). Des Weiteren sollte an lokale Erkrankungen gedacht werden, wie zum Beispiel eine bestehende Leistenhernie. Abschließend muss gezielt nach Zeichen einer B-Symptomatik z. B. im Rahmen einer hämatologischen Erkrankung, neu aufgetretenen Hämatomen oder Petechien gefragt werden.

Die sich anschließende klinische Untersuchung (Übersicht 4) umfasst die Inspektion des Skrotums und die orientierende Erhebung eines Gesamtstatus des Patienten. In der Palpation ist die Hodenlage, -größe und Schmerzhaf-tigkeit im Vergleich zur Gegenseite zu prüfen. Wenn möglich sollte versucht werden, Hoden und Nebenhoden getrennt zu beurteilen. Die Palpation des Leistenkanals und des Abdomens wird angeschlossen. Weiterhin sollte untersucht werden, ob sich der Kremasterreflex auslösen lässt. Die Bedeutung des „Gerschen Zeichens“, das eine Einziehung der Skrotalhaut beschreibt und auf ein Frühstadium einer Hodentorsion hinweisen kann, und des "Prehn-Zeichens", welches eine Schmerzlinderung durch Anheben des betroffenen Hodens beschreibt, wird heutzutage infrage gestellt, da eine zuverlässige Prüfung im Kindesalter schwierig erscheint.

Zur entscheidenden radiologischen Untersuchungsmodalität bei Erkrankungen im Skrotalbereich hat sich in den letzten Jahren die Sonografie entwickelt, wobei die Zuverlässigkeit zum Ausschluss einer Hodentorsion unterschiedlich interpretiert wird und stark von der Erfahrung des Untersuchers sowie der technischen Qualität des Untersuchungsgerätes abhängt. In der Frage, ob eine mögliche Schädigung des Hodens vorliegen könnte, dürfen jedoch keine Kompromisse eingegangen werden. Daher sollte in Zweifelsfällen eine operative Freilegung des Hodens angestrebt werden. Im Falle einer nachgewiesenen Hodentorsion muss dann eine beidseitige Orchidopexie erfolgen, da das Risiko für eine zukünftige kontralaterale Hodentorsion mit bis zu 30 % beziffert wird. Liegen hingegen Anzeichen einer Epididymitis oder Orchitis vor, sollte eine antibiotische Therapie – ähnlich wie zuvor für die akute Prostatitis beschrieben – ergänzt durch supportive Maßnahmen, also Bettruhe, Hochlagerung und Kühlung, begonnen werden.


Literatur:
1. Hooton TM, Scholes D, Hughes JP, et al.: A prospective study of risk factors for symptomatic urinary tract infection in young women. N Engl J Med 1996; 335: 468–74.
2. Krieger JN, Ross SO, Riley DE: Chronic prostatitis: epidemiology and role of infection. Urology 2002; 60(6) Suppl.: 8–12.
3. Müller S, Hofmann R, Köhrmann K, Hesse A: Epidemiologie, instrumentelle Therapie und Metaphylaxe des Harnsteinleidens.Epidemiologie, instrumentelle Therapie und Metaphylaxe des Harnsteinleidens. Dtsch Arztebl 2004; 101(19): A-1331 / B-1101 / C-1065.
4. Christie A, Thoeny H, Vock P: Urolithiasis-Computertomographie zum Nachweis von Nierensteinen – Ersatz der intravenösen Urographie. Schweiz Med Forum 2008; 8(32): 574–575.
5. Altwein J: Urologie. Enke-Verlag, S. 34, 267–268, 413–415, 437–439.
6. Günther P, Rübben I: Akutes Skrotum im Kindes- und Jugendalter. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(25): 449-58.
7. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie: Das akute Skrotum. Last accessed on 14 Januar 2014 available at: http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/006-023l-S1_Aktues_Skrotum.pdfhttp://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/006-023l-S1_Aktues_Skrotum.pdf



Autor:

Dr. med. Patrick D. Dißmann, M.Sc., Pg.D., Detmold

Emergency Medicine (UK), Sportmedizin, Notfallmedizin Zentrale Notaufnahme Klinikum Detmold 32756 Detmold

Interessenkonflikte: keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (5) Seite 16-22