Chronische Schmerzen sind etwas Häufiges im Alter. Die altersassoziierten körperlichen Veränderungen und die Komorbiditäten können zu Problemen in der Diagnostik und Therapie von Schmerzen führen. Diese kurze Übersicht will diese Probleme sowie mögliche Lösungen darstellen.

Anhaltender bzw. chronischer Schmerz ist im Alter häufig. Verschiedene Untersuchungen an unterschiedlichen Populationen haben chronische Schmerzen bei bis zu 75 % der älteren Menschen festgestellt [5, 10, 11].

Degenerative muskuloskeletale Erkrankungen sind sicherlich die häufigste Ursache für Schmerzen. Weitere häufige Gründe für Schmerzen im Alter sind Tumorerkrankungen, diabetische Polyneuropathie, periphere arterielle Verschlusskrankheit, postherpetische Neuralgie, Trigeminusneuralgie, Arteriitis temporalis und Polymyalgia rheumatica. Bei den Kopfschmerzen sind mehrere Aspekte zu bedenken. Spannungskopfschmerzen sind weiterhin die häufigste Form des primären Kopfschmerzes, wohingegen Migräne im höheren Lebensalter deutlich seltener ist [8].

Das Risiko für symptomatische Formen bei ernsthaften Erkrankungen ist ab dem 65. Lebensjahr um das Zehnfache erhöht [8]. Zudem ist aufgrund der Multimorbidität und der oft damit einhergehenden Polypharmazie häufiger mit Medikamenten-induzierten Kopfschmerzen zu rechnen [2].

Merke: Chronische Schmerzen nehmen im höheren Alter zu.

Die Schmerzempfindung wird durch Vereinsamung, Depression und das Erleben des Schmerzes als schicksalhafte Veränderung beeinflusst. Letzteres führt dazu, dass Schmerzen von älteren Menschen seltener spontan berichtet werden. Deshalb sollte ärztlicherseits gezielt danach gefragt werden.

Merke: Nicht auf den spontanen Bericht der Patienten verlassen, sondern das Thema unbedingt aktiv ansprechen, z. B. mit der Frage "Leiden Sie an Schmerzen?"

Zu berücksichtigen ist dabei die enge Assoziation zwischen Schmerz und Depression. Ältere Menschen mit chronischen Schmerzen haben deutlich häufiger Schlafstörungen als die ohne Schmerzen. Schlafstörungen wiederum verstärken das Schmerzerleben und beeinträchtigen die Stimmung. Auch Depressionen verstärken das Schmerzerleben und sie sind mit katastrophisierendem Denken, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Passivität vergesellschaftet. So kann ein Circulus vitiosus von Schmerz, Depression und Schlafstörung entstehen.

Besonders problematisch ist das Erkennen und Behandeln von Schmerzen bei Patienten mit Demenz. Schmerzen bei Demenzkranken werden seltener erkannt. Aus Pflegeheimen wird berichtet, dass die Häufigkeit von Schmerzdiagnosen bei Demenzpatienten nur ein Drittel bis die Hälfte der Diagnosen bei kognitiv wenig beeinträchtigten Personen beträgt [13]. Zudem ist auch die Verordnung von Analgetika bei Demenzpatienten deutlich seltener. Das Problem wird dadurch verstärkt, dass es keine validierten Messinstrumente für Schmerz bei Dementen gibt. Schmerz kann neuropsychiatrische Symptome bei Dementen triggern oder verstärken [4]. So können z. B. Lautäußerungen, Gesichtsausdruck und Körperbewegungen Schmerz ausdrücken. Agitation, Aggression, Apathie, Schlaf- und/oder Essstörungen sind weitere mögliche Anzeichen für Schmerzen. Neben der Befragung von Angehörigen und Pflegenden sollte hierzu ein strukturiertes Schmerzinterview benutzt werden. Zudem sollte der Patient gebeten werden, die Lokalisation des Schmerzes an seinem eigenen Körper zu zeigen, indem er die Region mit dem Finger umfährt.

Merke: Depression und Demenz sind häufige Begleiterkrankungen, die in der Diagnostik und Therapie von chronischen Schmerzen berücksichtigt werden müssen.

Therapieziele

Neben der direkten Schmerzreduktion sind eine Verbesserung der Lebensqualität und der Funktionalität wichtige Ziele der Schmerztherapie. Generell ist bei der Behandlung chronischer Schmerzen zu beachten, dass die Patienten über die Natur der Erkrankung aufgeklärt werden müssen. Im Hinblick auf die Compliance muss den Patienten die Wirkung der einzusetzenden Medikamente erklärt werden. Hierbei ist vor allem darauf einzugehen, dass bei vielen Medikamenten der zu erwartende Effekt erst nach einigen Wochen der Behandlung unter einer höheren Dosierung eintritt.

Bis zu diesem Zeitpunkt können die Nebenwirkungen das Bild dominieren. Zudem besteht die zu erwartende Wirkung in der Regel in einer Reduktion der Schmerzen um ca. 50 bis 80 % und nicht in einer Schmerzfreiheit. Die Beachtung dieser Vorschläge führt über eine bessere Compliance zu einer erhöhten Chance auf einen Therapieerfolg. Entsprechend dem Konzept, dass über periphere oder zentrale Veränderungen das Schmerzgedächtnis aktiviert wird, sollte die Therapie möglichst früh begonnen werden, um einer Chronifizierung der Schmerzen entgegenzuwirken.

Merke: Schmerzreduktion und eine Verbesserung der Lebensqualität und der Funktionalität sind wichtige Ziele der Schmerztherapie.

Nichtmedikamentöse Therapie

Ein Training der körperlichen Aktivität hat auch eine positive Auswirkung auf das Schmerzerleben. Da die Psyche sowohl im Schmerzerleben als auch in der Aufrechterhaltung des Schmerzes eine relevante Rolle spielt, sind verhaltensmedizinische Therapieverfahren ein wichtiger Baustein in der Schmerztherapie. Zudem werden Verfahren, die ein Umlernen oder eine Veränderung im schmerzauslösenden oder -aufrechterhaltenden Verhalten bewirken, häufig und durchaus erfolgreich angewendet. Dazu gehören Entspannungstherapie, operante Schmerztherapie, Biofeedback und kognitiv-behaviorale Therapie. Ältere Patienten sind bei adäquater kognitiver Fähigkeit prädestiniert für die multimodale Schmerztherapie, da diese mit aktivierenden und verhaltensmedizinischen Therapien und mit etwas weniger Medikamenten durchaus zum Ziel der Schmerzreduktion kommen kann [3].

Merke: Die nichtmedikamentöse Therapie spielt eine wichtige Rolle bei chronischen Schmerzen im Alter.

Medikamentöse Therapie

Dosierung

Die mit zunehmendem Alter verringerte hepatische und renale Elimination wirkt sich auf die Pharmakokinetik und die Pharmakodynamik aus. Das Verteilungsvolumen hydrophiler Medikamente wie z. B. Morphin nimmt aufgrund des verringerten Anteils des Gesamtkörperwassers ab. Die Einzelgabe führt somit zu höheren Spitzenkonzentrationen. Deshalb sollten die oral applizierbaren Opioide möglichst in retardierter Zubereitung verschrieben werden. Zudem sollte man bei alten Patienten mit niedrigen Dosierungen starten, langsam und vorsichtig steigern und im Vergleich zu jüngeren Patienten häufiger geringere Höchstdosierungen wählen (Tabelle 1). Wenn möglich ist die orale Applikation zu bevorzugen, da diese die größte Sicherheit hinsichtlich der Resorption bietet. Zudem ist darauf zu achten, dass die medikamentöse Schmerztherapie zu festen Zeitpunkten eingenommen wird.

Merke: Beginn mit einer niedrigen Dosis, langsame Steigerung.

Nebenwirkungen

Die nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) sind sicherlich die am häufigsten eingenommenen Schmerzmittel. Dabei ist zu bedenken, dass ein Großteil der eingenommenen NSAR frei verkäuflich in den Apotheken erworben und von den Patienten deshalb oft nicht erwähnt wird. Die typischen Nebenwirkungen wie das erhöhte kardiovaskuläre Risiko, die Nierenfunktionsstörung und die Magen-Darm-Ulcera treten im Alter mit noch mehr Auswirkungen auf [14].

Trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin, die in der Therapie von neuropathischen Schmerzen einen festen Stellenwert haben, sind bei älteren Menschen aufgrund ihrer vielen Nebenwirkungen (AV-Block, Glaukom, Miktionsstörungen, Delir, kognitive Störungen) nur nach gründlicher Abwägung und mit entsprechenden Kontrollen einzusetzen. Bei den als Koanalgetika einzusetzenden Antikonvulsiva ist vor allem auf Ataxie, Schwindel und Gangstörung zu achten, da diese das Sturzrisiko erhöhen [9]. Zudem besteht auch bei Carbamazepin und Gabapentin ein geringes Risiko für eine Antiepileptika-induzierte Enzephalopathie [6].

Die Opioide erfordern besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich der Vigilanz und der Atemfunktion. Obstipation, eine typische und häufige Nebenwirkung der Opioide, ist ein Symptom, welches ältere Menschen schon ohne Opioide häufig aufweisen. Deshalb ist es umso wichtiger, durch ballaststoffreiche Ernährung und ausreichende Flüssigkeitszufuhr dem entgegenzuwirken. Da das in der Regel nicht ausreicht, muss eine begleitende Behandlung mit Lactulose, Natriumpicosulfat oder Bisacodyl erfolgen. Zudem ist vor allem bei den nichttumorbedingten Schmerzen im Verlauf die Indikation der Opioidtherapie zu überprüfen und ggf. diese zu beenden [7].

Merke: Nebenwirkungen sind im höheren Lebensalter häufiger.

Schluckstörungen

Ein weiteres Problem ergibt sich in der Schmerztherapie durch Schluckstörungen, die ebenfalls im Alter häufig sind [1]. Für Patienten, die feste Darreichungsformen wie Tabletten oder Kapseln nicht schlucken können, aber mit flüssigen Darreichungsformen zurechtkommen, stehen mit Ibuprofen-Saft, Novaminsulfon-Tropfen, Pregabalin-Lösung und Tropfen von Tilidin/Naloxon Alternativen zur Verfügung. Weitere Alternativen stellen die Suppositorien von Paracetamol und die Schmelztabletten von Mirtazapin sowie die Opiatpflaster dar. Bei lokal umgrenzten neuropathischen Schmerzen kann man mit lokal applizierbaren Substanzen (5 % Lidocain-Pflaster, 8 % Capsaicin-Pflaster) den Schmerz signifikant lindern und somit systemisch zu verabreichende Analgetika einsparen [12].


Literatur:
1. Argoff CE, Kopecky EA (2014) Patients with chronic pain and dysphagia (CPD): unmet medical needs and pharmacologic treatment options. Curr Med Res Opin 30: 2543-2559.
2. Block F (2012) Medikamentös-induzierte Kopfschmerzen. Akt. Neurol. 39: 351-357.
3. Block F, Gabriel J (2010) Multimodale Schmerztherapie in der Neurologie. Akt Neurol 37:501-504.
4. Flo E, Gulla C, Husebo BS (2014) Effective pain management in patients with dementia: benefits beyond pain? Drugs Aging 31: 863-871.
5. Fox PA, Raina P, Jadad AR (1999) Prevalence and treatment of pain in older adults in nursing homes and other long-term care institutions: a systematic review. Can Med Assoc J 160:329-333.
6. Hansen N, Finzel M, Block F (2010) Antiepileptika-induzierte Enzephalopathie. Fortschr Neurol Psychiat 78: 590-598.
7. Häuser W, Bock F, Engeser P et al. (2014) Klinische Leitlinie: Langzeitanwendung von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen. Dtsch Ärtzebl. 111: 732-740.
8. Pascual J, Berciano J (1994) Experience in the diagnosis of headaches that start in the elderly people. J Neurol Neurosurg Psychiatry 57: 1255-1257.
9. Pickering G (2014) Antiepileptics for post-herpetic neuralgia in the elderly: current and future perspectives. Drugs Aging 31: 653-660.
10. Rastogi R, Meek BD (2013) Management of chronic pain in elderly, frail patients: finding a suitable, personalized method of control. Clin Interv Aging 8: 37-46.
11. Rashiq S, Dick BD (2009) Factors associated with chronic noncancer pain in the Canadian population. Pain Res Manag 14: 454-460.
12. Sawynok J (2014) Topical analgesics for neuropathic pain in the elderly: current and future prospects. Drugs Aging 31: 853-862.
13. Snow AL, Shuster JL (2006) Assessment and treatment of persistent pain in persons with cognitive and communicative impairment. Clin Psychol 62: 1379-1387.
14. Wehling M (2014) Non-steroidal anti-inflammatory drug use in chronic pain conditions with special emphasis on the elderly and patients with relevant comorbidities: management and mitigation of risks and adverse effects. Eur J Clin Pharmacol 70: 1159-1172.


Autor:

Prof. Dr. med. Frank Block

Facharzt für Neurologie, spezielle Schmerztherapie, spezielle neurologische Intensivmedizin
Neurologische Klinik der HELIOS Kliniken Schwerin, 19049 Schwerin

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (11) Seite 21-24