Weltweit gehen immer mehr Menschen auf Reisen – gewollt oder ungewollt –, auch in geografisch entfernte Länder, was unter anderem dazu führt, dass sich lokale Krankheitsrisiken zu globalen Bedrohungen entwickeln können. Reisende sollten sich daher rechtzeitig über die jeweiligen Risiken informieren, um die eigene Gesundheit, aber auch ihr Umfeld zu schützen, damit Urlaubsreisen in guter Erinnerung bleiben. Was sollte der Hausarzt ansprechen? Wann sind welche präventiven Maßnahmen zu empfehlen? Der Tropen- und Reisemediziner Professor Dr. med. Christoph Hatz vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut Basel gibt Auskunft.


Herr Hatz, zu Beginn eine generelle Frage: Wie definieren Sie Reisemedizin und was gehört für Sie zu einer reisemedizinischen Beratung?

Prof. Hatz: Bei der Reisemedizin geht es in erster Linie um die Prävention von Gesundheitsstörungen jeglicher Art, die Reisende unterwegs erleiden können. Dazu gehört neben der Impfprophylaxe auch der Mückenschutz, denn viele Mücken übertragen Krankheiten, gegen die es oft noch keine Impfungen gibt. Außerdem thematisieren wir die Problematik der Sport- und Verkehrsunfälle in einem unbekannten Umfeld wie zum Beispiel Thailand, wo die Leute häufig auf Rollern unterwegs sind und schnell einmal auf der falschen Seite fahren. Je nach Reiseziel kommen noch Informationen zum Umgang mit speziellen klimatischen Bedingungen, zum Sonnenschutz sowie zu sexuell übertragbaren Krankheiten dazu. Die Reisemedizin ist also ein außerordentlich breites Gebiet. Neu kommt jetzt die Migrationsmedizin hinzu – hier geht es ja auch um Menschen, die unterwegs sind, wenn auch aus anderen Gründen.


Wie lange vor Reiseantritt sollte eine solche Beratung – samt Impfungen, falls erforderlich – erfolgen?

Prof. Hatz: Das hängt vom Reiseziel und der Reisedauer ab. Beides entscheidet auch über eventuell notwendige Impfungen. In der Regel reicht es, sich etwa zwei Wochen vor der Abreise beraten zu lassen. Eine Gelbfieberimpfung, die in gewissen Ländern verlangt wird, muss zehn Tage alt sein. Damit ist ein klares Zeitlimit – nämlich mindestens zehn Tage vor Abreise – vorgegeben. Dagegen kann man eine Hepatitis-A-Impfung, die gängigste Impfung in der Reisemedizin, sogar am Abreisetag geben. Sollte man sich am nächsten Tag am Reiseziel anstecken, greift bereits der Impfschutz, wenn die Krankheit nach 4 bis 6 Wochen ausbrechen würde. Auch bei Auffrisch- oder Komplettierungsimpfungen, wie zum Beispiel Tetanus, Diphtherie oder Polio und Masern, ist ein sofortiger Impfschutz gegeben, da es sich um die 2. oder 4. Impfung handelt.


Kann die übliche Grundimmunisierung auf Basis des Impfplans in der Regel bei jedem Reisenden vorausgesetzt werden?

Prof. Hatz: Das ist genau der Punkt. Wir haben in der Reisemedizin insbesondere bei den Erwachsenen auch die Aufgabe, die Durchimpfung zu überprüfen. Kleinkinder und junge Schulkinder sind in der Regel hervorragend grundimmunisiert, dann werden die Lücken bis zur Adoleszenz immer größer. Eine reisemedizinische Beratung ist oft der Anlass für registrierte Impflücken. Die Grundimmunisierung sollte dann unbedingt vervollständigt werden. Ganz wichtig wird das bei den Masern! Gerade unter den 20- bis 40-Jährigen sind viele nicht gegen Masern geimpft und haben die Krankheit auch nie durchgemacht, machen jedoch Fernreisen und können das Virus so unbewusst in andere Länder exportieren. Hier ist eine Masernimpfung dringend anzuraten. Wie wichtig das ist, zeigt der Fall einer jungen Frau, die sich Weihnachten 2015 noch zu Hause mit Masern infiziert hat und während der Inkubationszeit zu einer Ferienreise nach Kolumbien aufgebrochen ist. Dort ist sie an Masern erkrankt. Wegen dieser Touristin wurde ein ganzer Distrikt unter Quarantäne gestellt. Genau das kann der Hausarzt durch eine gute reisemedizinische Beratung verhindern, wobei dazu grundsätzlich die Kontrolle des Impfausweises gehört.


Sind zwischen den einzelnen Impfungen zeitliche Abstände einzuhalten oder kann man den Organismus mit verschiedenen Antigenen gleichzeitig konfrontieren?

Prof. Hatz: Die gleichzeitige Gabe von 5 oder 8 Impfungen ist kein Problem. Dass das Immunsystem dadurch geschwächt würde, ist ein Mythos – es wird locker damit fertig. Dennoch fühlen sich Personen, die zeitgleich mehrere Impfungen erhalten haben, manchmal müde und abgeschlagen, was teilweise auch psychisch bedingt sein kann. Wir tragen dem Rechnung und geben in aller Regel maximal 3 bis 5 Impfungen gleichzeitig und informieren die Geimpften, dass sie sich kurzfristig etwas müde fühlen könnten.


Werten Sie vorhandene Infekte der oberen Luftwege als Kontraindikation für Impfungen?

Prof. Hatz: Nein! Wenn kein Fieber über 37,5° C vorliegt, sind Impfungen jederzeit und ohne Bedenken möglich. Banale Infekte dieser Art stellen prinzipiell keine Kontraindikation dar.


Je nach Reiseziel und Aufenthaltsdauer können noch andere spezifische Impfungen notwendig und/oder sinnvoll sein. Welche sind gesetzlich vorgeschrieben?

Prof. Hatz: Die Gabe spezieller Impfungen muss mit jedem Reisenden individuell abgeklärt werden, denn das jeweilige Risiko ist abhängig von Reisedestination, Reisedauer und Reisestil. Eine Ausnahme ist die Gelbfieberimpfung. Aufgrund internationaler Regelungen ist diese Impfung (die übrigens nur von zertifizierten Zentren und Spezialärzten vorgenommen werden darf ) für die Einreise in bestimmte Länder verpflichtend – sei es, weil die Krankheit im Land übertragen wird oder weil man verhindern will, dass sie eingeschleppt wird. Geimpft sein muss zum Beispiel, wer von Kenia nach Indien reist. In Asien gibt es bis jetzt kein Gelbfieber, was erstaunt, da es dort Aedes-Mücken gibt. Am Beispiel Südamerika sieht man, wie rasch sich Gelbfieber ausbreiten kann: São Paulo oder Rio sind Orte, die wir seit Jahrzehnten nicht mehr mit Gelbfieber in Zusammenhang gebracht hätten – jetzt sind sie betroffen.

Gemäß der offiziellen Stellungnahme der WHO gilt der Impfschutz nach einer einmaligen Gelbfieberimpfung jetzt lebenslang.


Darüber hinaus gibt es noch weitere reisemedizinische Impfungen, die sinnvoll sein könnten. Wie ist das zum Beispiel mit Hepatitis oder Meningokokken-Meningitis?

Prof. Hatz: Die Hepatitis-A-Impfung macht auf jeden Fall Sinn und ist unbestritten – das Virus kann sowohl in einer Straßenküche wie im Restaurant eines 5-Sterne-Hotels übertragen werden. Was Hepatitis B betrifft, weise ich die Leute immer darauf hin, dass das größte Ansteckungsrisiko von sexuellen Kontakten ausgeht. Für die aktive Immunisierung gegen Hepatitis-A- und -B-Viren steht im Übrigen ein Kombinationsimpfstoff zur Verfügung. Für Hepatitis C ist dagegen noch kein Impfstoff verfügbar. Im Gegensatz zu Hepatitis ist das Risiko für einen Reisenden, sich mit einer Meningokokken-Meningitis anzustecken, extrem klein. Das Problem ist der sehr rasche Verlauf der Krankheit mit hohem Risiko, daran zu sterben. Deshalb empfehlen wir diese Impfung für Westafrikareisende relativ großzügig.


Und wann bzw. in welchen Ländern sind Impfungen gegen Typhus, Cholera, Tollwut und die Japanische Enzephalitis empfehlenswert?

Prof. Hatz: Für Typhus und Cholera existieren jeweils gute bis sehr gute oral zu applizierende Impfstoffe. Das Risiko für Reisende ist jedoch in der Regel klein. Aber für jemanden, der beispielsweise überall alles isst, ist eine Typhusimpfung sicher sinnvoll. Den Choleraimpfstoff erhalten in erster Linie Menschen, die aus humanitären Gründen in Krisengebiete reisen. Und was Tollwut betrifft, so sollte eigentlich jeder Reisende dagegen grundimmunisiert sein. Das Problem ist, dass dies bis dato drei Impfungen erfordert, die zu leichten Schmerzen, ganz selten auch zu etwas Fieber führen können, und recht teuer sind. Damit ist jedoch der Basisschutz gegeben – außer man wird von einem Hund gebissen, dann sind noch zwei Impfungen fällig.


Wäre der Impfstoff in den fraglichen Ländern verfügbar?

Prof. Hatz: Ja. Was es dort allerdings nicht gibt, sind die Immunglobuline, die Ungeimpfte benötigen, wenn sie mit Tollwut in Kontakt kommen! Und das ist ein Grund, weshalb wir hier die Grundimmunisierung empfehlen.

Angesprochen hatten Sie noch die Japanische Enzephalitis. Dokumentiert sind hier ein paar wenige Erkrankungsfälle pro Jahr bei etwa 63 Millionen Asien-Reisenden. Die Erkrankung ist also extrem selten, aber extrem gefährlich, denn bei einem von zehn Erkrankten kann eine neurologische Erkrankung entstehen, die entweder tödlich verläuft oder zu bleibenden Schäden führen kann. Nur bei einem knappen Drittel heilt sie ohne Folgeschäden. Es ist also ein Abwägen. Wir sprechen hier von zwei Impfungen vor der Abreise, die zusammen ca. 200 Euro kosten. Die Frage ist, ob ein junger Reisender, der mehrere Monate durch Südostasien reist, diesen Betrag einsetzen will – dort ist die Impfung ja offiziell empfohlen. Rein rational würde ich ihm anraten, sich für das Geld einen guten Helm zu kaufen, denn er wird mit großer Wahrscheinlichkeit auf einem Motorrad unterwegs sein. Und das Risiko, in diesen Ländern durch einen Verkehrsunfall zu sterben, ist vermutlich um ein Vielfaches höher, als jemals an einer Japanischen Enzephalitis zu erkranken.


Wie schätzen Sie das FSME-Risiko ein? FSME ist ja bei uns endemisch. Würden Sie hier eine Impfung empfehlen?

Prof. Hatz: Das Risiko ist zwar höher als allgemein angenommen, aber es kommt darauf an, wohin man geht. Für jemanden in Freiburg, der im Schwarzwald viel im Wald unterwegs ist, ist sie auf jeden Fall sinnvoll. Andere Gebiete in Deutschland haben ein höheres Risiko. Und je weiter östlich die Reise geht, bis Russland oder in die Mongolei, desto gefährlicher ist die Krankheit; die Impfung scheint jedoch zu wirken, wie entsprechende Studien zeigen. Es handelt sich hier um zwei Grundimpfungen, denen nach 5 bis 9 Monaten eine 3. Impfung folgt.


Seit einigen Jahren müssen sich insbesondere Fernreisende zunehmend auf bisher unbekannte Krankheitsrisiken einstellen. Beispiele sind das Dengue-Fieber, das sich mit über 300 Millionen Krankheitsfällen inzwischen weltweit ausgebreitet zu haben scheint, sowie die Zikaepidemie in Süd- und Mittelamerika, die mit rund 1,5 Millionen infizierten Menschen und ihren gravierenden Folgen für die ungeborenen Kinder infizierter schwangerer Frauen mehr als besorgniserregend ist. Gibt es inzwischen sinnvolle Möglichkeiten, sich hier zu schützen?

Prof. Hatz: Das Dengue-Fieber, die weltweit am weitesten verbreitete Arbovirose, ist zwar eine schwere, in der Regel aber nicht tödliche Erkrankung. Zu den Arbovirosen gehört auch Chikungunya, das wie Dengue und Zika ebenfalls durch die tagaktiven Aedes-aegypti-Mücken (Tigermücken) übertragen wird. Chikungunya – mein mir persönlich unsympathischstes Virus – ist höchst unangenehm und kann schlimmstenfalls zu jahrelang andauernden Gelenkschmerzen führen. Zika ist dagegen eine vergleichbar harmlose Erkrankung; für junge schwangere Frauen und deren ungeborene Kinder kann diese Virusinfektion jedoch eine Katastrophe und eine dauerhafte, extreme Belastung sein. In Südamerika ist die Zika-Epidemie stark zurückgegangen, doch Reisende können sich nach wie vor anstecken.


Wie weit ist die Entwicklung von Impfstoffen gegen Dengue und/oder Zika? Sind hier bereits Fortschritte erzielt worden?

Prof. Hatz: Gegen Dengue wurde ein Lebend-impfstoff entwickelt, der allerdings schwere Nebenwirkungen hat, wie ein breiter Einsatz in Endemieländern gezeigt hat. Die Impfung wirkt zwar, ist aber nur für Personen zu verantworten, die Dengue durchgemacht haben. Dieser Impfstoff ist für Reisende also leider untauglich. Derzeit sind noch zwei weitere Impfstoffe in Vorbereitung, und wir hoffen, dass zumindest einer der beiden nicht solche Probleme verursacht. Im Moment sieht es jedoch nicht gut aus. Gegen Chikungunya sind zurzeit nur sehr experimentelle Impfstoffe vorhanden; die Entwicklung eines Zika-Impfstoffs läuft derzeit auf Hochtouren. Bis Impfstoffe für die Reisemedizin einsatzfähig sind, muss in der Regel mit mehr als 5 bis 10 Jahren gerechnet werden.


Also bleibt nur der Mückenschutz, gegebenenfalls kombiniert mit körperbedeckender Kleidung. Allerdings scheint es, dass die Mücken gegen diese Mittel sukzessive resistent werden.

Prof. Hatz: Mückenschutz ist zurzeit alles, was wir haben, daher steht er für mich in der reisemedizinischen Beratung immer an erster Stelle. Zum Beispiel DEET (Diethyl-m-toluamid)-haltige Sprays für die Haut wirken nach wie vor zuverlässig gegen Mücken. Man muss sich jedoch alle paar Stunden neu einsprühen, da das Mittel durch den Schweiß entfernt wird. Außerdem bin ich ein Verfechter der Kleiderimprägnierung mit pyrethroidhaltigen Insektiziden, die selbst nach ein- bis zweimaligem Waschen noch wirksam ist. Aufgrund zunehmender Resistenzen brauchen wir jedoch neue Insektizide, die sich auch für das Imprägnieren der Kleidung eignen – entsprechende Forschungsarbeiten sind im Gange.


Geben Sie Ratsuchenden spezielle Empfehlungen?

Prof. Hatz: Ich empfehle Pyrethroide für die Kleidung, zusammen mit einem Repellens für die Haut.


Zu den unangenehmeren Erlebnissen, die sicher jeder Reisefreudige schon durchgemacht hat, gehören ja Durchfallerkrankungen, die ich hier noch ansprechen möchte. In diesem Zusammenhang konnte man in der letzten Zeit häufiger über multiresistente Darmkeime (ESBL) lesen, die Touristen zum Beispiel durch Essen verunreinigter Lebensmittel aufnehmen und dann unwissentlich von ihren Fernreisen mitbringen. Wie kann man das vermeiden?

Prof. Hatz: Das Einschleppen multiresistenter Erreger – häufig lässt sich das nach Indien-Reisen beobachten – ist sehr besorgniserregend. Die größte Angst ist nicht, dass wir die Reisedurchfälle nicht behandeln könnten, sondern dass diese Bakterien ihre Resistenzgene über einen Plasmidtransfer auf die Colibakterien übertragen, die dann zum Beispiel nicht mehr behandelbare Harnwegsinfekte auslösen können. Deshalb sollte jeder Hausarzt bei einem Infekt bzw. Harnwegsinfekt den Patienten nach einer Reiseanamnese fragen. Reisende können sich nur schwer vor solchen Keimen schützen. Die alte Devise "Cook it, boil it, peel it or forget it" hat sich hier leider als wenig wirksam erwiesen. Trotzdem muss man sich jeweils gut überlegen, wo man was zu sich nimmt.


Zu guter Letzt noch eine Frage zur Malariaprophylaxe: Hat sich hier – zum Beispiel hinsichtlich einer Impfung – Neues ergeben?

Prof. Hatz: Zur Malariaprophylaxe in Hochrisikogebieten haben wir derzeit drei Medikamente zur Verfügung. Es gibt zwar Resistenzen gegen deren Wirkstoffe, sie sind jedoch noch nicht problematisch. Was die Impfung betrifft, so wage ich jetzt keine Prognose zu stellen – wir haben zwar einen Impfstoff, aber noch keine Daten, die seine Anwendung bei Reisenden erlauben würden.


Besten Dank für das informative Gespräch.


Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus doxmedical 2/2018



Das Interview führte
Dr. rer. nat. Claudia Reinke



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (11) Seite 47-50