Die Kompression gilt als das Mittel der Wahl bei der Behandlung der chronisch-venösen Insuffizienz (CVI). Doch die Compliance ist – wie Untersuchungen belegen – unbefriedigend. Eine Alternative bietet bis zu einem gewissen Grad die Therapie mit monografiekonformen Rosskastaniensamen-Extrakten (RKSE).

Bei der CVI ist aufgrund einer Bindegewebsschwäche eine Überdehnung der Venenwände typisch. Dabei werden die Venenwände durchlässiger: Durch die überdehnten Venenwände treten jetzt Proteine aus dem Blut ins umgebende Gewebe und ziehen osmotisch bedingt Flüssigkeit aus den Venen nach. Es kommt zur Ödembildung. Gefördert wird dieser Prozess durch die lysosomalen Enzyme. Denn aus den erweiterten Venenwänden werden auch Lysosomen freigesetzt, die ihre lysosomalen Enzyme ins Blut abgeben. Diese Enzyme greifen jetzt das Kollagenstützgeflecht (Glykokalyx) der Venenwände an und bauen es teilweise enzymatisch ab, ein Prozess, der vor allem in den kleinsten Venen (Kapillargefäße) stattfindet. Dadurch werden die Venenwände noch dünner, ihre Elastizität lässt weiter nach und die Ödem-Bildung wird gefördert. Bei Venenkranken liegt die Konzentration lysosomaler Enzyme im Blut 60 bis 120 % über dem Normalwert.

Positiv-Monografie für den standardisierten Rosskastanien-Extrakt

Die Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) ist ein prächtiger Baum mit aufspringenden Kapselfrüchten. Sie enthalten die von einer braunen Schale umgebenen Samen. Als Droge werden die von der Schale befreiten und getrockneten Samen verwendet. In den Samen der Rosskastanie ist der Inhaltsstoff Aescin – ein Saponingemisch vom Triterpenglykosid-Typ – zwischen 3 und 10 % enthalten. Das Besondere an der Monografie "Hippocastani semen" (Rosskastaniensamen) ist, dass sie sich weniger auf die Droge bezieht, sondern auf einen auf Aescin standardisierten Rosskastaniensamen-Extrakt (RKSE). Die Standardisierung garantiert eine konstant bleibende Aescin-Konzentration im Extrakt und damit einen gleichbleibenden therapeutischen Effekt. Dieser RKSE zeichnet sich laut Monografie durch

  • antiexsudative Eigenschaften
  • gefäßabdichtende Eigenschaften aus.

Und als Anwendungsgebiete nennt die Monografie: Behandlung von Beschwerden bei Erkrankungen der Beinvenen (chronische Veneninsuffizienz), zum Beispiel Schmerzen und Schweregefühl in den Beinen, nächtliche Wadenkrämpfe, Juckreiz und Beinschwellungen.

Diese Effekte kommen dadurch zustande, dass Aescin mit dem in der Wand der Lysosomen enthaltenen Cholesterin Komplexe bildet. Dadurch werden die Wände der Lysosomen abgedichtet und die Freisetzung der lysosomalen Enzyme ins Blut nachweisbar reduziert. Außerdem bilden sich in den durchlässigen Venenwänden ebenfalls Aescin-Cholesterin-Komplexe, die dafür sorgen, dass weniger Flüssigkeit und Proteine aus dem Blut ins Gewebe übertreten, was die Ödembildung deutlich verringert. Wichtig ist die Anwendung von Aescin-haltigem Extrakt! Denn weitere im Extrakt vorkommende Stoffe (Flavonoide) erhöhen die Resorption von Aescin und besitzen außerdem Venen-tonisierende Eigenschaften. Hinzu kommen eine Entzündungshemmung und eine Verbesserung der Mikrozirkulation.

Vorteile der Therapie mit einem standardisierten RKSE-Präparat
  • Rein pflanzlich und Monografie-konform.
  • Wissenschaftlich belegte Wirksamkeit und gute Verträglichkeit .
  • Gute Compliance durch einfache Anwendung: Früh und abends eine Einnahme
  • Dauertherapie in der Regel problemlos möglich.
  • Kompression der Klasse 2 und Behandlung mit einem RKSE-Präparat sind therapeutisch gleichwertig.
  • Monopräparat, was bei Multimorbidität wichtig sein kann.

Hinweise für die Therapie

Die Monografie fordert, dass der Patient ein Phytopharmakon mit einer RKSE-Menge einnimmt, die als Tagesdosis 100 mg Aescin (früh und abends 50 mg Aescin) garantiert. Nur so tritt der gewünschte therapeutische Effekt ein. Da in Vorbereitung der Monografie der Kommission E die klinischen Studien erfolgreich mit dem standardisierten RKSE-Präparat Venostasin® retard durchgeführt wurden, forderte die Monografie von 1994 die Anwendung von Retard-Präparaten. Diese Forderung wird heute nicht mehr erhoben. Dafür müssen die RKSE-Präparate magensaftresistent sein, damit der Wirkstoff erst im Duodenum – dem Resorptionsort – freigesetzt wird. Als sehr seltene Nebenwirkungen bei RKSE-Präparaten sind Juckreiz, Übelkeit und Magenbeschwerden (Saponine) möglich. Deshalb sollte die Einnahme immer zu den Mahlzeiten erfolgen. Gegenanzeigen und Wechselwirkungen sind nicht bekannt. Wichtig ist der Hinweis, dass die deutliche Abnahme der Beschwerden erst ca. vier bis sechs Tage nach Einnahmebeginn eintritt.

Tipps zur Rosskastanie
Homöopathie: Das Mittel Aesculus wird bei Hämorrhoiden (besonders in den Wechseljahren), venösen Stauungen und zur Straffung der Venenwände eingesetzt.

Reisen: Bei langen Flugreisen kann die Einnahme eines RKSE-Präparats als Präventivmaßnahme durchgeführt werden. Mit der Einnahme sollte eine Woche vor dem Flugtermin begonnen werden.

Rosskastanie versus Kompression

In einer von Prof. Diehm, Karlsbad, durchgeführten, randomisierten, teilverblindeten Multicenter-Studie [1] wurden 240 Patienten mit CVI im Stadium I und II einbezogen. Es wurden drei Gruppen gebildet:

  1. Gruppe:Sie erhielt morgens und abends eine Kapsel Venostasin® retard.
  2. Gruppe:Sie erhielt ein Venostasin® retard-Plazebo.
  3. Sie wurde mit Kompressionsstrümpfen der Klasse 2 behandelt.

Die 3. Gruppe wurde vor der Kompression eine Woche lang mit dem Diuretikum Sali-Puren® (täglich eine Tablette) behandelt, womit diese Gruppe einen therapeutischen Vorteil erhielt. Die Studie dauerte zwölf Wochen. Das Hauptzielkriterium war die Bestimmung des Unterschenkelvolumens zu Beginn und am Ende der Studie, d. h. die Abnahme der Ödembildung im Verlauf der Studie.

Die Messung erfolgte mittels der Plethysmografie, einem Verfahren zur Messung der Volumenänderung von Organen. Im Ergebnis der Studie kam es zu einer annähernd gleichen Reduktion des Unterschenkelvolumens in beiden Gruppen (Venostasin® retard-Gruppe: Abnahme des Volumens um 43 ml, Kompressions-Gruppe: Abnahme um 46 ml). Mit dieser Studie wurde die Behauptung der Überlegenheit der Kompressionstherapie bei CVI widerlegt. Beide Therapien waren signifikant besser wirksam als Plazebo und gut verträglich. Als Conclusio der Studie empfiehlt Prof. Diehm, die Behandlung der CVI nach einem Stufenplan durchzuführen: Dabei sollte zuerst mit Venostasin® retard behandelt werden, was meist den gewünschten therapeutischen Effekt bringt. Erst bei einem Nichtansprechen auf diese Therapie sollte die Kompression zum Einsatz kommen. Eine Kombination beider Therapien, so Prof. Diehm, sei möglich, sollte aber erst bei Therapieversagen der Einzeltherapien realisiert werden.


Literatur:
1) Diehm C. et al.: Comparison of leg compression stocking and oral horse-chestnut seed extract therapy in patients with chronic venous insufficiency. The Lancet 1996; 347: 292 – 294


Autor:

Ernst-Albert Meyer

Fachapotheker für Offizin-Pharmazie und Medizin-Journalist
31840 Hessisch Oldendorf

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (2) Seite 54-56