Der anhaltende Sauerstoffmangel beim Ertrinken führt zu Organschäden aller Art. Am stärksten betroffen ist das Gehirn. Aber auch die Lunge spielt im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle, was die Folgeschäden und den Ausgang des Unfalls angeht. Ziel der Erstversorgung muss es daher sein, die Sauerstoffversorgung des Organismus so rasch wie möglich wiederherzustellen.

Seit 2003 ist Ertrinken definiert als ein Prozess, bei dem es durch Ein-/Untertauchen in ein flüssiges Medium zu einer primär respiratorischen Störung gekommen ist. Die Grenze zwischen Flüssigkeit und Luft am Eingang der Atemwege verhindert dabei, dass der Patient Luft einatmen kann. Unabhängig davon, ob er das Ereignis überlebt hat oder nicht und wie letztlich das Ereignis ausgegangen ist, war er von einem Ertrinkungsunfall betroffen [1].

Veraltete Nomenklatur

Spätestens seit der Überarbeitung der international konsentierten Empfehlung zur Publikation von Ertrinkungsunfällen 2013 [2] soll daher auf veraltete Nomenklatur verzichtet werden. Dazu gehören Begriffe wie Beinahe-Ertrinken, sekundäres Ertrinken, Süß- oder Salzwasserertrinken, aktives oder stilles, nasses oder trockenes Ertrinken. Sie bringen keinen Erkenntnisgewinn, können verwirren und sind für die Patientenversorgung irrelevant. Die Lehre in der Ausbildung von Rettern und Helfern folgt daher der in Abbildung 1 wiedergegebenen Einteilung.

Epidemiologie

Abhängig von der Wetterlage im Sommer (kühl und nass = weniger Unfälle, warm und trocken = mehr Unfälle) erleiden in Deutschland rund 500 Personen pro Jahr einen tödlichen Ertrinkungsunfall. Obwohl statistisch nicht erfasst, aber durch Umfragen in Rehabilitationskliniken plausibel, müssen wir für einen solchen Zeitraum von mindestens der gleichen Anzahl von schwer Hirngeschädigten ausgehen.

Weltweit beziffert die WHO das Verhältnis von Toten zu Hirngeschädigten nach Ertrinkungsunfällen mit 1:3 bis 1:10 [4]. Für 2012 werden in dem Bericht 372.000 Tote benannt. Weltweit überwiegt bei Weitem das männliche Geschlecht. Im Mittelmeer starben 2016 5.079 Flüchtlinge durch Ertrinken.

Pathophysiologie

Ertrinken ist immer ein Ersticken im Sauerstoffmangel. Dieser wirkt sich entsprechend auf die einzelnen Organsysteme aus. Das Gehirn reagiert bekanntlich am empfindlichsten. Aber die Lunge agiert in dieser Situation nicht nur als Organ der fehlenden Sauerstoffaufnahme, sondern wird selbst hypoxämisch geschädigt. Ertrinken führt in der Lunge immer zu einem Rechts-Links-Shunt unabhängig von der Art und Menge der Flüssigkeit, die zu der Hypoxie und nachfolgenden Hypoxämie geführt hat (Abb. 2). Letztlich resultiert daraus ein akutes Atemnotsyndrom (ARDS bzw. IRDS bei Kindern). Als alleiniger prognostischer Faktor hat sich nach jahrzehntelangen Evaluationsversuchen die Zeit des Untertauchens herausgestellt. Allenfalls spielen noch eine begleitende Hypothermie und die Zeit eines Kreislaufstillstands eine gewisse Rolle [3].

Wie es zu Ertrinkungsunfällen kommen kann

Ein breites Spektrum von Ereignissen kann zum Ertrinkungsunfall führen. Darunter fallen auch Ereignisse, die an Land zu ernsthaften Gesundheitsstörungen geführt hätten, im Wasser aber tödlich enden, wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Krampfanfall, Unfälle mit Bewusstlosigkeit, Beeinträchtigungen durch Alkohol, andere Drogen, Unterzuckerung, Unterkühlung u. a. Erschöpfung und Überschätzen der eigenen Kräfte und Fertigkeiten können ebenso zu Ertrinkungsunfällen führen wie gewisse Reflexe durch Kaltwasserreiz.

Wird ein Nichtschwimmer (schlechter Schwimmer) von einer Situation im Wasser überrascht, kommt es zu Abwehrreaktionen. Nach dem Stadium der Überraschung folgt Widerstand mit Um-Hilfe-rufen, Winken und Atem anhalten beim Eintauchen des Kopfes in das Wasser (die Flüssigkeit). In den meisten Fällen geht ein Ertrinken jedoch still vonstatten.

Kleinkinder geraten schnell bäuchlings mit dem Kopf unter Wasser und können sich durch die ungünstige Statik mit relativ großem Kopf und Windelpaket selbst in niedrigstem Wasser nicht mehr aufrichten. Sie winken nicht mit den Armen und schreien nicht um Hilfe, da sie instinktiv Wassereintritt in den Mund-Rachenraum zunächst vermeiden.

Ein gleiches Verhalten ist auch bei den meisten Erwachsenen anzunehmen. Sie nutzen die Arme, um den Kopf über Wasser zu behalten. Dabei gerät der Körper eher in eine diagonale oder vertikale Lage. Ein Vortrieb zur Rettung wird unmöglich. Es kommt regelhaft in kürzester Zeit zum Untertauchen. Wird nicht eingegriffen, weil unbeobachtet oder mangelhaft überwacht, endet das Ereignis fatal.

Letztlich können sich auch Tötung oder Selbsttötung und tödliche Unfälle aller Art hinter einem Ertrinkungsunfall verbergen.

Wichtigstes Ziel: Sauerstoffversorgung wiederherstellen

Aus den Ausführungen zur Pathophysiologie folgen zwangsläufig die Anforderungen an die Erstversorgung. Ziel muss sein, so schnell wie möglich die Sauerstoffversorgung des Organismus wiederherzustellen. Dazu ist die Rettung aus dem flüssigen Medium unabdingbar. Eine großzügige Sauerstoffgabe ist bei spontan atmenden Patienten zwingend. Eine erforderliche Beatmung hat mit initial hohen Sauerstoffkonzentrationen zu erfolgen. Im weiteren Verlauf soll die Sauerstoffgabe pulsoximetrisch überwacht werden.

Eine Beatmung im Wasser ist höchst problematisch und in deutschen Gewässern nur in ausgewählten Fällen durch sehr versierte Helfer sinnvoll [5]. Eine Reanimation im Wasser ist nicht erfolgreich durchführbar. Alle üblichen notfallmedizinischen Maßnahmen haben nach Notwendigkeit gestaffelt nach der Rettung zu erfolgen. Eine ausführliche klinische Untersuchung muss über die weitere Behandlung entscheiden. Nur bei völligem Fehlen von Symptomen gesundheitlicher Beeinträchtigungen ist eine ambulante Behandlung zu verantworten. Im Zweifel sollte eine klinische Überwachung vorgenommen werden.

Intensivmedizinische Optionen

Oft ist eine Intensivtherapie erforderlich, um die hypoxischen Organschäden zu therapieren. Dabei steht in der Regel die Beatmung im Vordergrund. Aber alle Symptome eines Mehrorganversagens sind nach einem Ertrinkungsunfall möglich. Die protrahierte Reanimation gerade bei einer begleitenden Hypothermie erfordert gelegentlich den Einsatz einer extrakorporalen Zirkulation. Leider sind die therapeutischen Erfolge wenig besser als bei ähnlichen Organversagen anderer Genese. Am besten sind die Ergebnisse noch bei bislang gesunden Personen in jugendlichem Alter.

Prävention/Prophylaxe

Besser wäre es, die oftmals vermeidbare Situation des Ertrinkungsunfalls wäre gar nicht erst eingetreten. Ertrinkungsunfälle im Zusammenhang mit Badebetrieb finden in der Mehrzahl an unbewachten Binnengewässern statt. Nächtliche Ertrinkungsunfälle von alkoholisierten Heranwachsenden nehmen nicht ab. Kleinkinder bleiben immer noch unbeaufsichtigt, jetzt auch durch Betreuer, die mehr Aufmerksamkeit dem Smartphone und Tablet widmen.

50 % der Grundschüler in Deutschland sind keine sicheren Schwimmer und die Hälfte des Schwimmunterrichts an deutschen Schulen wird durch Lehrkräfte erteilt, die nicht dafür speziell ausgebildet wurden. Immer noch werden weiterhin Schwimmbäder geschlossen oder in Spaßbäder umgewandelt, in denen kein vernünftiger Schwimmunterricht stattfinden kann.


Literatur
1. Bierens JJ, Lunetta P, Tipton M. (2013) Pathophysiology of drowning. In: Bierens JJ, editor. Handbook of drowning. 2nd ed. Heidelberg: Springer- Heidelberg
2. Idris A H, Bierens J, Perkins G, Jost U, Quan L et al. (2017) 2015 revised Utstein-style recommended guidelines for uniform reporting of data from drowning-related resuscitation An ILCOR advisory statement Resuscitation 118 147–158
3. Quan L, Bierens J, Lis R, Rowhani-Rahbar A , Morley P , Perkins G (2016) Predicting outcome of drowning at the scene: A systematic review and meta-analyses Resuscitation 104 63–75
4. World Health Organization 2014 Global report on drowning: preventing a leading killer. ISBN 978 92 4 156478 6 (NLM classification: WA 292) http://www.who.int/violence_injury_prevention/global_report_drowning/en/
5. Winkler B, Anna M. Eff A, Sebastian Eff S, Ehrmann U, Koch A, (2013) Efficacy of ventilation and ventilation adjuncts during in-water-resuscitation—a randomized cross-over trial Resuscitation 84 (2013) 1137–1142



Autor:

Dr. med. Ulrich Jost

Facharzt f. Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Sportmedizin
Stellvertretender Bundesarzt der DLRG
31542 Bad Nenndorf

Interessenkonflikte: Dr. Jost ist ehrenamtlich tätig unter Erstattung von Reisekosten als Stellvertretender Bundesarzt der DLRG, Mitglied im Exekutivkomitee des GRC (Deutscher Rat f. Wiederbelebung), Mitglied des Lenkungsausschusses des Nationalen Aktionsbündnisses Wiederbelebung (NAWIB) bei der BZgA (Bundeszentrale f. gesundheitliche Aufklärung)



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (4) Seite 22-24