Bei der Versorgung chronischer Wunden hat der Hausarzt oft mit einem Ulcus cruris zu tun. Doch nicht immer steckt ein Gefäßproblem dahinter. Will der Defekt lange Zeit nicht heilen, ist die Lokalisation untypisch oder sieht die Wunde ungewöhnlich aus, ist auch ein Tumor als Ursache der Läsion zu erwägen.

Chronische Wunden kommen in der Gesamtbevölkerung mit einer Prävalenz von etwa 1,04 % vor [1]. Sie steigt im höheren Lebensalter stark an, ab dem 70. Lebensjahr liegt sie bei über 3 % [2]. Die Ursachen sind dabei vielfältig und die Patienten meist multimorbide. Eine kausale Behandlung setzt eine sorgfältige diagnostische Abklärung mit ausführlicher Anamnese und klinischer Untersuchung voraus.

Zur Basisdiagnostik beim Ulcus cruris gehören u. a. die Gefäßdiagnostik, der Pulsstatus und die Doppler-/Duplexsonographie. Das weitere diagnostische Vorgehen orientiert sich an Befund und Verdachtsdiagnose (Tabelle 1). Hier sei auf die AWMF-Leitlinie zum Ulcus cruris venosum der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und zur Lokaltherapie chronischer Wunden der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung sowie auf die Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) der Deutschen Gesellschaft für Angiologie verwiesen [3, 4].

Kasuistik

Ein 64-jähriger Patient hat seit über elf Jahren rezidivierende Erosionen an beiden Fußsohlen sowie eine bekannte Psoriasis vulgaris plantaris (Schuppenflechte der Fußsohlen). Seit etwa drei Jahren besteht neben den Erosionen eine größere Wunde an der linken Fußinnenkante (Abb. 1). Der Patient berichtet, dass die Läsionen bislang über die Sommermonate abgeheilt und im Winter wieder aufgetreten seien. Seit einem Jahr heilt die Wunde an der Fußinnenkante jedoch nicht mehr ab, sondern wird größer.

Der Patient gibt auch eine chronisch venöse Insuffizienz links (Vena-saphena-magna-Insuffizienz/Cockett I) und eine Refluxösophagitis an. Als Dauermedikation (seit 2004) erhält er 15 mg Methotrexat subkutan einmal wöchentlich – wegen der Psoriasis begleitet von 15 mg Folsan und 20 mg Pantoprazol.

Die Untersuchung zeigt eine circa vier mal drei Zentimeter große Wunde an der Innenkante des linken Fußes. Die Wunde ist sauber mit Granulationstendenz, der Wundrand reizlos und scharf begrenzt, begleitet von einer leichten Mazeration. Zudem bestehen mehrere kleine Erosionen und dyskeratotische Herde, verteilt über die gesamte Fußsohle.

Bei der mehr als ein Jahr bestehenden Wunde in untypischer Lokalisation und nach langjähriger Immunsuppression sowie bei unauffälligem Gefäßstatus wird eine Biopsie zur weiteren Klärung der Ätiologie der Wunde durchgeführt. Der Pathologiebefund zeigt ein hochdifferenziertes Plattenepithelkarzinom sowie ansonsten typische Veränderungen im Sinne der bekannten Psoriasis vulgaris.

Dem Patienten wurde das Plattenepithelkarzinom operativ entfernt. Die maligne Läsion konnte mit drei Nachresektionen in sano exzidiert werden. Mapping-Biopsien in der weiteren Umgebung blieben ohne Hinweis auf weitere maligne Herde. Die Defektdeckung erfolgte mit alloplastischem Material. Der Patient befindet sich seit der Krankenhausentlassung in regelmäßiger Wundnachsorge.

Die häufigsten chronischen Wunden sind das Ulcus cruris, der diabetische Fuß und der Dekubitus. Beim Ulcus cruris handelt es sich bei etwa 90 % um eine gefäßbedingte Wunde, ein Ulcus cruris venosum, arteriosum oder mixtum [5]. Die übrigen 10 % sind durch eine Vielzahl seltener Ursachen, darunter durch Tumoren verursacht. Immunologische Ursachen wie Vaskulitiden oder das Pyoderma gangraenosum, aber auch medikamentös bedingte, metabolische, infektiöse und physikalische Wunden gehören dazu. Bei den Tumorwunden unterscheidet man zwischen Primärtumoren, die als Wunden verkannt werden, und Tumoren, die erst sekundär auf dem Boden einer chronischen Entzündung entstehen. Denn chronische Entzündungen sind ein wichtiger Triggerfaktor für Malignome. Über Entzündungsmediatoren kommt es zur Aktivierung von Protoonkogenen und zu genetischer Instabilität (Abb. 2) [6]. Eine langfristige Immunsuppression ist ein weiterer Risikofaktor.

Aber auch exulzerierte Hauttumoren, wie das Basaliom oder das Spinaliom, sind nicht selten. Die Inzidenz von invasiven epithelialen Hauttumoren steigt bei über 80-jährigen Patienten auf bis zu 2 % an [7]. Frühzeitig erkannt haben sie eine sehr gute Prognose. Denn das Metastasierungsrisiko ist gering, steigt aber rapide mit zunehmender Tumordicke an [8, 9]. Die Gefahr eines letalen Ausgangs besteht meist nur, wenn die lokale Zerstörung lebenswichtige Strukturen einbezieht.

Häufige Probleme in der Arztpraxis

Der Hausarzt ist oft der erste Ansprechpartner von Wundpatienten. Da sie meist schon älter sind, bestehen oft zahlreiche Komorbiditäten, die zwar häufig mit der Ätiologie der Wunde zusammenhängen, aber manchmal von der tatsächlichen Ursache ablenken. Ein strukturiertes und leitlinienbasiertes Vorgehen in der Diagnostik ist deshalb besonders wichtig.

Strukturiertes Vorgehen

Die Anamnese kann Hinweise auf mögliche Risikofaktoren liefern (z. B. Medikamente, Gefäßerkrankungen). Beginn und Umstände der Wundentstehung, Vorerkrankungen und -behandlungen, Dauermedikationen, das Schmerzprofil und die Reise- sowie die Familien- und Sozialanamnese sind hier wesentlich. Bei der klinischen Untersuchung geht es um die Beurteilung der Wunde selbst sowie deren Umgebung und der Lokalisation. Eine erythematöse Reaktion der Umgebung kann auf eine Entzündung hinweisen, darunter auf eine immunologische Wundursache, eine Infektion oder eine allergische Reaktion. Vermutet man eine Wunde aufgrund einer venösen oder arteriellen Durchblutungsstörung, sollte man prüfen, ob die Lokalisation der Wunde mit der Vermutung kompatibel ist. CAVE: Passt die Lokalisation nicht zur angenommenen Diagnose oder zeigt sich die Wunde ungewöhnlich, muss der Arzt an seltenere Wundursachen, wie Tumoren, denken.

Basis der Diagnostik von Wunden an der unteren Extremität ist die Klärung des Gefäßstatus. Das Tasten der Fußpulse und die Inspektion sollte man immer durch einen Dopplerverschlussdruck ergänzen (Brachiopedalindex). Der Normbereich liegt zwischen 0,9 und 1,3. So ist ein Wert unter 0,9 ein Zeichen für eine pAVK und ein Wert über 1,3 ein Hinweis auf eine Mediasklerose. Falsch hohe Werte können durch eine zu schmale Blutdruckmanschette, die falsche Anlage der Manschette zu weit proximal oder die sitzende Lagerung des Patienten entstehen. Sind die Basisuntersuchungen auffällig, muss eine weitere Abklärung durch Gefäßmediziner erfolgen, z. B. eine Oszillographie und/oder eine Angiographie. Da nahezu alle Wunden bakteriell kontaminiert sind, ist initial ein Abstrich zur mikrobiologischen Diagnostik wichtig, mit dem sich multiresistente Keime erfassen lassen. Danach sollte man Hygienemaßnahmen ergreifen und bei einer Infektion – aber nur dann – diese gezielt therapieren. Ist die Wunde über ein Jahr alt oder der Befund auffällig (z. B. livedoide oder stark erythematöse Reaktion der Wundumgebung, Atrophie blanche, unscharfe Wundränder), sollte biopsiert werden.

Zu jeder Untersuchung gehört zudem die Erhebung des Schmerzstatus. Schmerzen können aber auch auf die Ätiologie der Wunde hinweisen (pAVK, Vaskulitis, Mikrozirkulationsstörung).

Schnittstelle Hausarzt – Spezialist

Chronische Wunden sind häufig. Der Hausarzt ist hier nicht nur die erste Anlaufstelle, sondern übernimmt eine entscheidende Rolle bei der Steuerung des Diagnostik- und Therapiekonzepts. Aufgrund der Komplexität und der Ursachenvielfalt chronischer Wunden ist eine strukturierte interdisziplinäre Zusammenarbeit bedeutsam. So erfordert die Klärung des Gefäßstatus die Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Gefäßspezialisten. Jede Wunde, die länger als ein Jahr besteht und keine Heilungstendenz zeigt oder mit einem auffälligen Wundbefund einhergeht, sollte biopsiert werden. Da je nach Wundbefund und Verdachtsdiagnose die optimale Lokalisation der Biopsie variiert, sollte diese der Hautarzt vornehmen. Handelt es sich um eine maligne Wunde, ist zumeist eine operative Entfernung anzustreben. Größere Tumoren oder kritische Lokalisationen erfordern eine stationäre Behandlung. Kleinere, leicht verschließbare Tumoren können meist ambulant operativ behandelt werden. CAVE: Eine regelmäßige Nachsorge ist bei allen Hauttumoren indiziert, um frühzeitig Rezidive oder neue Läsionen zu identifizieren.


Literatur
1. Heyer K, Herberger K, Protz K et al. Epidemiology of chronic wounds in Germany: Analysis of statutory health insurance data. Wound Repair Regen. 2016 Mar;24(2):434-42.
2. https://bvmed.de/download/pmv-zusammenfassung-der-ergebnisse.pdf
3. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/091-001k_S3_Lokaltherapie_chronischer_Wunden_2015-ungueltig.pdf, http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/065-003l_S3_PAVK_periphere_arterielle_Verschlusskrankheitfinal-2016-04.pdf
4. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/037-009l_S3_Diagnostik_und_Therapie_des_Ulcus_cruris_venosum_abgelaufen.pdf
5. Herberger K, Rustenbach SJ, Grams L et al. Quality-of-care for leg ulcers in the metropolitan area of Hamburg--a community-based study. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2012 Apr;26(4):495-502.
6. Bördlein, Ingeborg. Onkologie: Wie chronische Entzündungen zu Krebserkrankungen führen. Dtsch Arztebl 2006; 103(10): A-592 / B-512 / C-492
7. Augustin J, Erasmi S, Reusch M, Augustin M. Methoden zur Analyse der regionalen dermatologischen Versorgung am Beispiel Hamburgs [Methods of Analyzing Regional Dermatological Care as Exemplified by the City of Hamburg]. J Dtsch Dermatol Ges 2015; 13 (7): 661-673.
8. Glover MT, Niranjan N, Kwan JT, Leigh IM (1994) Non-melanoma skin cancer in renal transplant recipients: the extent of the problem and a strategy for management. Br J Plast Surg 47:86-89
9. Breuninger H, Langer B, Rassner G (1988). Untersuchungen zur Prognosebestimmung des spinozellulären Karzinoms der Haut und Unterlippe anhand des TNM-Systems und zusätzlicher Parameter. Hautarzt 39:430-434
10. Herberger K, M.Augustin. Leitliniengerechte Versorgung chronischer Wunden am B Beispiel des Ulcus cruris. Der niedergelassene Arzt 11/2008:41-44.



Autor:

Dr. med. Natalia Kirsten

Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
20246 Hamburg

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (2) Seite 48-50