Nach jahrelanger Verhandlung liegt nun die "kleine EBM-Reform" auf dem Tisch, die zum 1. April in Kraft tritt. Förderung der sprechenden Medizin bei gleichzeitiger Absenkung technischer Leistungen, so lautet die Reform-Devise. Hausärzten wurde in Aussicht gestellt, insgesamt von diesen Änderungen zu profitieren. Doch rechnet man die übrigen Anpassungen gegen, ergibt sich ein anderes Bild.

Bereits 2012 vereinbarten die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband eine Weiterentwicklung des einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM). Die langjährigen Verhandlungen und häufigen Verschiebungen hätten auf große Veränderungen hindeuten können. Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, bezeichnete die Lösung jedoch als "kleinen Erfolg". Denn das Ergebnis, das im vergangenen Dezember bekannt gegeben wurde und zum 1. April 2020 in Kraft tritt, beschränkt sich im Großen und Ganzen auf einen wesentlichen Fokus: Im Sinne des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) wurden die beiden Verhandlungspartner vom Gesetzgeber aufgefordert, die sprechende Medizin zu fördern, also die Bewertung von Gesprächsleistungen anzuheben und gleichzeitig die technischen Leistungen zu überprüfen und abzusenken. In der Summe musste die Reform ausgabenneutral erfolgen, d. h. zusätzliche Gelder für die ambulante Versorgung standen nicht zur Verfügung. Strukturelle Änderungen wurden auf das Nötigste reduziert.

Milchmädchenrechnung für Hausärzte

"Von der Anhebung profitieren vor allem Hausärzte sowie die Fachgruppen der Psychotherapie, Psychosomatik, Psychiatrie, Neurologie und Nervenheilkunde." Dies verkündete die KBV Ende Januar auf ihren Seiten [1], doch diese Aussage wird zumindest von den Hausärzten mit großer Skepsis gesehen. Richtig ist zwar, dass sich die Höherbewertung der sprechenden Medizin auch in solchen Gesprächsleistungen niederschlägt, die von Hausärzten erbracht werden. Hier ist insbesondere die GOP 03230 (problemorientiertes ärztliches Gespräch) zu nennen, welche ab April 128 Punkte (14,06 Euro) statt 90 Punkte (9,89 Euro) einbringt, also gut 42 % mehr. Dass dies zwangsläufig zu einer deutlichen Erhöhung des Gesamthonorars führt, ist jedoch ein Trugschluss. Denn zum einen ist das Punktzahlvolumen trotz Erhöhung von 45 auf 64 Punkte weiterhin budgetiert (Anrechnung bei ca. jedem zweiten Patienten möglich). Zum anderen – und das ist der entscheidende Punkt – gibt es gleichzeitig Einbußen bei anderen relevanten Leistungen. Denn anders als es nach der Vorgabe durch das TSVG zu erwarten wäre, beschränken sich die Herabstufungen nicht ausschließlich auf die rein technischen Leistungen (vgl. Tabelle 1). So sind beispielsweise auch das hausärztlich-geriatrische Basisassessment nach GOP 03360 (-9), die Vorhaltepauschale nach GOP 03040 (-0,66) und die Versichertenpauschale (je nach Altersklasse zwischen -0,88 und -1,21) von der Abwertung betroffen. Eine plausible Begründung erschließt sich hier nicht. Positiv hervorzuheben sind dagegen die GOPs 35100 und 35110.

Sah es anfangs so aus, als müssten Hausärzte unterm Strich mit Einbußen rechnen, machten schließlich Simulationsberechnungen – von der KBV und von der AAC Praxisberatung AG – zumindest ein bisschen Mut: Diese Berechnungen, jeweils anhand von typischen Beispielpraxen, ergaben für die Hausärzte ein Plus von 1 % bzw. 0,6 %, wie die Ärzte Zeitung vom 27.2.2020 berichtet.

Positiv: Plausibilisierung der Kalkulationszeiten

Zu der Überarbeitung der betriebswirtschaftlichen Kalkulationsgrundlage gehörte neben der Neubewertung der Leistungen auch die Überprüfung der Zeitansätze. Hierzu wurde zunächst die tatsächliche Arbeitszeit mit der kalkulierten verglichen mit dem Ergebnis, dass laut KBV die abgerechneten Zeiten etwa doppelt so hoch lagen wie die Jahresarbeitszeit. Die Konsequenz: Bei der Plausibilisierung der Zeitansätze wurden unter Berücksichtigung von medizinisch-technischen Fortschritten und Delegationsmöglichkeiten die Zeiten um ca. 30 % gesenkt. Nicht hiervon betroffen sind laut KBV Leistungen mit einer festen Taktung wie die Gesprächsleistungen. Die Absenkung der Prüfzeiten sollte sich positiv auf das "Damoklesschwert Plausibilitätsprüfung" auswirken, verschafft sie den Ärzten doch insgesamt etwas mehr zeitlichen Spielraum.

Negativ: Neubewertung der Hausbesuche aufgeschoben

Eine Enttäuschung für Hausärzte dürfte sein, dass eine schon lang geforderte Höherbewertung der Hausbesuche nicht erfolgt ist. Genauer gesagt wurde diese Forderung auf das aktuelle Jahr 2020 verschoben mit der offiziellen Begründung von Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, dass dies aufgrund der einzuhaltenden Kostenneutralität nur über eine Abwertung der Versichertenpauschale und damit zulasten der Versorger möglich gewesen wäre. Gassen stellte eine notwendige Weiterverhandlung im aktuellen Jahr nicht nur zum Thema Hausbesuche in Aussicht, sondern auch zu weiteren Punkten wie dem ambulanten Operieren, den Sachkostenpauschalen und dem kalkulatorischen Arztlohn. "Im Grundsatz muss man sagen: Jetzt geht‘s eigentlich erst weiter und richtig weiter", so Gassen bei seiner offiziellen Stellungnahme im Dezember.


Yvonne Emard


Weiterführende Informationen
1. Kassenärztliche Bundesvereinigung: EBM-Reform: So wird die sprechende Medizin gefördert; https://www.kbv.de/html/1150_43855.php
2. Beschluss des Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 465. Sitzung zur Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) mit Wirkung zum 1. April 2020; https://www.kbv.de/media/sp/EBM_2020_04_01_BA_465_BeeG_Detail_nderungen_EBM.pdf
3. Kassenärztliche Bundesvereinigung, Praxisnachrichten: Neuer EBM ab 1. April 2020 beschlossen; https://www.kbv.de/html/1150_43443.php
4. Kassenärztliche Bundesvereinigung; Weiterentwicklung des EBM; https://www.kbv.de/html/weiterentwicklung-ebm.php

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (5) Seite 62-63