Wenn Patientent:innen unter einer Arztphobie leiden, wird der Arztbesuch gerne verzögert oder sogar gänzlich vermieden. Im schlimmsten Fall könnten sich Krankheiten verstärken und Behandlungen erschweren. Durch das Aufschieben der Konsultation erhöht sich auch der körperliche und seelische Druck für den Betroffenen. Auch deswegen ist es in der Praxis wichtig, die Auslöser der zugrunde liegenden Ängste "lösen" zu können.

Nicht jede Arztphobie muss als krankhaft einzustufen sein (ICD 40.2), auch andere Ängste, allgemeine Trägheit oder Befangenheit können einen Arztbesuch erheblich verzögern. Die Ursachen für die Befürchtungen von Patient:innen können ganz unterschiedlicher Natur sein. In der Regel sind es negative oder gar traumatische Erlebnisse, die eine Angststörung bei einer Person auslösen können. Auch persönliche Veranlagung, zum Beispiel die individuellen Besonderheiten im Bereich des Hirnstoffwechsels, spielt eine Rolle. Phobien festigen sich u. a. über die Erziehung. Sozialisation: Übermäßig besorgte Angehörige können z. B. Ängste zusätzlich verstärken. Auch ein erhöhtes Schamgefühl kann für Ängste vor einem anstehenden Arztbesuch sorgen.

Die Vorstellungskraft der Betroffenen ist nicht zu unterschätzen: Viele Patient:innen mit Angst vor dem Arztbesuch haben mindestens eine schmerzhafte Behandlung oder eine unerfreuliche Diagnostik hinter sich. Dieses Erlebnis bleibt im Hinterkopf und wird immer wieder hervorgerufen, wenn es darum geht, erneut die(se) Arztpraxis aufzusuchen.

Die Relevanz dieser Patientengruppe ist für Hausärzt:innen nicht zu unterschätzen: Sie sind bei Angsterkrankungen oft die erste Anlaufstelle. Und die Wartezeiten auf einen Termin in einer Facharztpraxis sind meistens relativ lang. Durchschnittlich warten Betroffene rund zwölf Wochen auf ein Erstgespräch − oder sie verbleiben mangels Termin komplett in hausärztlicher Betreuung.

Angstpatient:innen erkennen

  • Ob jemand unter manifesten Ängsten leidet oder nur ein erhöhtes Schamgefühl hat, lässt sich nicht immer direkt erkennen.
  • In extremen Fällen können z. B. eine zittrige Stimme, Schweißausbrüche oder fahrige Bewegungen ein erster Indikator sein.
  • Eine praktikable Methode ist die gezielte Nachfrage. Dabei gilt es, die Betroffenen nicht zu überrumpeln. Einleitend können Sie z. B. erfragen, ob der/die Betroffene das erste Mal zur Behandlung kommt und deswegen besonders aufgeregt ist. Eine Möglichkeit, wie die Ausprägung der Angst festgestellt werden kann, ist, das Thema auf dem Anamnese- oder Anmeldebogen ganz allgemein anzusprechen. Eine Skala, bei der man auf einem Querbalken den Grad der Sorgen markieren kann, ist ein probates Mittel. Auch ein Fragebogen mit Antwortmöglichkeiten zum Ankreuzen kann helfen, Angst zu visualisieren. Dies ist besonders dann nützlich, wenn Patient:innen zu schüchtern sind, um offen über Ängste oder Schamgefühle zu sprechen.
  • Manche trauen sich aus Scham nicht, Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Ihr persönlicher Eindruck und der des Praxispersonals sollte daher stets in die Einschätzung des Gegenübers miteinbezogen werden.

Ansatzpunkte in der Praxis

Menschen mit Arztphobie erfordern Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen:

1. Atmosphäre: Ein heller, freundlicher Warteraum mit Ablenkungsmöglichkeiten z. B. durch Lesematerial sorgt im ersten Schritt dafür, dass sich der Gemütszustand der Betroffenen beruhigen kann. Insbesondere angenehme Musik kann helfen, Aufregung und Angst zu reduzieren.

2. Wartezeiten: Angstpatient:innen sollte man unabhängig von ihrer konkreten Angstproblematik so kurz wie möglich warten lassen. Sonst steigt das Risiko, dass die Aufregung überwiegt und die Patient:in die Praxis ohne Behandlung verlässt.

3. Beratungsraum: Niemand mag es, ins kalte Wasser gestoßen zu werden. Für manche Menschen ist genau diese Sorge einer der Gründe für ihre Angst. Deshalb ist es wichtig, sie langsam an die Behandlung und das Behandlungszimmer heranzuführen. Je nach Therapie kann ein separater Beratungsraum als erste Station dienen, in dem Sie ausführlicher ins Gespräch kommen können. Hier haben Sie die Möglichkeit, genauer zu erklären, was auf Ihr Gegenüber zukommt. Gehen Sie die Behandlungsschritte durch und schätzen Sie ab, wie lange sie dauern. So kann die Patient:in Vertrauen fassen und erlangt ein Stück Selbstbestimmtheit sowie ein Gefühl der Kontrolle zurück.

4. Risikoaufklärung: Sitzen Ihnen Angstpatient :innen gegenüber, kann die Aufklärung zu möglichen Risiken heikel werden. Negieren Sie die Risiken nicht, aber bringen Sie diese in einen objektiven Kontext, indem Sie ihre Seltenheit betonen. Vermitteln Sie gezielt ein Gefühl von Sicherheit und weisen Sie immer wieder auf die eigene fachliche Kompetenz sowie die des Personals hin. Auch wenn es sich nur um kleine Eingriffe handelt, ist bei dieser Patientengruppe entscheidend, aktiv Verständnis für die Angst der Betroffenen zu zeigen.

5. Notizen: Einige Menschen haben Angst, sich nicht alle Details merken zu können. Dies kann durch Notizen über die Diagnostik und Behandlung verhindert werden. Für die Betroffenen sollte es möglich sein, sich während des Gesprächs in aller Ruhe die wichtigsten Punkte aufzuschreiben. Alternativ kann das Gespräch auch mittels Smartphone aufgenommen werden.

6. Gesprächsführung: Viele Angstpatient:innen nicken oft und stimmen schnell zu, selbst wenn sie nicht alles verstanden haben. Durch verständliche Erklärungen kann gerade diesen Personen die Angst vor einer Unwissenheit genommen werden. Ein Gespräch auf Augenhöhe wird auch durch Rückfragen und möglichst wenig Zeitdruck vermittelt, soweit das im Praxisalltag möglich ist.

7. Zuspruch: Erhalten Patient:innen Lob dafür, den Termin wahrgenommen zu haben, wird eine Wiederholung deutlich wahrscheinlicher.

SURFTIPP – Hilfe für Betroffene und Informationen für medizinisches Fachpersonal
Arztphobie.com möchte Angstpatient:innen nachhaltig helfen. Betroffene sollen motiviert werden, eine Behandlung anzustreben, anstatt in der Angststörung zu verweilen. Das Projekt richtet sich an Patient:innen und Fachpersonal.


Literatur
J. Gensichen et al. Patient activation for anxiety dIsorders. Dtsch Arztebl Int 2019.



Autorin

Julia Dernbach

Freiberufliche Medizinautorin
ehrenamtliche Unterstützung für das Projekt Arztphobie.com

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (7) Seite 66-67