Die Erreger der Syphilis trieben in der Alten Welt wohl schon lange ihr Unwesen, bevor spanische Seefahrer nach der Entdeckung Amerikas eine hochansteckende Form aus der Neuen Welt einschleppten. Von diesem Zeitpunkt an konnte sich die Syphilis in Europa explosionsartig ausbreiten und führte zu Siechtum und Tod. In unserer kleinen medizinhistorischen Reihe werfen wir einen Blick auf die unheilvolle Geschichte der "maladie française".

Ab Ende des 15. Jahrhunderts wütete die "Lustseuche" oder Syphilis furchtbar in ganz Europa. In ihrer Verzweiflung probierten die unzähligen Kranken alle damals bekannten Heilmittel aus. Doch ohne Erfolg! Deshalb entwickelte sich eine wahre Euphorie, als bekannt wurde, dass das aus der Neuen Welt (Amerika) importierte Guajakholz die Geschlechtskrankheit heilen könne. Jeder Kranke wollte jetzt schnell die Wunderdroge haben.

Das Mitbringsel des Christoph Kolumbus

Die meisten Medizinhistoriker sind sich einig: Als Christoph Kolumbus 1492 von seiner Entdeckungsreise der westindischen Inseln (Amerika) nach Spanien zurückkehrte, hatten seine Matrosen ein besonderes "Mitbringsel" im Gepäck: die Geschlechtskrankheit Syphilis, damals auch häufig als "Pocken" oder "Lustseuche" bezeichnet. Als die Spanier 1494 in die Kämpfe um Neapel eingriffen, infizierten sie die Italiener und Franzosen mit der neuen Geschlechtskrankheit. Im gleichen Jahr mussten die von den Pocken geschwächten Truppen Karls des VIII. von Frankreich die Belagerung Neapels aufgeben und nach Hause ziehen. Die heimkehrenden Soldaten lösten die erste Syphilisepidemie in Europa aus. Deshalb auch der Name "Franzosenkrankheit" oder "morbus gallicus". Die neue Geschlechtskrankheit verbreitete sich im Eiltempo in ganz Europa und erreichte auch die asiatischen Länder.

Schutzmaßnahmen der Städte gegen die Lustseuche

Die Kirche interpretierte in Mittelalter und Renaissance Krankheit als Strafe Gottes für das sündige Leben der Menschen. Das galt besonders für die fast ausschließlich durch den Geschlechtsverkehr übertragene Syphilis. Denn jeglicher außereheliche Sex galt damals als sündig und "unrein". So waren die an der Syphilis Erkrankten arm dran. Sozial isoliert, blieb ihnen oft nichts anderes übrig, als sich in Wald und Flur aufzuhalten. Beim Betreten der Städte wurden sie schon an den Stadttoren von den Zöllnern darauf hingewiesen, dass sie sich nur kurz in der Stadt aufhalten und nicht betteln durften. So fristeten sie ein elendes Leben im Freien, auf Straßen, Plätzen und unter Brücken. Viele Städte verboten den Gastwirten, Syphilis-Kranke als Gäste aufzunehmen.

Chirurgen, Badern und Barbieren war es untersagt, Syphilis-Kranke zu behandeln. Vor allem die Bader durften alle, "die an der newen kranckheit, malen Frantzosen, beflecket und kranck sein", nicht in ihre Badestuben aufnehmen. Die Bürger begannen, die bis dahin beliebten öffentlichen Badestuben zu meiden, da viele Badegäste, die auch die "Liebesdienste" der Bade-Mägde in Anspruch genommen hatten, sich hier mit der Seuche infizierten. Viele Städte reagierten auf die große Zahl Syphilis-Kranker und gründeten Heime. Vor allem in Süddeutschland entstehen um 1500 neue Seuchenhäuser, die man als "Franzosenhäuser" bezeichnete.

Die Syphilis – das böse Erwachen nach der Lust!

Es ist heute schwer, eine sichere Aussage über den Verbreitungsgrad der Syphilis in den verschiedenen Gesellschaftsschichten der damaligen Zeit zu treffen. Ganz sicher waren Landsknechte und Deserteure, leichte Mädchen, Prostituierte, Zuhälter und Vagabunden maßgeblich an der Verbreitung der Seuche beteiligt. Doch nach und nach erfasste sie alle Schichten der Bevölkerung. In der Renaissance gab es berühmte syphiliskranke Herrscher, wie Karl VIII., Franz I., Heinrich VIII. und Iwan den Schrecklichen. Erasmus von Rotterdam schrieb zynisch, ein Adliger ohne Syphilis sei entweder nicht sehr adlig oder kein richtiger Mann. Mit der Zeit wurde die Liste der Syphilisopfer immer länger: Kardinal Richelieu, Peter der Große und Katharina die Große; aber auch Künstler wie Goya, Franz Schubert, Gauguin, Maupassant, Ludwig van Beethoven, Heinrich Heine und Oscar Wilde litten an der Syphilis.

Die "Wunderdroge" Guajakholz

Es spricht für den Geist der Renaissance, dass man glaubte, dass nur ein Heilmittel aus der Neuen Welt (Amerika), wo ja auch die Syphilis hergekommen war, wirksame Hilfe gegen die furchtbare Seuche bringen konnte. Der Überlieferung nach wurde das Guajakholz (Pockholz) im 16. Jahrhundert vom Schatzmeister der Provinz Hispania Gonzales nach Europa eingeführt. Gonzales behauptete, dass er durch das Guajakholz von einer unheilbaren Syphilis genesen sei.

Das Guajakholz oder Pockholz ist das sehr harte und schwere Holz der zwei 9 bis 12 Meter hohen Bäume von Guaiacum officinale und Guaiacum sanctum. Sie gehören zur Pflanzenfamilie der Jochblattgewächse (Zygophyllaceae). Guaicum officinale wächst auf den Antillen, den Bahamas, in Guayana, Venezuela, Kolumbien und Panama. Guaicum sanctum ist vor allem auf den westindischen Inseln heimisch.

Die Nachricht vom heilsamen Guajakholz wurde in Europa mit großer Hoffnung und Erleichterung aufgenommen. Bis dahin bestand die Syphilis-Therapie im Wesentlichen in einer tage- oder wochenlangen Behandlung mit Quecksilbersalben, die auf den ganzen Körper aufgetragen wurden. Anschließend mussten die Kranken tagelange Schwitzkuren ertragen. Dabei kam es immer wieder zu schweren Quecksilbervergiftungen, sodass viele Syphilitiker ganz auf eine Behandlung verzichteten.

Die Ärzte schwärmten geradezu vom neuen Heilmittel gegen die Syphilis und eine Flut von Fachliteratur pries die neue Wunderdroge. Der Bedarf stieg und mit dem Import von Guajakholz wurde viel Geld verdient. In Deutschland erwarb sich die reiche Bankiersfamilie der Fugger aus Augsburg mit dem Guajakholz-Handel ein ungeheures Vermögen. Hatte sie doch von Kaiser Karl V. ein Privileg zum Handel mit dem "Lignum sanctum" (heiliges Holz) erhalten. Doch vorerst gab es ein Problem mit dem "Franzosen-Holz"! Um es therapeutisch als Tee (Abkochung), Sirup, Latwerge, Destillat oder Extrakt einsetzen zu können, musste das äußerst harte und schwere Holz – schwerer als Wasser – erst einmal zerkleinert werden. Diese mühselige und monotone Arbeit des "Raspelns" übertrug man in Europa Gefangenen. Deshalb bezeichnete der Volksmund schon bald ein Gefängnis – wie z. B. in Straßburg – als "Raspelhüss".

Das Loblied Ulrich von Huttens

Von der umfangreichen Literatur über das Guajakholz ist eine Schrift des Humanisten und Reichsritters Ulrich von Hutten (1488–1523) besonders berühmt geworden. Sie hat entscheidend zum "Siegeszug" des Guajakholzes in Europa beigetragen. Der syphiliskranke Hutten schreibt 1519: "Meinen Beobachtungen nach wirkt das Mittel (Guajakholz) langsam und gleichmäßig, nicht rasch oder stürmisch. Weit entfernt davon, dass seine heilsame Wirkung sofort subjektiv empfunden wird oder dass es die Schmerzen, die es schliesslich vollkommen beseitigt, rasch lindert, wird im Gegenteil zu Anfang der Cur und für die ersten vierzehn Tage die Krankheit im höchsten Grad acut: Die Qualen nehmen zu, die Geschwüre breiten sich aus und in der That kommt es dem Kranken vor, als ginge es ihm schlechter denn je." Doch Hutten verstirbt mit 35 Jahren an der Syphilis. Der Ritter hatte auch schon eine genaue Vorstellung über die Ursache der Syphilis. Er hielt – wie auch andere Zeitgenossen – ein "geflügeltes Würmchen" für den Krankheitserreger.

Guajakholz in der Phytotherapie

Die Kommission E hat eine Positiv-Monografie "Guajaci lignum" verabschiedet mit folgenden therapeutischen Eigenschaften: antiphlogistisch, spasmolytisch, aquaretisch. Als Anwendungsgebiete werden genannt: "Adjuvant bei rheumatischen Beschwerden." Da pflanzliche Arzneimittel in Deutschland nicht im Handel sind, ist der Interessent auf die Zubereitung eines Tees (Aufguss) aus Guajakholz angewiesen.

Die Bedeutung der Syphilis in der Lehre Hahnemanns

Wie weit die Syphilis und ihre gesundheitlichen Folgen auch noch zu Lebzeiten des Begründers der Homöopathie verbreitet waren, erkennt man daran, dass der Arzt und Apotheker Dr. Samuel Hahnemann (1755–1833) die Geschlechtskrankheit in seine Miasmen-Lehre einbezog. Unter dem Begriff "Miasmen" beschrieb Hahnemann Erbkrankheiten, die er als Basis für die Entwicklung chronischer Krankheiten ansah. Dabei machte Hahnemann drei damals weit verbreitete Krankheiten bei den Vorfahren für die Entstehung von Organ- und Systemschädigungen bei den Nachkommen verantwortlich: Psora (Krätze), Gonorrhö und Syphilis. Später kam unter anderem noch die Tuberkulose hinzu. Wird die Erbkrankheit durch ein entsprechendes Konstitutionsmittel ausgeleitet, so kann nach Hahnemann der chronischen Krankheit die Basis entzogen werden und eine Heilung erfolgen

Guajacum in der Homöopathie

Das homöopathische Mittel Guaiacum enthält das im Guajakholz vorkommende Harz in homöopathischer Verdünnung. Der Heilpraktiker verordnet dieses Mittel bei Tonsillitis, Bronchitis, Pleuritis, Neuralgien, Gelenkrheumatismus und Gicht


Der Stern beginnt zu sinken!

Das Guajakholz besitzt keine antibakteriellen Inhaltsstoffe und ist deshalb bei Syphilis unwirksam. Hutten hatte wahrscheinlich seine Guajakholz-Kur in einer Phase vorübergehender Besserung seiner Geschlechtskrankheit gemacht und die Linderung seiner Beschwerden dem Pockholz zugeschrieben. So wird es auch bei anderen Syphilitikern gewesen sein. Eine erste öffentliche Kritik an der Wunderdroge kam ausgerechnet von dem berühmten Arzt Paracelsus (1493–1541) aus Straßburg. Für Paracelsus war das "Franzosengift" ein "fixes Übel, das den ganzen Leib mit Blattern, offenen Schäden, Löchern, Narben, Lähmen verderbt". In seiner ersten Veröffentlichung "Vom Holtz Guaiaco gründlicher heiylung" aus dem Jahr 1529 wendet sich Paracelsus direkt gegen die Schrift Huttens. Paracelsus hält die Quecksilber-Therapie bei Syphilis für erstrangig, im Guajakholz sieht er nur ein zusätzliches Mittel. Damit zieht sich Paracelsus die Feindschaft der Ärzte und derjenigen zu, die am Guajakholz-Import verdienen. Den Fuggern gelingt es, einen Druck der Paracelsus-Schrift in Nürnberg zu verbieten.

Obwohl Paracelsus die Syphilis als ansteckende Geschlechtskrankheit erkennt, hält er Syphilis und Gonorrhoe fälschlicherweise für ein und dieselbe Krankheit. Etwa um 1530 beginnt die Guajakholz-Euphorie in Europa abzuklingen. Man fängt an, in der Syphilis-Therapie auch andere Mittel einzusetzen: die Chinawurzel aus Ostasien von Smilax chinae, die mittelamerikanische Sarsaparille-Wurzel und das Holz des nordamerikanischen Fenchelholzbaumes. Besonders die Quecksilber-Kuren gewinnen wieder an Bedeutung.

Ernst-Albert Meyer


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (18) Seite 112-114