Für den Arzt gehört die regelmäßige Lektüre zum Berufsalltag. Neben Formularen oder Arztbriefen ist vor allem die Lektüre von Fachmagazinen und berufsbildenden Nachrichten, ob online oder Print, für die notwendige Fortbildung unerlässlich. Die Geschwindigkeit, mit der Informationen erzeugt, verarbeitet und gelesen werden, nimmt insgesamt zu. Hierbei ist die Digitalisierung der entscheidende Treiber, der eine ständige Erreichbarkeit mit Informationen ermöglicht. Wie geht man im Praxisalltag mit der Datenflut um und wie kann man sich eine effektive Informationsaufnahme und -weitergabe aneignen?

Bei eintreffender Post, die eine Bearbeitung nach sich zieht, ist es wichtig, zu priorisieren. In vielen Arztpraxen wird das dreistufige System der Prioritäten angewendet, wobei zwischen wichtig und eilig unterschieden wird: A-Prio heißt, die erhaltene Information ist wichtig UND eilig und muss deshalb sofort bearbeitet werden. B-Prio heißt, dass die Bearbeitung zwar wichtig ist, aber nicht gleichzeitig eilig. C-Prio bedeutet, der Fall ist weder wichtig noch eilig und kann warten. Wenn eine C-Prio später an Bedeutung gewinnt, rückt sie auf B oder A.

Leseverhalten

Nicht alles muss sofort gelesen und bearbeitet werden, auch wenn es ein schönes Gefühl ist, keinen Leserückstand zu haben. Um zeitlich effektiv zu arbeiten, sollten Lesezeiten am besten gebündelt werden, d. h. Online- oder Offline-Lektüre wird wenn möglich am Stück und nicht scheibchenweise gelesen. Leseunterbrechungen sollten auf ein Minimum reduziert werden, denn nach einer Unterbrechung braucht man die doppelte Energie, um sich wieder in den Text einzulesen. Im Leistungshoch liest man längere und komplizierte Lektüre viel konzentrierter. Vielleser empfehlen, auf Frischluft und Flüssigkeitszufuhr zu achten, beides hält länger fit. Zusätzlich kommt es auf die richtige Atmung an, mit der man vorzeitige Ermüdungserscheinungen verhindern kann. Die mentale Ermüdung verzögert sich ebenfalls, wenn im Stehen gelesen wird. Das Lesen an einem Steh-Pult, für den Arzt zunächst ungewohnt, ist einen Versuch wert. Auch ein Raumwechsel fördert die Aufmerksamkeit und wird als Abwechslung empfunden.

Das Lesetempo

Rationelles Lesen bedeutet nicht, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu lesen, sondern das individuelle Lesetempo zu finden. Primär kommt es auf die Leseziele an, wozu liest man: um sich allgemein zu informieren? Oder um eine Entscheidung zu treffen? Oder ist das Thema für die Patientenbehandlung besonders wichtig? Welche Relevanz hat eine Information für die Praxisorganisation? In diesem Sinne sollte man das Lesetempo dem Lesezweck anpassen.

Eine höhere Lesegeschwindigkeit ("speed reading") führt zur oberflächlichen Aufnahme des Textes, so dass man ihn zweimal lesen müsste, um ihn detailliert zu verstehen und sich zu merken. Das hohe Lesetempo von Texten in der "Slalomtechnik" dient daher eher dem schnellen Sichten von Inhalten, um dann zu entscheiden, ob ein tieferes Einsteigen in den Text sinnvoll und notwendig ist. Mäßiges Tempo ist dauerhaft effektiver. Geringes Lesetempo kostet Zeit, man kennt aber den Inhalt besser. Nachdenken über den Text verringert das Lesetempo zwar, erhöht andererseits das Einprägen. Für Gründlichkeit ist daher mäßiges Lesetempo zweckmäßiger. Möglich ist der Wechsel zwischen unterschiedlichem Lesetempo, bei dem wichtige Textstellen langsamer gelesen werden.

Um effektiv zu lesen, sollten Lesebremsen vermieden werden. Bei Konzentrationsmangel kommt es zu den sogenannten "Regressionen", das heißt, Rücksprünge der Augen zu Textstellen, an denen die Augen schon angehalten hatten. Wer unkonzentriert und müde ist, dem passiert das schnell: Worte und Satzteile müssen zweimal gelesen werden. Durch das Zurückspringen werden dem Gehirn die entsprechenden Passagen zweimal angeboten. Es registriert diese Stellen als bekannt und schaltet für Sekunden ab. Oftmals verpasst es dann jedoch die Stelle, an der es mit neuem Inhalt weitergeht, so dass hier die nächste Regression nötig ist, um die Informationen aufzunehmen. Zu Regressionen kommt es auch bei hohem Lesetempo. Bei hoher Konzentration sind Rücksprünge meist überflüssig, da das Gehirn die Informationen schon aufgenommen hat und höchstens noch mit der Verarbeitung etwas hinterherhinkt.

Bei Printmedien werden wichtige Textstellen am besten sofort beim ersten Lesen durch Markierungen oder handschriftliche Randbemerkungen hervorgehoben. Damit bereitet man eine spätere Bearbeitung vor. Für die Markierungen haben sich diese typischen Zeichen bewährt: Ausrufezeichen für "wichtig", Haken für "einverstanden", Fragezeichen für "noch zu klären". Farbige Markierungen fallen beim zweiten Lesen besonders auf.

Viele Informationen werden über das World Wide Web eingeholt, mit der Gefahr, viel Zeit dabei zu verlieren, wenn man nicht fokussiert bleibt. Am besten also die Uhr auf den Tisch und nicht von einem Link zum anderen klicken, um jedes Detail genau zu erfahren. Braucht man jede Information? Welchen Zeitwert hat sie? Zu einem funktionierenden Informationsmanagement gehört es, auf die Seriosität der Quellen zu achten und sich der Datenflut auch gelegentlich durch gezielte Auswahl oder sogar Enthaltsamkeit zu entziehen.

Weitergabe von Informationen

Welche Informationen müssen an das Praxisteam weitergegeben werden? Nicht alles ist für das Team relevant. Informationen an das Team werden in drei Stufen unterteilt: "Muss-Informationen" gefährden bei Nichterhalt die Qualität des Arbeitsergebnisses oder erhöhen die Fehlerquote. Gesetzliche Regelungen, wie z. B. Sicherheits- oder Hygienevorschriften, gehören in diese Kategorie und der Aushang ist sogar vorgeschrieben. Neben gesetzlichen Vorschriften haben auch interne Praxisanweisungen einen hohen Stellenwert. "Kann-Informationen" sind Informationen, die den üblichen Arbeitsablauf nicht wesentlich beeinflussen und daher nicht zwingend erbracht werden müssen, aber unter Abwägung durchaus sinnvoll sein können. "Plus-Informationen" erweitern eine Information durch Kommentare und eigene Meinungen. Sie sind relevant, wenn jemand den Hintergrund einer Info erfahren möchte.

Der Arzt wertet eine Information, die er weitergibt, durch seine Kommentare auf. "Trockene" Informationen gewinnen durch die Kommentierung an Bedeutung. Handschriftliche Bemerkungen haben psychologisch gesehen einen wesentlich höheren Stellenwert. Die Beachtung und Einhaltung von Anweisungen erhöht sich dadurch.

Für die Lieferung von Informationen gibt es zwei Möglichkeiten. Beim Push-Prinzip werden dem Mitarbeiter Informationen geliefert (Bringschuld). Beim Pull-Prinzip werden die Informationen von ihm eingeholt (Holschuld). Durch gute Praxisorganisation steht fest, welche Informationen Hol- und welche Bringschuld sind.

Um effektiv und fokussiert zu lesen, sollten Sie sich über folgende Punkte im Klaren sein:

1. Welches Informationsziel habe ich?
  • Entscheidungen treffen/delegieren
  • Meinung bilden
  • Wissen aneignen

2. Welchen Informationswert hat das Gelesene?
  • Muss-Informationen
  • Kann-Informationen
  • Plus-Informationen

3. Habe ich ein effektives Leseverhalten?
  • Feste Lesezeiten
  • Lesetempo finden
  • Lese-Bremsen vermeiden

4. Eignet sich der Text für eine weitere Verarbeitung?
  • Textstellen markieren
  • Randnotizen vornehmen
  • Ablage für späteres Lesen



Autor:

Rolf Leicher

Dipl.- Betriebswirt, Fachautor und Referent
69118 Heidelberg

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (11) Seite 58-61